Dokumentation

Lesen Sie hier den Entwurf für die Antisemitismus-Resolution

Am Donnerstag wird im Bundestag über die Antisemitismus-Resolution abgestimmt Foto: picture alliance/dpa

Antrag - ENTWURF
der Fraktionen der SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP

Nie wieder ist jetzt: Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken

Der Bundestag wolle beschließen:

Am 9. November 2023 hat im Deutschen Bundestag eine Debatte zum Schutz jüdischen Lebens stattgefunden. Anlässlich dieser Debatte mit dem Titel »Historische Verantwortung wahrnehmen – Jüdisches Leben in Deutschland schützen« haben sowohl die Koalition (BT-Drucksache 20/9149 neu) als auch die CDU/CSU-Fraktion (BT-Drucksache 20/9145) wichtige Entschließungsanträge vorgelegt, die die Grundlage für Initiativen im Bund und in den Ländern bilden können. Mit dem vorliegenden Antrag unterstreichen wir, dass die Bekämpfung des Antisemitismus die gemeinsame Aufgabe aller Demokratinnen und Demokraten darstellt.

Deutschland trägt vor dem Hintergrund der Shoah, der Entrechtung und der Ermordung von sechs Millionen europäischer Jüdinnen und Juden, eine besondere Verantwortung im Kampf gegen Antisemitismus. Wir müssen auf Antisemitismus hinweisen, vor ihm warnen und laut und sichtbar gegen ihn eintreten.

Der Deutsche Bundestag ist dankbar, dass es nach der nationalsozialistischen Diktatur und trotz der Shoah wieder jüdisches Leben und jüdische Kultur in Deutschland gibt. Ihre Existenz ist eine Bereicherung unserer Gesellschaft und angesichts unserer Geschichte eine besondere Vertrauenserklärung gegenüber unserer Demokratie und unserem Rechtsstaat, der wir gerecht werden wollen und die uns immer Verpflichtung sein soll.

Der Kampf gegen den Antisemitismus ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Er kann nicht allein staatliche Aufgabe oder gar Aufgabe der in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden sein. Insbesondere Parteien und zivilgesellschaftliche Organisationen müssen deutlich machen, dass für antisemitische Ansichten in ihren Reihen kein Platz ist.

Seit dem grausamen Terror-Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 sehen wir in Deutschland Judenhass und israelbezogenen Antisemitismus auf einem seit Jahrzehnten nicht dagewesenen Niveau. Der Anstieg antisemitischer Einstellungen und Taten ist zutiefst beunruhigend. Antisemitismus ist ein hochgradig dynamisches, zutiefst menschenfeindliches Phänomen. Die Entwicklung seit dem 7. Oktober 2023 ist sowohl auf einen zunehmend offenen und gewalttätigen Antisemitismus in rechtsextremistischen und islamistischen Milieus als auch auf einen relativierenden Umgang und vermehrt israelbezogenen und links-antiimperialistischen Antisemitismus zurückzuführen.

In den vergangenen Monaten ist nicht zuletzt das erschreckende Ausmaß eines Antisemitismus deutlich geworden, der auf Zuwanderung aus den Ländern Nordafrikas und des Nahen und Mittleren Ostens basiert, in denen Antisemitismus und Israelfeindlichkeit, auch aufgrund islamistischer und antiisraelischer staatlicher Indoktrination, verbreitet sind. Klar ist aber auch: Antisemitismus findet sich seit langem in allen gesellschaftlichen Bereichen und hat verschiedene Nährböden. Verschwörungsideologien und antisemitische Narrative sind in den vergangenen Jahren in allen gesellschaftlichen Gruppen anschlussfähiger geworden. Völkische und rechtsextreme Positionen sind auf dem Vormarsch und die Personenzahl mit gefestigt rechtsextremistischer Einstellung steigt an. All dies führt zu einer massiven Verunsicherung unter Jüdinnen und Juden in Deutschland.

Der Deutsche Bundestag verurteilt antisemitische Angriffe und Übergriffe auf das Schärfste. Jede einzelne Attacke ist zugleich ein Angriff auf die Werte und Grundsätze, auf denen unser Zusammenleben und unsere Demokratie fußen.

Die Gedenkstunde des Deutschen Bundestages für die Opfer des Nationalsozialismus vom 31. Januar 2024 hat auf eindrückliche Weise erneut deutlich gemacht, dass die Verbrechen der Shoah auch 79 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges nichts an Schrecken verloren haben und bis heute nachwirken. Die eindringlichen, persönlichen Worte der Shoah-Überlebenden Eva Szepesi und des Journalisten Marcel Reif, als Vertreter der Nachfolgegeneration, hallen nach, sie dürfen nicht in Vergessenheit geraten.

Jüdisches Leben in all seinen Facetten ist heute ein selbstverständlicher und integraler Bestandteil unseres Landes. Dies ist ein großes Glück. Die Vielfalt jüdischen Lebens anzuerkennen, sichtbar zu machen, zu bewahren und zu schützen, ist Ausdruck der deutschen Staatsräson. Diese Selbstverpflichtung ergibt sich aus unserer liberalen Demokratie sowie aus unserer besonderen historischen Verantwortung gegenüber Jüdinnen und Juden weltweit, und sie begründet gleichsam unser unverrückbares Schutzversprechen an das Existenzrecht des Staates Israel als sichere Heimstätte des jüdischen Volkes. Sie fordert uns auf, Haltung zu zeigen und aufzustehen gegen jede Form von Antisemitismus.

»Nie wieder!« war, ist und bleibt eine Aufgabe für unsere gesamte Gesellschaft, denn Hass und Feindschaft gegen Jüdinnen und Juden sind kein exklusives Merkmal einer bestimmten Gruppe, sondern finden sich seit jeher in allen gesellschaftlichen Gruppen. Um unserer Verantwortung gerecht zu werden und jüdisches Leben in Deutschland auch zukünftig zu ermöglichen, müssen wir die Aktivitäten für die Stärkung und Sichtbarmachung des vielfältigen jüdischen Lebens weiter intensivieren und durch Wis-sensvermittlung Vorurteilen vorbeugen.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, jüdisches Leben in Deutschland zu stärken. Dazu gehört unter anderem, die Erinnerung an die Shoah wachzuhalten und insbesondere die Arbeit der Gedenkstätten und Erinnerungseinrichtungen sowie die historisch-politische Bildungsarbeit zu fördern.

Wo Länder im Rahmen ihrer Zuständigkeit die Vereinbarung von Religionsausübung und Beruf insbesondere mit Blick auf die Einhaltung jüdischer Feiertage gewährleisten, begrüßt der Deutsche Bundestag dies.

Der Deutsche Bundestag bekräftigt die haushaltsrechtlichen Regelungen für die Mittelvergabe auf dem Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung für alle Zuwendungsempfänger des Bundes. Der Deutsche Bundestag bekräftigt seinen Beschluss, dass sicherzustellen ist, dass keine Organisationen und Projekte finanziell gefördert werden, die Antisemitismus verbreiten, das Existenzrecht Israels in Frage stellen, die zum Boykott Israels aufrufen oder die die BDS-Bewegung aktiv unterstützen.

In diesem Zusammenhang sind der Beschluss der Bundesregierung vom 20. September 2017, der die IHRA-Arbeitsdefinition von Antisemitismus politisch bekräftigt, und der Beschluss des Deutschen Bundestages vom 17. Mai 2019, in dem sich der Bundestag zur IHRA-Arbeitsdefinition bekennt, als maßgeblich heranzuziehen.

Die Bundesregierung wird aufgefordert, sich gegenüber den Ländern und Kommunen dafür einzusetzen, dass sie entsprechende Regelungen implementieren und, sofern noch nicht geschehen, die IHRA-Antisemitismusdefinition als maßgeblich heranziehen.

Wir müssen uns weiterhin für die Sicherheit jüdischen Lebens und den Schutz jüdischer Einrichtungen engagieren und die jüdische Gemeinschaft in unserem Land angemessen fördern. Judenhass muss auch im digitalen Raum, insbesondere in den sozialen Medien, entschlossen bekämpft werden. Gezielter Desinformation und Aufrufen zu antidemokratischer Mobilisierung müssen wir entgegenwirken.

Der Deutsche Bundestag begrüßt ausdrücklich die wertvolle Arbeit des Beauftragten der Bundesregierung Dr. Felix Klein bei der Bekämpfung von Antisemitismus und der Förderung lebendigen jüdischen Lebens in Deutschland.

Die Nationale Strategie gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben ist vollständig und nachhaltig auszufüllen und umzusetzen. Dazu gehört es unter anderem, »Gesetzeslücken zu schließen und repressive Möglichkeiten konsequent auszuschöpfen« (NASAS, S. 39). Dies gilt in besonderem Maße im Strafrecht sowie im Aufenthalts-, Asyl- und Staatsangehörigkeitsrecht, um eine möglichst wirksame Bekämpfung von Antisemitismus zu gewährleisten. Dort, wo die Bundesregierung dies bereits in Angriff genommen hat, begrüßt der Deutsche Bundestag dies.

Der Deutsche Bundestag begrüßt im Übrigen das Verbot der Betätigung der Terrororganisation Hamas sowie des internationalen Netzwerks Samidoun durch die Bundesregierung. Nun müssen weitere extremistische Organisationen überprüft und, sofern möglich, verboten werden.

Der Deutsche Bundestag bekräftigt seinen Beschluss vom 17. Mai 2019 mit dem Titel »Der BDS-Bewegung entschlossen entgegentreten – Antisemitismus bekämpfen« (BT-Drucksache 19/10191) und fordert die Bundesregierung auf, zu dessen Umsetzung die gegen die BDS-Bewegung gerichteten Aktivitäten zu verstärken. Dazu zählt, dass auch ein Betätigungsverbot oder ein Organisationsverbot von BDS in Deutsch-land geprüft wird.

Die Meinungsfreiheit und die Freiheit von Kunst und Wissenschaft sind hohe Güter und werden durch unser Grundgesetz garantiert und geschützt.

Auch in den Reihen von Kunst und Kultur sowie der Medien darf es keinen Raum für Antisemitismus geben. Die Ursachen und Hintergründe der großen Antisemitis-musskandale der letzten Jahre in diesen Bereichen, insbesondere auf der ›documenta fifteen‹ und der Berlinale im Februar 2024 müssen umfassend aufgearbeitet und Konsequenzen gezogen werden. Dort, wo die Bundesregierung dies bereits in Angriff genommen hat – zum Beispiel durch Sensibilisierungsmaßnahmen und Codes of Conduct für die bundesgeförderten Einrichtungen in Bezug auf Antisemitismus –, begrüßt der Deutsche Bundestag dies.

In diesem Rahmen und auf der Grundlage der Gemeinsamen Erklärung der Kulturministerkonferenz, der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und der kommunalen Spitzenverbände vom 13. März 2024 sollen Länder, Bund und Kommunen – soweit noch nicht erfolgt – rechtssichere, insbesondere haushälterische Regelungen erarbeiten, die sicherstellen sollen, dass keine Projekte und Vorhaben insbesondere mit antisemitischen Zielen und Inhalten gefördert werden. Kunst- und Kulturveranstaltungen sowie -einrichtungen sollten gemeinsam mit Experten antisemitismuskritische Codes of Conduct und Awarenessstrategien als Leitfaden ihres Handelns anwenden.

Die Freiheit des Denkens muss an den Hochschulen gewährleistet sein. Artikel 5 des Grundgesetzes garantiert die Wissenschaftsfreiheit mit Verfassungsrang. Dies muss uneingeschränkt auch für Lehrende wie Studierende mit jüdischen Wurzeln, israelischer Herkunft oder mit israelsolidarischem Denken gelten. Unsere Hochschulen müssen sichere Orte für diese Studierenden und Lehrenden sein. Die ordnungsgemäße Durchführung von Veranstaltungen muss gewährleistet sein.

Antisemitisches Verhalten muss Konsequenzen haben. Deshalb sind Schulen und Hochschulen darin zu unterstützen, weiterhin von ihren rechtlichen Möglichkeiten Gebrauch zu machen oder entsprechende Möglichkeiten zu implementieren. Dazu gehören die Anwendung des Hausrechts, der Ausschluss von Unterricht oder Studium bis hin zur Exmatrikulation in besonders schweren Fällen.

Hier wäre es hilfreich, den Kampf insbesondere gegen Antisemitismus verbindlich in die entsprechenden Curricula von Studiengängen aufzunehmen, Lehrende entsprechend zu qualifizieren und flächendeckend Beauftragte gegen Antisemitismus an Hochschulen zu ernennen.

Angesichts zunehmender judenfeindlicher Vorfälle, wie zuletzt der abscheuliche Überfall auf einen jüdischen Studenten durch einen israelfeindlichen Kommilitonen in Berlin, fordert der Deutsche Bundestag die Bundesregierung auf, auf die Länder einzuwirken, eine Überprüfung der Hochschulgesetze auf Lücken und Anpassungen im Sinne notwendiger Sanktionsmöglichkeiten durchzuführen; soweit Landesgesetzgeber dies bereits in Angriff genommen haben, begrüßt der Deutsche Bundestag dies ausdrücklich.

Die noch offenen Fragen zum Aufbau des Deutsch-Israelischen Jugendwerks insbesondere vor dem Hintergrund der weltpolitischen Entwicklungen sind zügig zu entscheiden.

Wir fordern die Bundesregierung auf, weiterhin aktiv für die Existenz und die legitimen Sicherheitsinteressen des Staates Israel als ein zentrales Prinzip der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik einzutreten und die Anstrengungen für eine verhandelte Zwei-Staaten-Lösung zu verstärken, im international geteilten Einvernehmen, dass dies die beste Chance für eine tragfähige Friedenslösung bietet, mit dem Ziel, die wiederkehrende Gewalt zu beenden und den Menschen auf der israelischen und palästinensischen Seite ein Leben in Sicherheit, Freiheit, Würde und mit gleichen Rechten zu ermöglichen.

Israel hat das völkerrechtlich verbriefte Recht, sich gegen völkerrechtswidrige Angriffe zu verteidigen und damit die anerkannte Pflicht, seine Bürger unter Wahrung seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen vor Terror zu schützen. Wir fordern die Bundesregierung auf, sich auch weiterhin in internationalen Gremien und gegenüber inter-nationalen Partnern für dieses Recht einzusetzen.

Wir begrüßen, dass die Bundesregierung auf EU-Ebene mit Nachdruck eine Listung terroristischer Gruppierungen vorantreibt, die Listung des militärischen Teils der Hisbollah entschieden umsetzt und bereits eine Reihe von Sanktionierungen gegen Mitglieder solcher Organisationen vorgenommen hat, die das Existenzrecht Israels nicht nur negieren, sondern Israel aktiv bekämpfen. Hierzu zählen in erster Linie die iranischen Revolutionsgarden. Der Schutz jüdischen Lebens bleibt für Deutschland eine weltweite Verpflichtung.

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