Herr Anders, Sie beschäftigen sich überwiegend mit Politik und Internetkultur. Was hat Sie veranlasst, sich näher mit dem Thema Reichsbürger und anderen rechten Bewegungen auseinanderzusetzen?
Wenn man sich mit Nachrichten im Netz beschäftigt, gehören Falschmeldungen immer wieder zu den Hauptproblemen. Welchen Quellen kann man trauen, wo sollte man vorsichtig sein? Rechte und rechtsextreme Blogs und YouTube-Kanäle nutzen die Gutgläubigkeit – und teils schlicht fehlende Medienkompetenz – vieler Internetnutzer eiskalt aus. Da wird mit schrillen Halbwahrheiten und blanken Lügen Stimmung für die eigene Sache gemacht. In meinen eigenen Beiträgen habe ich diese Vorgehensweise wiederholt offengelegt, damit man diese Strategien erkennt und nicht darauf hereinfällt. Mir ist wichtig, dass Leute nicht jeden Schwachsinn glauben, nur weil er von jemandem wütend ins Netz gebrüllt wird. Und gerade von rechter Seite wird extrem wütend und laut gebrüllt. Daher kam ich schnell mit Reichsbürgern und rechten Stimmungsmachern in Kontakt.
Welchen Einfluss haben Ihrer Ansicht nach rechte YouTuber auf die Meinung junger Menschen in Deutschland?
Es lässt sich leicht beobachten, wie derartige YouTube-Kanäle rasant aus dem Boden sprießen, wie sie sich organisieren und gegenseitig unterstützen. Man kann den lieben langen Tag Reichweiten messen und Klicks zählen. Das Problem ist: Diese Szene arbeitet massiv mit gefälschten Accounts und manipulierten Kommentar-Bereichen. Auf diese Weise sollen ihre Inhalte erfolgreicher und beliebter erscheinen, als sie es tatsächlich sind. Es ist daher sehr schwer, ihren realen Einfluss zu benennen. Meine persönliche Einschätzung: Ihre Bedeutung ist geringer, als sie es gerne hätten – aber natürlich könnte sich das in Zukunft ändern.
In Ihrer Dokumentation »Lösch Dich!« zeigen Sie das mobilisierende Potenzial der rechten Internetplattform Reconquista Germanica. Wie einflussreich ist das Netzwerk abseits der YouTube-Kommentarspalten?
Die Mitglieder von Reconquista Germanica schreiben sich zumindest selbst auf die Fahnen, dass das starke Abschneiden der AfD bei der letzten Bundestagswahl auch auf ihr Konto geht. Sie beanspruchen also durchaus, dass ihre virtuellen Aktivitäten auch in der realen Welt Wirkung zeigen. Ob das im Ergebnis tatsächlich so ist, ist schwer nachzuweisen. Wie wir in der »Lösch Dich!«-Doku aber zeigen konnten, bekennt sich AfD-Funktionär Lars Steinke (Landesvorsitzender der Jungen Alternative in Niedersachsen) offen dazu, sich an Reconquista Germanica beteiligt zu haben. Er sprach in diesem Zusammenhang gar vom Wahlkampf der Zukunft. Wenn man sich ansieht, mit welchen Mitteln diese Gruppierung arbeitet, dann sollte einem das als demokratisch eingestellter Bürger schon zu denken geben.
In der Doku »Verschwörungstheorien – Leben im Wahn« befassen Sie sich auch mit der Reichsbürgerbewegung. Laut Verfassungsschutzbericht ist die Zahl der Reichsbürger in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Warum sind ihre Verschwörungstheorien so populär?
Offenbar gibt es bei vielen Menschen im Land eine Sehnsucht nach historischer »deutscher Größe«. Da geben die deutschen Kaiser und Könige natürlich mehr her als Hitler und die Nationalsozialisten. Ich denke, diese Träumerei der Reichsbürger, dass das Deutsche Reich in Wahrheit nie untergegangen sei und bis heute besteht, ist für viele von ihnen eine Art, wieder »stolz« auf ihre eigene Nationalität sein zu können.
Wie meinen Sie das genau?
Die aufgeklärte und junge Bundesrepublik Deutschland gibt diesen Menschen emotional einfach nichts, dementsprechend suchen sie ihr Glück im vermeintlichen Glanz der Vergangenheit: goldene Kronen, Zepter und so etwas. Das ist ihnen sehr, sehr wichtig fürs Nationalgefühl. Pompös soll es sein und glitzern! Meinetwegen. Aber gefährlich wird es dann, wenn diese Leute ihre Sehnsucht so auf die Spitze treiben, dass sie den tatsächlichen, realen Staat nicht mehr anerkennen. In der Summe sind die Reichsbürger zwar nach wie vor eine relativ überschaubare Szene – aber ihre einzelnen Anhänger zeigen teils eine erschreckend hohe Gewaltbereitschaft.
Die »Identitäre Bewegung« mobilisiert europaweit junge Menschen für die rechte Ideologie. Wie viel Einfluss hat sie?
Über die Identitäre Bewegung würde ich mir keine Kopfschmerzen machen. Da stehen mal 20 Leute irgendwo auf einem Marktplatz in Österreich und an einem anderen Wochenende eine Handvoll Leute in einer deutschen Innenstadt – und schon organisiert man in der eigenen Darstellung »europaweit« Proteste. Es ist ja auch kein Zufall, dass sich die »Identitären« in vielen Fällen bei anderen Protest-Bewegungen einhaken, alleine bekommen sie einfach kaum jemanden auf die Straße.
Das überrascht.
Ja, sie inszenieren sich clever im Netz und machen moderne PR-Arbeit, aber für sich genommen sind sie eigentlich nicht der Rede wert. Das trifft eigentlich auf fast alle diese Gruppierungen zu. Erst in der Masse, also von den Identitären-Studenten über die Pegida-Rentner bis zu den Reichsbürgern, ergibt sich nach und nach so ein rechts-drehender Bullshit-Strudel, der das Niveau der politischen Kultur bei uns immer weiter nach unten zieht. Das ist aus meiner Sicht das eigentliche Problem, nicht die einzelnen Bewegungen an sich.
Ist die Hemmschwelle für junge Menschen gesunken, sich rechten Gruppen anzuschließen? Ist »Rechts sein« mittlerweile cool?
Nicht das »Rechts sein« ist cool, sondern das »Dagegen sein«. Die Rechten verstehen es ausgezeichnet, sich selbst in eine Opferrolle zu stecken und ihren Zuschauern vorzugaukeln, sie steckten darin mit ihnen gemeinsam fest. Sie sind Geschichtenerzähler – das ist ihre große Stärke. In Geschichten liebt jeder immer den Underdog. Das kann junge Menschen durchaus anziehen.
Auch in Ihrem Buch »Eure Dummheit kotzt mich an! Wie Bullshit unser Land vergiftet« beschäftigen Sie sich intensiv mit Verschwörungstheorien. Welche ist Ihrer Meinung nach die hartnäckigste?
Dass die Juden hinter allem Übel der Welt stecken. Das dürfen sich Juden schon seit Ewigkeiten anhören, und selbst heute hört es nicht auf. In einer immer komplexer werdenden Welt ist das für viele Verschwörungstheoretiker anscheinend ein Fixpunkt.
Die Fragen stellte David Josef de Vries.