Er tritt bescheiden auf, der Tischlermeister Thomas Thiele. »Ich sehe mich als ordentlichen Handwerker mit Herzblut«, sagt er in seiner Dessauer Werkstatt auf die Frage, ob er sich als Lebensretter fühlt. Denn mit seiner Hände Arbeit hat der 47-Jährige dazu beigetragen, dass mehr als 50 Menschen beim Attentat auf die Synagoge in Halle am 9. Oktober 2019 nicht getötet wurden.
Thiele hat die Tür gebaut, die dem terroristischen Anschlag eines Rechtsextremisten am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur standgehalten hat. Zwei Menschen verloren an dem Tag dennoch ihr Leben, eine 40 Jahre alte Passantin vor der Synagoge und ein 20-Jähriger in einem nahen Dönerimbiss. Mindestens zwei Menschen verletzte der geständige Attentäter auf seiner Flucht schwer, bevor er von der Polizei kilometerweit entfernt in einem Auto gestoppt werden konnte.
MILLIMETER »Es ist für mich bis heute nicht vorstellbar, was gewesen wäre, wenn meine Tür nicht gehalten hätte, wenn es noch mehr Opfer gegeben hätte«, sagt Thiele mit belegter Stimme. Dabei legt er zugleich in Millimeterarbeit letzte Handgriffe an für die neue, rund 160 Kilogramm schwere Tür für die Synagoge der Jüdischen Gemeinde, die am Dienstag in Halle eingesetzt werden soll.
»Das ist die stabilste Tür, die ich je gebaut habe«, sagt der gestandene Handwerker.
»Das ist die stabilste Tür, die ich je gebaut habe«, sagt der gestandene Handwerker mit Schwielen an den Händen. Immer wieder prüft Thiele sorgsam und konzentriert, ob alles korrekt ist an der neuen, zusätzlichen Sicherheitstechnik. Er streicht sanft über das dicke Eichenholz der zwei Meter hohen und 1,10 Meter breiten Massivtür.
BLUMEN Viele schlaflose Nächte habe er hinter sich, dass auch ja alles richtig wird. Optisch gleicht die Sicherheitstür eins zu eins der Tür, die er 2010 gebaut hatte. Deren Bild ging um die Welt - mit mehreren Einschusslöchern - mit einem Meer von Blumen, Kerzen und Fotos davor. Menschen schrieben Briefe an die Hinterbliebenen der Opfer. Trauer, Fassungslosigkeit und Proteste von Tausenden Menschen gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit bestimmten die Szenerie in Halle und andernorts.
Der heute 28 Jahre alte Attentäter steht nun vor Gericht. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm vor, »aus einer antisemitischen, rassistischen und fremdenfeindlichen Gesinnung heraus einen Mordanschlag auf Mitbürgerinnen und Mitbürger jüdischen Glaubens« geplant zu haben.
Zu Prozessbeginn räumte der Beschuldigte die Vorwürfe im Wesentlichen ein, machte aus seiner Ideologie keinen Hehl. 13 Straftaten werden dem Angeklagten angelastet, darunter Mord und versuchter Mord. Max Privorozki, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Halle, ist einer der mehr als 40 Nebenkläger.
Den Prozess versuchte der Attentäter zum Auftakt als Bühne zu nutzen. Das Gericht müsse ihn in die Schranken weisen, meint der Tischlermeister.
Er erhofft sich von dem Prozess vor dem Oberlandesgericht Naumburg Aufklärung darüber, wie ein Mensch zu einem fanatischen Antisemiten und Mörder wird, und welche praktischen und geistigen Unterstützer er hatte. »Ich kann nicht glauben, dass er ein Einzeltäter war, es müssen Menschen davon gewusst haben - oder sie wollten es auch nicht glauben«, sagt Privorozki. In der Nazi-Zeit hätten Menschen neben Konzentrationslagern und Krematorien gelebt. »Und sie wollten es nicht wissen, was dort passiert«, sagt Privorozki.
FASSUNGSLOS Den Prozess versuchte der Attentäter zum Auftakt als Bühne zu nutzen. Das Gericht müsse ihn in die Schranken weisen, meint der Tischlermeister, der die Berichte mit Fassungslosigkeit verfolgte.
Seine Tür - über die Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seiner Weihnachtsansprache am 25. Dezember 2019 sagte: »Es ist ein Wunder, dass sie standgehalten hat. Dass nicht noch mehr Menschen diesem brutalen antisemitischen Anschlag zum Opfer gefallen sind - nicht noch mehr als die zwei, die ermordet worden sind.« - soll Teil eines Mahnmals auf dem Gelände der Synagoge werden. »Und hoffentlich muss auch meine neue Tür niemals zeigen, was sie kann«. Leben retten.