Nazibau, Symbol der Luftbrücke, Naherholungsort, Sanierungsfall: Der stillgelegte Flughafen Tempelhof hat eine lange Geschichte und viele Gesichter. Initiator des Projekts Zentralflughafen war Leonhard Adler, der aus einer jüdischen Familie stammte. Zum 100. Geburtstag öffnet der Flughafen seine Pforten für »100 Stunden nonstop Jubiläumsprogramm« bis zum 10. Oktober.
Am Anfang standen Bretterbuden
Vor 100 Jahren wurde der Flughafen dem Verkehr übergeben, und zwar nach gerade einmal acht Monaten Bauzeit. Rund 700 mal 1000 Meter Start- und Landefläche wurden auf dem Nordrand des Tempelhofer Feldes planiert, zwei jeweils 1000 Quadratmeter große Hallen für Flugzeuge errichtet sowie ein Verwaltungs- und Abfertigungsgebäude für Passagiere, beides eher simple Bretterbuden. Am 8. Oktober 1923 hoben die ersten Flüge ab, einer ging nach Danzig, der andere nach München.
Initiator des Projekts Zentralflughafen für Berlin war Leonhard Adler, Sprössling einer jüdisch-österreichischen Industriellenfamilie, der 1882 in Mailand zur Welt gekommen war. In Wien studierte er Maschinenbau und Elektrotechnik, wo er anschließend für die von Emil Rathenau gegründete Allgemeine Electricitäts-Gesellschaft (AEG) arbeitete. Der damals weltgrößte Elektrokonzern bot ihm einen Posten in Berlin, und der ambitionierte Ingenieur nahm an.
Ausgerechnet Katholiken ließen Adler Karriere machen
Doch mit seinem Judentum fremdelte Adler schon in jungen Jahren, weshalb er 1906 erst zum Protestantismus und 1917 nach einer Verletzung im Ersten Weltkrieg mit anschließendem religiösen Erweckungserlebnis zum Katholizismus konvertierte. Das erklärt dann auch, warum 1920, also in dem Jahr, in dem die bisherige Stadtgemeinde Berlin durch die Eingemeindung von sechs kreisfreien Städten wie Lichtenberg oder Wilmersdorf zu Groß-Berlin wurde, ausgerechnet die katholische Zentrumspartei den parteilosen Adler zum Stadtbaurat für Verkehr in Berlin machte, wodurch er ebenfalls die deutsche Staatsbürgerschaft erhielt.
Doch nicht nur die Neuorganisation des Nahverkehrs in der Riesen-Metropole war Adlers Job – so geht die Gründung der Berliner Verkehrs-AG (BVG) im Jahr 1928 ebenfalls mit auf sein Konto. Auch der Luftverkehr fiel in seinen Aufgabenbereich. Sein Vorschlag von 1922, das Tempelhofer Feld zum Stadtflughafen auszubauen, stieß damals aber auf taube Ohren – schließlich hatte man andere Probleme. 1923 herrschte Hyperinflation, auch besaß Berlin bereits zwei Flugplätze. Nur waren diese im wahrsten Sinne des Wortes weit weg in der Pampa, und zwar in Staaken und in Johannisthal. Und für das Tempelhofer Feld gab es andere Pläne, entweder sollte dort ein Neubaugebiet entstehen, ein Volkspark oder ein Messegelände.
Flughafen-Gegnern ging wortwörtlich ein Licht auf
Und da hatte Adler eine Idee. Er kontaktierte die Luftfahrtgesellschaft des Flugzeugbauers Junkers sowie deren Konkurrenten Aero Lloyd mit folgenden Worten: »Es wäre lieb, wenn es sich bei Eintreten günstiger Witterung ermöglichen ließe, einzelnen Mitgliedern der städtischen Verkehrsdeputation, die auch bei der Flughafenfrage mitzuentscheiden haben, Gelegenheit zu geben, eventuell an einem kleinen Flug über Berlin oder nach Dessau teilzunehmen.« Kurzum, Adler wollte dergestalt Überzeugungsarbeit leisten, wie der RBB berichtet. Angeblich waren die Lokalpolitiker von dem Flug so begeistert, dass sie sofort ihr Okay für Tempelhof gaben.
Auf der Internetseite der Interessengemeinschaft City-Airport Tempelhof dagegen ist zu lesen, dass Vertreter der Stadt Berlin im März 1923 nach Leipzig flogen, um sich die Frühjahrsmesse näher anzuschauen. Ihr Rückflug verzögerte sich aber, weshalb sie in der Dunkelheit nicht wieder in Johannisthal landen konnten. Mitarbeiter von Junkers hätten dann Petroleumlampen auf dem Tempelhofer Feld platziert und so eine Nachtlandung möglich gemacht, die die Stadtverordneten von dem Konzept Stadtflughafen überzeugte.
Das Wort »Flughafen« soll von Adler stammen, davor sei von »Flugfeld« die Rede gewesen.
»War diese eindrucksvolle Demonstration für das Flughafenprojekt des Dr. Leonhard Adler wirklich nur Ergebnis einer Reihe von Zufälligkeiten, oder waren hier auch geschickte Planung und Regieführung im Spiel? Wir wissen es nicht genau.« Übrigens soll auch das Wort »Flughafen« von Adler stammen, davor sei immer nur von Flugfeldern oder -plätzen die Rede gewesen.
Göring riet Adler indirekt zur Flucht
1933 verlor Adler seinen Posten als Aufsichtsratsvorsitzender der 1924 gegründeten Berliner Flughafen-Gesellschaft (BFG). Es war aber weniger seine jüdische Herkunft als vielmehr seine Nähe zu Erich Klausener, Leiter der Katholischen Aktion und kein Freund der Nazis, die ihn bei den neuen Machthabern schnell in Ungnade fallen ließ.
Laut Leonhard Adlers Sohn Manfred soll der italienische Luftwaffenminister Italo Balbo ihm auf Anraten Hermann Görings nahegelegt haben, Deutschland zu verlassen. Adler ging in das von Italien kontrollierte Libyen, baute in Tripolis den Nahverkehr auf und überlebte dort von Priestern versteckt – seit 1938 galten dort ebenfalls die antisemitischen Rassengesetze – den Krieg. Nach 1945 stieg er sogar noch zum Generaldirektor der Verkehrsbetriebe seiner Geburtsstadt Mailand auf.
In seinen letzten Lebensjahren hatte Adler aber einen weiteren, recht ungewöhnlichen Job, nämlich als Arbeiterseelsorger. Obwohl verheiratet, trat er dem Franziskaner-Orden bei. Dafür war eine päpstliche Genehmigung notwendig, die er von Pius XII. problemlos erhielt, und so wurde 1956 aus dem Verkehrsexperten Pater Leonardo. Wie oft er in dieser Zeit bis zu seinem Tod 1965 nach Berlin kam, darüber gibt es widersprüchliche Angaben.
Während es in einem RBB-Beitrag heißt, dass er mehrmals in die Stadt gereist sei, um sich auch den von den Nazis errichteten Mammutbau in Tempelhof anzuschauen, ist in einem Beitrag der »Welt« zu lesen, dass dies nur ein einziges Mal geschehen sei, nämlich anlässlich des Katholikentages 1958. Damals hätte er sich aber für den Flughafen nicht interessiert, sondern allein für sein anderes Baby aus alten Zeiten, und zwar die BVG.