Sachsen-Anhalt

Landkreis will Stolperstein-Spenden zweckentfremden

Ein Stolperstein kostet etwa 120 Euro (Archivfoto) Foto: picture alliance/dpa

Groß war die Spendenbereitschaft, nachdem in der Stadt Zeitz im Burgenlandkreis in Sachsen-Anhalt in der Nacht zum 7. Oktober, dem Jahrestag des Massakers der Hamas, zehn Stolpersteine aus Plätzen und Gehwegen herausgerissen und gestohlen wurden. Bis Montagmorgen kamen 50.200 Euro zusammen. Der MDR zitiert am 20. Oktober eine Sprecherin des Burgenlandkreises, wonach stündlich neue Gelder eintreffen würden. Einige Menschen hätten fünf Euro gespendet, andere sogar 500 Euro, um so einen Beitrag zu leisten, damit neue Stolpersteine gelegt werden können.

Sie alle waren einem Spendenaufruf gefolgt, den der Burgenlandkreis selbst initiiert hatte. »Diese Tat ist unverzeihlich und niemals zu entschuldigen«, so Landrat Götz Ulrich (CDU). »Wer dies tut, will auch den Holocaust aus unserer Erinnerungskultur herausreißen. Das größte Menschheitsverbrechen aller Zeiten muss uns immer Mahnung bleiben, wozu Menschen fähig sind und wozu Deutsche fähig waren. Die Steine müssen sofort ersetzt werden.« Auch der Bestimmungszweck wird in dem Aufruf klar genannt: »Die eingehenden Spenden werden in Abstimmung mit der Stadt Zeitz und der ›Initiative Stolpersteine‹ genutzt, um die Stolpersteine alsbald zu ersetzten (sic!). Nicht benötigte Spenden werden dem Simon Rau Zentrum in Weißenfels zur Verfügung gestellt, um die Erinnerungsarbeit an die ehemaligen jüdischen Gemeinden im Burgenlandkreis zu unterstützen.«

So weit, so geschichtsbewusst. Einen Stolperstein neu zu verlegen, kostet laut Internetseite des Künstlers Gunter Demnig, der das Projekt Stolpersteine 1992 ins Leben gerufen hatte, etwa 120 Euro - zehn gestohlene Stolpersteine kosten demnach rund 1200 Euro. Die anderen 49.000 Euro würden, folgt man dem Wortlaut des Spendenaufrufs, also dem Simon Rau Zentrum zugutekommen, das sich nicht nur mit Antisemitismusprävention beschäftigt, sondern ebenfalls die ehemalige Synagoge der Kleinstadt Weißenfels, die die Pogromnacht von 1938 überstanden hat, sanieren möchte.

Doch nun erklärt der Burgenlandkreis, dass man in Abstimmung mit dem Oberbürgermeister von Zeitz eine Jury einrichten möchte. Deren Mitglieder, so ist in der »Mitteldeutschen Zeitung« zu lesen, sollen »weitere Vorschläge, Idee und Initiativen zum An- und Gedenken an das jüdische Leben in Zeitz bewerten und die Spenden dafür freigeben«. Diese Jury soll sich Anfang November erstmals treffen, heißt es dazu aus Zeitz. Wer genau in diesem Gremium sitzen soll und wofür die Gelder verwendet werden sollen, sei aber unklar. »Wir können Themen aber jetzt nach vorne bringen«, so Lars Werner, Pressesprecher der Stadt. Nur welche, das vermag er nicht zu präziseren. 

»Über die Besetzung der Jury befinden sich der Burgenlandkreis und die Stadt Zeitz aktuell im Austausch – geplant ist, dass auch ein Vertreter des Simon Rau Zentrums der Jury angehören wird«, so ist von der Pressestelle des Burgenlandkreises zu hören.

»Landkreis wollte mit unserem guten Namen Werbung machen«

Das wirft einige Fragen auf. Denn von einer Jury und weiteren Empfängern ist in dem Spendenaufruf kein einziges Wort zu lesen. Überhaupt wundert man sich, warum immer noch um Spenden geworben wird, obwohl bereits mehr als das 40-fache an Geld, das benötigt wird, um neue Stolpersteine zu legen, gespendet wurde.

»Offensichtlich hat einfach niemand damit gerechnet, dass so viel Geld zusammenkommt«, lautet dazu die Einschätzung von Enrico Kabisch, Vorstandsvorsitzender des Simon Rau Zentrums. Er selbst ist kurz nach dem Diebstahl der Stolpersteine vom Landkreis angerufen und gefragt worden, ob er einverstanden sei, wenn man in dem Spendenaufruf schreibe, dass nicht benötigte Spenden dem Zentrum in Weißenfels zugutekommen sollen. Kabisch gab sein OK. »Der Landkreis wollte mit unserem guten Namen Werbung machen. Und dort dachte man, dass das allenfalls ein paar hundert Euro wären, die wir dann erhalten würden.«

Gunter Demnig ist Initiator des Stolperstein-ProjektesFoto: picture alliance/dpa

Nun sind aber einige Zehntausende Euro zusätzlich zu der benötigen Summe für die Neuverlegung der Stolpersteine gespendet worden, und das scheint die Verantwortlichen auf den Plan zu rufen, diese anderen Zwecken zuzuführen als denen, die im Spendenaufruf konkret genannt werden. »Ich frage mich nur, wer als Empfänger überhaupt infrage kommen kann«, so Kabisch weiter. Denn weitere Vereine oder Gruppen, die sich explizit mit dem Gedenken an jüdische Opfer des Nationalsozialismus oder jüdischem Leben generell beschäftigen, sind im Burgenlandkreis rar gesät. »Eigentlich gibt es sie nicht. Alles, was zum Thema Antisemitismus und der Singularität jüdischer Opfer an Veranstaltungen passiert, kommt von außerhalb. Und die Initiative Stolpersteine Zeitz hatte zum letzten Mal 2012 einen Stolperstein verlegt«, erklärt Kabisch.

Die Pressestelle des Burgendlandkreises nennt auf Anfrage als potenzielle Empfänger der Spendengelder neben dem Simon Rau Zentrum genau diese Initiative Stolpersteine sowie die Heimatstube und Gedenkstätte Rehmsdorf, wo sich einst das KZ-Außenlager »Wille« des KZ Buchenwald befand.

Anwalt: Jury verstieße gegen zweckgebundenen Spenderwillen

Doch unabhängig davon, wer letztendlich mit dem unerwarteten Geldsegen bedacht werden soll, scheint ein rechtliches Problem vorzuliegen. Denn der Spendenaufruf des Burgenlandkreises sei zweckgebunden, so die Einschätzung von Alexander Vielwerth, Rechtsanwalt in der auf gemeinnützige Organisationen spezialisierten Mainzer Kanzlei Vielwerth Junginger – genannt werden nur der Ersatz der Stolpersteine sowie das Simon Rau Zentrum als Empfänger nicht benötigter Gelder. Eingegangene Spenden für etwas anderes zu verwenden, sei für ihn ein »Verstoß gegen den offensichtlich zweckgebundenen Spenderwillen«.

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Das könnte auch Folgen für die gesammelten Gelder haben: »Die Spenden könnten zurückgefordert werden, wenn sie nicht entsprechend dem ursprünglichen Zweck verwendet werden«, erklärt Anwalt Vielwerth. »Das aber auch nur dann, wenn die Spende tatsächlich zweckgebunden gespendet wurde. Wenn es den Geldgebern auf die genaue Verwendung gar nicht so richtig ankam, lag auch keine Zweckbindung vor. Es kommt also auf den Willen der einzelnen Spender an.«

Der Jurist glaubt jedoch nicht, dass sich der Burgenlandkreis strafbar machen würde, wenn er die Spenden für andere Zwecke nutzen würde: »Strafrechtliche Konsequenzen wären allenfalls als Betrug denkbar, dafür hätte der Landkreis aber bereits beim Spendenaufruf beziehungsweise der weiteren Veröffentlichung des Aufrufs den Willen haben müssen, die Spender zu täuschen und die Gelder anderweitig zu verwenden. Das halte ich nach aktueller Kenntnislage eher für abwegig.«

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