Herr Mahlo, das Luxemburger Abkommen war Anfang der 50er-Jahre umstritten. Inzwischen sehen viele Überlebende Unterstützung als große Hilfe an. Gibt es bei anderen immer noch Vorbehalte?
Ja, aber das ist eine absolute Minderheit. Und Sie müssen auch im Kopf behalten, dass viele verstorben sind, die kein Geld angenommen haben. Vor 70 Jahren war das anders.
Der Begriff »Wiedergutmachung« stößt bei vielen Juden auch heute noch auf Ablehnung. Welches Wort wählen Sie?
Wir wählen eher das Wort »symbolische Anerkennungsleistung« – eben die Anerkennung, dass man von den Nazis verfolgt gewesen ist. Den Begriff »Wiedergutmachung« benutzen wir gar nicht, denn es gibt keine Wiedergutmachung, und ich empfinde das Wort als abwertend – als ob man das Leid der Überlebenden mit einer Geldleistung »wieder in Ordnung« bringen oder sogar aufwiegen könnte.
Das Luxemburger Abkommen war eines von über 25 Abkommen, die von der Claims Conference ausgehandelt wurden. Sehen Sie es als das wichtigste Abkommen an?
Ja, denn ohne dieses Staatsabkommen hätte es auch keine anderen Abkommen gegeben. Die deutsche Seite zeigte damit ihre Bereitschaft anzuerkennen, dass Leid zugefügt wurde. Dass der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer vor dem Bundestag die Schuld anerkannt hat, hat den Ball sozusagen ins Rollen gebracht. Das Neue war auch, dass Leid auf individueller Ebene anerkannt und einzelne Menschen entschädigt wurden. Das macht das Luxemburger Abkommen so besonders, es war der Grundstein für die Wiederaufnahme von Beziehungen zwischen Deutschland und der jüdischen Welt. Und es war für Deutschland eine Grundlage, um sich moralisch neu aufzustellen, Verantwortung zu übernehmen und sich vom NS-Regime abzugrenzen.
War diese Übereinkunft Ihrer Ansicht nach die Voraussetzung für die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Israel, die erst 1965 erfolgte?
Ohne das Luxemburger Abkommen wäre das wesentlich später erfolgt, und davor hätte auf jeden Fall etwas passieren müssten, das dieses Thema adressiert.
Es gibt immer wieder Kritik daran, dass die Claims Conference nicht Geld nur an Opfer ausbezahlt, sondern auch andere Programme und Einrichtungen finanziert. Was erwidern Sie darauf?
Es gibt aufgrund des Luxemburger Abkommens zwei Richtungen – einerseits individuelle Entschädigungen und andererseits Hilfen für jüdische Gemeinden, zum Beispiel Ausbildungsprogramme, die ebenfalls von der Claims Conference finanziert wurden. In späteren Jahren dagegen ging es letztlich nur um Entschädigungsleistungen an Überlebende. Die Claims Conference finanziert allerdings auch ein Programm für häusliche Fürsorge in Zusammenarbeit mit jüdischen Sozialeinrichtungen vor Ort. Intern hatten wir eine riesige Diskussion darüber, ob wir von den Leistungen für Schoa-Überlebende auch Programme für »Holocaust Education« finanzieren wollen, aber auch viele Überlebende waren letztlich dafür, die Geschichte aus Sicht der Opfer zu vermitteln.
Wird das die Arbeit der Claims Conference sein, wenn es keine Überlebenden mehr gibt?
Es ist sehr wichtig, dass es Holocaust-Bildung gibt und wir die Sicht der Überlebenden mittragen in die nächsten Generationen.
Was erwarten Sie von der geplanten Offenlegung und Digitalisierung von NS-Entschädigungsakten durch das Bundesfinanzministerium?
Alle Akten nach dem Bundesentschädigungsgesetz oder der Vermögensverwertung befinden sich auf Papier. Um sie zu konservieren, sollen sie digitalisiert werden. Sie sollen auch für Holocaust-Bildung, für Recherche und natürlich für die Familien der Überlebenden zur Verfügung stehen. Wir als Claims Conference begrüßen dieses Projekt.
Mit dem Repräsentanten der Claims Conference in Deutschland sprach Ayala Goldmann.