Nach dem Besuch von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger vergangene Woche in Israel ist wieder Bewegung in die Debatte über die rückwirkende Zahlung sogenannter Ghettorenten gekommen. Bei einem Treffen mit Tzipi Livni sicherte die Justizministerin ihrer israelischen Amtskollegin zu, das Thema in der Bundesregierung nochmals anzusprechen und offene Fragen rasch zu klären.
»Angesichts der fortschreitenden Zeit hat die Bundesjustizministerin in Israel mit Verständnis auf die Forderung reagiert, zu einer raschen und umfassenden Lösung in Fragen der Ghettorenten zu gelangen«, sagte Wolf Albin, Pressesprecher des Bundesjustizministeriums, der Jüdischen Allgemeinen. »Die bisherigen Regelungen und die bisherige Rechtsprechung haben bei den Betroffenen immer wieder zu Kritik geführt«, erklärte er. Albin kündigte an: »Die Bundesjustizministerin wird ihre Erfahrungen in Israel zum Anlass nehmen, das Thema hier in Berlin anzusprechen.«
Lösung Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, begrüßt die Entwicklung: »Wenn sich die Bundesjustizministerin für das Thema Ghettorenten aufgeschlossen zeigt, ist nun umso mehr darauf zu hoffen, dass jetzt doch tatsächlich noch eine Lösung gefunden wird.«
Dies gelte nun besonders angesichts der von der Claims Conference vermeldeten neuen Vereinbarung mit der Bundesrepublik über eine deutliche Erhöhung der Finanzhilfen für die häusliche Pflege von Holocaust-Opfern. »Dass die Beträge deutlich aufstockt werden sollen, zeigt erneut, dass sich die Bundesregierung der historischen Verpflichtung Deutschlands gegenüber den Opfern der Schoa bewusst ist. Dies erkennen wir ausdrücklich an.«
2002 hatte der Bundestag beschlossen, dass den ehemaligen Ghettoarbeitern rückwirkend ab 1997 eine Rente zusteht. Schließlich wurden während ihrer Zwangstätigkeit Beiträge abgeführt. Doch die deutsche Rentenversicherung lehnte über 90 Prozent der Anträge ab. Diese Praxis wurde 2009 vom Bundessozialgericht verworfen. Die daraufhin neu gestellten Anträge wurden aber erst mit einer Zahlung ab 2005 bewilligt, weil das deutsche Rentenrecht eine Rückwirkung nur bis zu vier Jahren vorsieht.
Stimmen Bereits Ende März hatten die Oppositionsparteien im Bundestag zwei Anträge eingebracht, die Rentenzahlungen rückwirkend ab dem Jahr 1997 zu ermöglichen. Beide wurden mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und FDP abgelehnt. Volker Beck, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen-Fraktion, sagte zu Leutheusser-Schnarrenbergers Ankündigung: »Es ist erfreulich, dass nun auch ein Mitglied der Bundesregierung Handlungsbedarf sieht.«
Schließlich hätten Verwaltung und Rechtsprechung bereits viele Anspruchsberechtigte durch »Bummelei und Fehlentscheidungen um vier Jahre Leistungsbezug« gebracht. Beck ist angesichts der Bundestagsentscheidung vom März aber skeptisch: »Nun müssen Taten folgen. Es wäre unwürdig, bei den betroffenen Überlebenden Erwartungen auf ihnen zustehende Rentenansprüche zu wecken und dann zu Hause wieder zur Tagesordnung überzugehen.«
Unterdessen versucht der Bundesverband Information und Beratung für NS-Verfolgte mithilfe einer Online-Petition das Thema vor den Petitionsausschuss des Bundestages zu bringen. Es dürfe nicht sein, »dass die Bundesregierung nur dann tätig wird, wenn sie Druck aus Israel verspürt«, so der in Köln ansässige Verband, der dazu auffordert, ein Zeichen zu setzen.
Verantwortung Die Regierungskoalition in Berlin wurde für ihre ablehnende Haltung immer wieder heftig kritisiert. Uri Orbach, der israelische Minister für Rentenangelegenheiten, hatte kürzlich in einem Brief Deutschland aufgefordert, seiner »historischen Verantwortung« gerecht zu werden. Uri Chanoch vom Center of Organizations of Holocaust Survivors in Israel sagte dieser Zeitung Anfang April nach der neuerlichen Ablehnung der Neuregelung durch den Bundestag, dieser Schritt der deutschen Politik sei »skandalös, beschämend und zutiefst demütigend«.
Zentralratspräsident Graumann verweist darauf, dass sich die Zahl der betroffenen alten Menschen Tag für Tag verringere. Daher sei es äußerst wichtig, dass schnell eine gerechte Regelung gefunden werde, damit noch möglichst viele Menschen konkrete Hilfe in ihrem letzten Lebensabschnitt erhalten können. »Hier sollten Schnelligkeit und Menschlichkeit wichtiger sein als bloße Bürokratie.«