Herr Professor, die Zahl der Organspender hat einen neuen Tiefpunkt erreicht. Für 2017 listet die Stiftung Eurotransplant nur noch 769 Organspenden auf. Welche Erklärung gibt es dafür?
Das hat sicherlich mit dem Göttinger Transplantationsskandal zu tun, durch den das Vertrauen in Organspenden allgemein eingebrochen ist. Dabei sollen Daten manipuliert worden sein, um Patienten schneller zu einer Spende zu verhelfen. Es ging primär um Lebertransplantationen, aber das wirkt sich auch auf die Transplantation anderer Organe aus.
Deutschland gehört in Europa zu den Schlusslichtern. Warum?
Das hängt vermutlich mit der Gesetzeslage zusammen. In vielen Ländern Europas gibt es eine Widerspruchslösung, die besagt, dass man aktiv einer Transplantation widersprechen muss; ansonsten kommen die Organe nach dem Todesfall für eine Transplantation infrage. In Deutschland haben wir hingegen eine erweiterte Zustimmungslösung, bei der aktiv zugestimmt werden muss. Es ist bekannt, dass in Ländern mit einer Widerspruchslösung, wie zum Beispiel Spanien, die Transplantationsrate höher ist.
Mehr als 10.000 Schwerstkranke stehen auf der Warteliste. Wie kann die Bereitschaft zur Organspende erhöht werden?
Eine gesetzliche Änderung ist schwer umzusetzen. Ich persönlich bin auch nicht sicher, ob die Widerspruchslösung die richtige Lösung ist. Es gibt auch heute schon Strukturen, die dem Spendermangel begegnen, Grundlagen sind Vertrauensschaffung und Information. Dies beginnt mit einer fundierten Aufklärung der Bevölkerung, beinhaltet aber auch die Information durch Pflegende und Ärzte.
Mit Verweis auf die Halacha gibt es Vorbehalte. Können Sie diese ausräumen?
Ich bin der Auffassung, dass es definitiv im Sinne des Judentums und der Halacha ist, Menschenleben zu retten. Dieses Gebot des »Pikuach Nefesch« hat allerhöchste Priorität. Viele Gelehrte haben entschieden, dass die Entnahme von Organen bei Verstorbenen im Sinne der Rettung eines anderen Lebens absolut gerechtfertigt ist und in solchen Fällen eine Leiche nicht unversehrt begraben werden muss.
Wann ist ein Mensch wirklich tot?
Bei der Bestimmung des Todeszeitpunktes ist auch aufgrund der heutigen medizinischen Möglichkeiten vor Organentnahme häufig die Hirntoddiagnostik ausschlaggebend, hingegen wird gemäß der jüdischen Auffassung die Beendigung der Herzfunktion als Todeszeichen angesehen. Insofern kann es religiös begründeten Widerspruch gegen eine Organentnahme bei Hirntoten geben. Ich denke, dass man den medizinischen Aspekt in den Vordergrund stellen muss. Es sollte aber insbesondere für religiöse Menschen die Möglichkeit bestehen, vor Organentnahme zusätzlich zu den Ärzten auch einen Rabbiner in die Entscheidung einzubeziehen, wann ein Mensch tot ist.
Haben Sie einen Organspendeausweis?
Ja, ich trage ihn bei mir.
Mit dem Vorsitzenden des Bundesverbandes Jüdischer Mediziner sprach Detlef David Kauschke.