Schoa-Gedenken

Lippenbekenntnisse sind »völlig wertlos und heuchlerisch«

In diesem Jahr fand das Gedenken des Europaparlaments an die Schoa vor fast leeren Bänken statt. Foto: Screenshot

Vor einem Jahr war der Plenarsaal im Brüsseler Gebäude des Europaparlaments bis auf den letzten Platz gefüllt. Für die britischen Abgeordneten war es der letzte Sitzungstag, der Brexit stand unmittelbar bevor und der Moment, Abschied zu nehmen, war gekommen.

Unmittelbar stand aber das Gedenken an die Opfer der Schoa an. Liliana Segre, die italienische Senatorin und Auschwitz-Überlebende, hielt eine Ansprache, die Tränen in die Augen vieler Parlamentarier brachte.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Seit etlichen Jahren ist der Internationale Holocaust-Gedenktag ein fester Programmpunkt im Kalender des Europäischen Parlaments. Doch in diesem Jahr waren das Plenum und die Besuchertribüne leer. Nur rund ein Dutzend Abgeordnete hatten sich eingefunden. Dennoch wollte Parlamentspräsident David Sassoli das Gedenken nicht der Corona-Pandemie zum Opfer fallen lassen. Kurzerhand hatte er eine virtuelle Zeremonie anberaumt.

ZEITZEUGEN In seiner Ansprache sagte Sassoli, man habe auch heute die Pflicht, die Erinnerung wach zu halten an die Schoa, die »dunkelste Seite der Menschheit, den totalen Verlust des grundlegendsten Gefühls des Mitgefühls«. Weil es bald keine Zeitzeugen mehr gebe, müsse man nun »mit der Kraft der Vernunft und ohne die wertvolle Hilfe derer, die die Verwüstung, die Grausamkeit und die ruinöse Kraft des nationalistischen Teufels erlebt haben«, die Arbeit fortsetzen.

Immer müsse man sich bewusst sein, dass »jene, die dieses Grauen erlebt haben, uns demokratische europäische Institutionen hinterlassen haben. Es ist nun unsere Aufgabe, die Demokratie und ein freies Europa zu schützen«, rief der italienische Sozialdemokrat. Das sei man den Holocaust-Opfern schuldig.

Als Gastredner hatte der Parlamentsvorsteher den Vertreter der Roma-Minderheit in Ungarn, Gyula Sárközi, und Moskaus Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt eingeladen, seines Zeichens Präsident der Europäischen Rabbinerkonferenz (CER).

Letzterer fand in seiner Videobotschaft durchaus lobende Worte für die Europäische Union und hob ihre Bedeutung gerade für die jüdische Minderheit hervor. Europa könne eine jüdische Zukunft garantieren, weil es auf liberal-demokratischen Prinzipien basiere und darüber hinaus physische Sicherheit und Religionsfreiheit biete.

WERTE Goldschmidt sparte aber nicht mit Kritik. Mit Bedauern beobachte man, dass immer mehr EU-Staaten dabei seien, Restriktionen gegen die jüdische Gemeinschaft zu erlassen und so die Glaubensfreiheit zu beschneiden. Viele europäischen Juden seien Nachfahren von Überlebenden der Schoa. »Die Frage, die wir uns heute stellen sollten, ob wir den gleichen Weg gehen werden, den Europa vor fast einem Jahrhundert ging? Oder werden wir unsere Werte verteidigen?« so Goldschmidt.

Mit Bedauern beobachte man, dass immer mehr Länder dabei seien, neue Restriktionen gegen die jüdische Gemeinschaft in Europa zu erlassen und damit die Glaubensfreiheit zu beschneiden, welche Juden in Europa seit weit über einem Jahrtausend genossen hätten. Nach der Schoa hätten viele Juden entschieden, ihr Judentum nur noch im Privaten zu leben und hätten sich aus dem öffentlichen Raum zurückgezogen.

Auch die Bestätigung des Verbots des koscheren Schlachtens in Belgien durch den Europäischen Gerichtshof und Initiativen in Skandinavien für ein Verbot der religiösen Beschneidung stünden im Widerspruch zur Religionsfreiheit. Europa sei der einzige Kontinent der Welt, auf dem solche Initiativen stattfänden, beklagte der CER-Präsident. Wenn die Verantwortlichen dort wirklich wollten, dass die verbliebenen Juden hierblieben, müssten Letztere ihren Glauben auch frei praktizieren können.

HEIMAT EUROPA Dann wurde Goldschmidt deutlich. Die Beteuerungen europäischer Politiker, wonach jüdisches Leben geschätzt und respektiert werde, seien angesichts der jüngsten Gerichtsentscheidungen »völlig wertlos und heuchlerisch«, wetterte Goldschmidt - forderte ein Ende der gesetzgeberischen Einschränkungen. Er wandte sich direkt an den italienischen Präsidenten der europäischen Volksvertretung: »Ich sage Ihnen, mein Freund, »wenn Europa will, dass die verbleibenden Juden hier bleiben, verankern Sie die Rechte der religiösen Minderheiten, ihren Glauben zu leben.«

Zu Beginn seiner Ansprache hatte der Oberrabbiner an seine ungarischen Urgroßeltern Jacob und Mariam Schwartz erinnert, die 1944 im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau ermordet worden waren. Wenn die Religionsfreiheit in Europa nicht garantiert werde, hätten die Nachfahren von Jacob und Mariam Schwartz Schwierigkeiten, Europa weiter zu ihrer Heimat zu machen.

Meinung

Nur scheinbar ausgewogen

Die Berichte der Öffentlich-Rechtlichen über den Nahostkonflikt wie die von Sophie von der Tann sind oft einseitig und befördern ein falsches Bild von Israel

von Sarah Maria Sander  20.04.2025

Meinung

Wenn deutsche Ex-Diplomaten alle antiisraelischen Register ziehen

Deutschland darf nicht länger schweigen? Eine Erwiderung von Daniel Neumann auf den vielsagenden »FAZ«-Gastbeitrag ehemaliger Botschafter

von Daniel Neumann  18.04.2025

Einspruch

Niemals vergessen!

Eva Umlauf will nicht hinnehmen, dass immer mehr Deutsche einen Schlussstrich unter die NS-Zeit ziehen möchten

von Eva Umlauf  18.04.2025

Essay

Der verklärte Blick der Deutschen auf Israel

Hierzulande blenden viele Israels Vielfalt und seine Probleme gezielt aus. Das zeigt nicht zuletzt die Kontroverse um die Rede Omri Boehms in Buchenwald

von Zeev Avrahami  18.04.2025

Kommentar

Bis zuletzt wollte Mustafa A. aus Lahav Shapira einen Täter machen

Dem Täter tue es leid, dass sein Angriff »instrumentalisiert wird, um jüdischen Bürgern Angst einzuflößen«. Ein unverfrorener Satz

von Nils Kottmann  17.04.2025

Berlin

Drei Jahre Haft für Mustafa A.

Der Prozess gegen den Angreifer von Lahav Shapira ist am Donnerstag zu Ende gegangen. Das Amtsgericht Tiergarten ging von einem antisemitischen Motiv aus und sprach den Täter der gefährlichen Körperverletzung schuldig

 17.04.2025

Berlin

100 Strafverfahren nach Besetzung der Humboldt-Universität

Die Polizei ermittelt unter anderem wegen Hausfriedensbruch und Volksverhetzung. Während der Besetzung sollen Aktivisten mutmaßlich Urin aus einem Fenster geschüttet haben

 17.04.2025

Analyse

Kleinster gemeinsamer Nenner

Im Koalitionsvertrag von Union und SPD steht kaum Konkretes über Israel und den Kampf gegen Antisemitismus

von Michael Thaidigsmann  17.04.2025

Sebnitz

»Keine Hakennasen«: Jobanzeige eines Dachdeckers sorgt für Empörung

Die Stadtverwaltung der sächsischen Kreisstadt hat gegen den Urheber einer Anzeige im Amtsblatt Strafantrag gestellt

 17.04.2025 Aktualisiert