Herr Klarsfeld, Emmanuel Macron gewinnt mit 58,5 Prozent die Präsidentschaftswahl. Ist das ein Grund zur Freude für die jüdische Gemeinschaft in Frankreich?
Es gibt eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute Nachricht ist die Wiederwahl von Herrn Macron. Die schlechte ist, dass Marine Le Pen mehr als 40 Prozent bekommen hat.
Die rechtsextreme Kandidatin konnte ihr Wahlergebnis in den vergangenen fünf Jahren um fast zehn Prozentpunkte steigern. Ein Grund zur Beunruhigung?
Ja. Als der Front National 1972 gegründet wurde, schaffte es der rechtsextreme Flügel nicht einmal auf einen Prozentpunkt. Die Rechtsextremisten gewinnen in Frankreich an Macht. Vor der Stichwahl hat unsere Organisation »Fils et filles de déportés juifs de France« in Tageszeitungen wie »Figaro« und »Libération« ganzseitige Anzeigen geschaltet, um die Leser zur Wahl von Emmanuel Macron zu mobilisieren und dem Populismus den Weg in den Élysée-Palast zu versperren. Ich will aber betonen, dass Marine Le Pens Wähler nicht alle per se rechtsextrem sind.
Was sollen sie denn sonst sein?
Frustriert. Sieht man sich zum Beispiel das Wahlergebnis in den Überseegebieten an, dann haben die Einwohner dort in der ersten Wahlrunde für den linken Amtsanwärter Jean-Luc Mélenchon gestimmt und zwei Wochen später dann für Marine Le Pen. Diese Menschen befinden sich in einer finanziellen Notsituation und verfallen dem Extremismus. Es ist daher nun die Verantwortung des Präsidenten, den Menschen während seines Mandats aus der Misere zu helfen.
Ist Marine Le Pens Wählerschaft Ihrer Ansicht nach dann auch nicht antisemitisch?
Es sind ehemalige Kommunisten, Arbeiter und junge Arbeitslose, welche die Partei Rassemblement National in den letzten Jahrzehnten gut mobilisieren konnte. Marine Le Pen bleibt jedoch eine rechtsextreme Kandidatin, auch wenn sie es nicht zugibt. Der Antisemitismus bleibt in der DNA des Rechtsextremismus. Marine Le Pen trennt sich aber nicht vom rechtsradikalen Strang ihrer Partei. Würde sie die Aussagen ihres Vaters aufs Schärfste verachten, die Konzentrationslager seien nur ein Detail der Geschichte, dann würde ich auch meine Vorwürfe überdenken. Aber da sie das nicht tut, bleibt sie für uns rechtsradikal.
Sie reisen an diesem Donnerstag gemeinsam mit Ihrer Frau Beate nach Jerusalem, zur Gedenkfeier in Yad Vashem. Was erwarten Sie sich von der Zukunft der französisch-israelischen Beziehungen?
Die französisch-israelische Freundschaft ist auf einem Höhepunkt, vor allem in Hinblick auf den wirtschaftlichen und intellektuellen Austausch. Ich hoffe sehr, dass die internationalen Beziehungen weiterhin stabil bleiben.
Mit dem Historiker und Zeitzeugen sprach Léonardo Kahn.