Das kann man durchaus einen Blitzstart nennen. Erst wurde der Publizist und Islamwissenschaftler Michael Lüders Ende Januar 2024 mit 97,6 Prozent der abgegebenen Stimmen in den erweiterten Parteivorstand des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) gewählt, und dann Anfang Dezember in Sachsen-Anhalt mit 87,5 Prozent auf den Listenplatz eins der Partei für die Bundestagswahl. All das, obwohl Lüders noch nie zuvor in seinem Leben ein politisches Amt innehatte.
Schafft das BSW am 23. Februar den Sprung über die Fünfprozenthürde, wäre ihm ein Platz im Bundestag so gut wie sicher. In diesem Fall käme Lüders die Rolle des außenpolitischen Experten in der Partei zu. Eine, die sich schon jetzt auf die Zusammenarbeit mit Lüders in einer künftigen Fraktion freut, ist Sahra Wagenknecht. Das jedenfalls erklärt die Parteivorsitzende, als sich beide Ende Dezember auf ihrem YouTube-Kanal »Sahra trifft« zum Gespräch über die jüngsten Entwicklungen in Syrien sowie im Konflikt zwischen Israel und der Hamas zusammensetzen. Dabei wird nach wenigen Sätzen deutlich, woher ihre Vorfreude rührt.
So habe, laut Lüders, in Syrien kein Bürgerkrieg stattgefunden, sondern ein »Stellvertreterkrieg der USA gegen Russland, durchaus vergleichbar dem in der Ukraine« und US-Präsident Barack Obama hätte zum Kampf gegen Assad aufgerufen, weil dieser zu prorussisch geworden sei. Wagenknecht greift das dankend auf und spricht von einem gewollten »Regime Change, weil der Machthaber strategisch nicht das tut, was den USA gefällt«.
Der Westen ist für Lüders an allem schuld
Auch zum Nahostkonflikt erfährt man Interessantes. »Es ist völlig klar, dass der Gazastreifen von Palästinensern gesäubert werden soll«, behauptet der Publizist. Belege dafür werden nicht genannt. Der Iran sei ebenfalls ein Ziel Israels und der USA, wobei er dringend vor einem »Regime Change« in Teheran warnen würde. Das Muster auch hier: Der Westen ist an allem schuld, was in der Region schiefläuft. Russische Fassbomben auf Aleppo oder das Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023 kommen in dieser Welt nicht vor.
In dem knapp 40-minütigen Gespräch zwischen der Parteivorsitzenden und dem künftigen Mitgestalter der außenpolitischen Positionen des BSW zeigte sich genau das, was die Politologin Sylke Tempel bereits vor zehn Jahren als »das Prinzip Lüders« bezeichnet hatte. »Alles wird so verdreht, dass es in sein Weltbild der bösen israelischen und amerikanischen Kriegshetzer und des armen, rein defensiven Iran passt«, schrieb sie 2012 im »Tagesspiegel«. »Das ist schnell durchschaut, rätselhaft bleibt nur, wie er sich den Ruf eines ›Experten‹ erworben haben mag.«
Lüders beklagt stets die »Dämonisierung der Islamischen Republik«.
Diese Frage ist durchaus berechtigt. Immer wieder fiel Lüders durch unsinnige wie auch falsche Behauptungen auf, beispielsweise als er zur Zeit des Afghanistan-Krieges in der 3sat-Sendung Kulturzeit gebeten wurde, die »Körper- und Zeichensprache« von Osama bin Laden zu deuten, wobei ihm ein Video des al-Qaida-Bosses gezeigt wurde, in dem dieser auf dem Boden hockte und Drohungen in die Kamera sprach. Zu sehen ist ferner eine an der Wand abgestellte Kalaschnikow. Die Tatsache, dass Osama bin Laden die Waffe gerade nicht in den Händen hielt, während er redete, sei als ein »Friedensangebot« zu verstehen, orakelte Lüders damals ins Blaue hinein. Stets verharmlost er auch Hamas und Hisbollah, fordert ihre Einbeziehung in einen »Friedens- und Demokratisierungsprozess«.
Trotzdem wird Lüders weiterhin als Nahostexperte zu Fernsehrunden eingeladen, und das, obwohl er seit Jahrzehnten stets das Gleiche zu verkünden hat. So behauptete er Ende Juli im Deutschlandfunk, dass nach der Tötung von Hamas-Chef Ismail Haniyeh sowie Hisbollah-Anführer Hassan Nasrallah durch Israel der Nahe Osten nun am »Abgrund« stehe. Wahlweise gehe die Region bald »in Flammen auf« oder es drohe ein »Armageddon im Orient«, so auch der Titel eines seiner Bücher. Israel sei dabei, alles dort »in die Luft zu jagen«. Die Apokalypse scheint seine Obsession zu sein.
Ein Krieg gegen den Iran sei ein »Zivilisationsbruch«
Iran Stets beklagt er dabei die »Dämonisierung der Islamischen Republik« und bezeichnet jegliches militärische Vorgehen gegen die Mullahs – wie etwa in seinem Buch Iran: Der falsche Krieg – als möglichen »Zivilisationsbruch«, ein Begriff, der vom Historiker Dan Diner geprägt wurde, um die Schoa zu beschreiben.
Für das BSW ist zwar außenpolitisch die Ukraine das Top-Thema und nicht der Krieg im Gazastreifen. Aber Wagenknecht und Lüders geben sich, und das zeigen sie in »Sahra trifft« in aller Deutlichkeit, reichlich Mühe, beides miteinander zu verknüpfen, schließlich ist man sowohl gegen Waffenlieferungen an die Ukraine als auch an Israel. Das BSW sei außerdem »die einzige Partei, die im Bundestag den Genozid im Gazastreifen als solchen bezeichnet hat«, so Lüders.
Womöglich erhofft man sich so zusätzliche Wähler aus den muslimischen Milieus. Auf die Frage Wagenknechts, warum er sich überhaupt im BSW engagiert, erklärt der Publizist ganz freimütig: »Ich habe noch nie jemanden gehört aus dem Umfeld des BSW, der mir gekommen wäre mit westlichen Werten oder dergleichen Dinge mehr.