Satan lässt grüßen. Auch im 42. Jahr seit der Gründung der Islamischen Republik sind in iranischen Schulbüchern die Konfliktlinien klar definiert und lassen sich auf eine Formel bringen: Der Westen will uns Muslimen an den Kragen. Vor allem die aktuelle Coronavirus-Krise hat diesem Weltbild eine neue Konjunktur beschert.
Die Anti-Defamation League (ADL) hat in einer Studie die vom Bildungsministerium in Teheran vorgegebenen Unterrichtsmaterialien unter die Lupe genommen. Laut den Lehrbuchtexten hätten westliche Medien durch das Verbreiten von gezielten Gerüchten, dass man die Pandemie im Iran nicht im Griff habe, die Feierlichkeiten zum 41. Jahrestag der Islamischen Revolution im vergangenen Jahr torpedieren wollen.
sanktionen Auch seien die amerikanischen Sanktionen gegen das Regime der Mullahs Teil eines »satanischen Plans« gegen den Islam und das iranische Volk. Nur der »große Dschihad« und das »Blut der Jugend« würden Schlimmeres verhindern – weshalb Märtyrertum in den Curricula weiterhin großgeschrieben wird.
Die Anti-Defamation League (ADL) hat in einer Studie die vom Bildungsministerium in Teheran vorgegebenen Unterrichtsmaterialien unter die Lupe genommen.
Doch das ist nur eine Seite der Medaille, wie David Weinberg, ADL-Direktor für Internationale Angelegenheiten in Washington, betont. Darüber hinaus werden die Schüler dazu angehalten, Parolen wie »Tod Israel« zu skandieren, und zur Vernichtung des jüdischen Staats aufgerufen. Auch ist viel von jüdischen Verschwörungen gegen den Islam die Rede, die es bereits seit den Tagen des Propheten geben würde.
Dies sei umso erstaunlicher, betont Weinberg, weil es in einigen Ländern in der Region zu einem Umdenken gekommen und antisemitische Inhalte aus Lehrplänen gestrichen worden seien. Im Iran dagegen habe es in den vergangenen fünf Jahren eher eine Radikalisierung gegeben.
NARRATIVE »Leider ist der Antisemitismus in offiziellen Schulbüchern in vielen Teilen des Nahen Ostens weiterhin ein verbreitetes Problem«, sagt Weinberg und verweist auf die Unterrichtsmaterialien, die beispielsweise auf dem Gebiet der Palästinensischen Autonomiebehörde in Gebrauch sind. »Juden werden darin dämonisiert, der Staat Israel delegitimiert und der Holocaust ignoriert. All das macht die Aussichten auf eine Koexistenz und friedliche Beilegung des Konflikts zunichte.«
Im Falle des Irans kommen aber noch ganz andere Narrative zur Geltung. »Sowohl die USA als auch die Europäische Union sowie Israel und die arabischen Staaten werden entweder als Strippenzieher oder Marionetten des Imperialismus dargestellt. Sie alle sind Figuren in einem ständigen Existenzkampf zwischen der wahren Religion und ihren Feinden.«
Juden werden in diesem Kontext so dargestellt, als ob sie schon immer diese Rolle gespielt hätten. »Einzige Ausnahmen sind die jüdische Minderheit im Iran oder solche, die sich ausdrücklich von jeder Art von Zionismus distanzieren. Ansonsten gelten sie als ›Feinde des Islam‹ und Teil eines globalen imperialistischen Komplotts.«
terroristen Die Tötung von international gesuchten Terroristen wie Qassem Soleimani und Abu Mahdi al-Muhandis vor einem Jahr durch eine amerikanische Drohne in Bagdad bot zudem Anlass, von der Jugend mehr Militanz und Bereitschaft zur Selbstopferung einzufordern.
Experten sehen eine wachsende Kluft zwischen den Mullahs und der Jugend.
Die Ergebnisse der ADL-Studie bestätigen das, was bereits längere Zeit von anderen Experten beobachtet wurde. »Seit der Machtübernahme der religiösen Revolutionäre im Jahr 1979 versucht man, mit systematischer Gehirnwäsche in den Schulen und an den Universitäten die herrschende Ideologie in die Köpfe der nächsten Generation zu pflanzen«, sagte der in Deutschland lebende Wissenschaftsjournalist Erfan Kasraie, der sich ebenfalls mit den Curricula im Iran beschäftigt, im vergangenen November der Deutschen Welle. Die Tatsache, dass ständig neue Konzepte für die weitere Islamisierung der Schulbücher entwickelt werden müssen, deutet er als Indiz für eine wachsende Kluft zwischen den Mullahs und der Jugend.
»Die ungeheuerlichen Schulbuch-Texte sind seit 42 Jahren bekannt«, sagt Omid Nouripour (Bündnis 90/Die Grünen). »Ich selbst musste diese antisemitische, anti-israelische und anti-amerikanische Hetze in der Schule lesen und zusammen mit meinen Schulkameraden beim täglichen Morgenappell auf dem Schulhof ›Tod den USA‹ und ›Tod Israel‹ skandieren«, so der Grünen-Sprecher für Außenpolitik.
»Al-Quds-Tag« »Es gibt ja auch schon ältere Untersuchungen darüber, beispielsweise die des American Jewish Committee (AJC)«, sagt Nouripour. »Die ADL-Studie ist nicht nur eine gute Zusammenfassung, sondern auch eine Aktualisierung der an Kinder gerichteten Propaganda, inklusive der gefährlich-verharmlosenden Corona-Verschwörungstheorien. Dass die Schulbücher im Iran eine Abbildung der eliminatorischen Politik des Systems Israel gegenüber sind, sollte spätestens seit der Ausrufung des ›Al-Quds-Tages‹ durch den Revolutionsbegründer Ayatollah Khomeini allen bekannt sein, auch in Deutschland.«
Für ihn gehört dieses Thema auf die lange Liste der enormen Herausforderungen, die derzeit von Teheran ausgehen. »Die Drohungen gegen Israel, die aggressive Regionalpolitik Irans, das ballistische Raketenprogramm, das Nuklearprogramm und die katastrophale Menschenrechtslage im Land sind die anderen großen Probleme, die wir Europäer zusammen mit unseren amerikanischen Freunden adressieren müssen.«