Die britische Labour Party – und vor allem ihr Chef Jeremy Corbyn – hat ein Antisemitismus-Problem. Auch wenn es viele noch herunterspielen oder sich in Beschwichtigung üben: Die Tatsache, dass sich der Dachverband der britischen Juden vor einigen Tagen veranlasst sah, eine Demonstration gegen den Oppositionsführer des Landes zu organisieren (weitere Proteste sind geplant), spricht Bände. So etwas gab es in Großbritannien noch nie.
Corbyns Verfehlungen fallen zwar in die Zeit, als er noch ein unbedeutender linker Hinterbänkler im Parlament war. Was aber verstört, ist die Art und Weise, wie der Labour-Chef heute damit umgeht.
proteste Auslöser der jüngsten Proteste war ein Facebook-Dialog Corbyns mit dem Künstler Mear One vor sechs Jahren. Mear Ones Graffito auf einer Hauswand im Osten Londons zeigte Banker mit eindeutig antisemitischen Stereotypen wie Hakennasen, die auf dem Rücken von Arbeitern Monopoly spielen. Der Künstler hatte sich 2012 auf Facebook darüber beschwert, dass sein Werk entfernt werden sollte. Corbyn stellte sich auf seine Seite: »Sie befinden sich in guter Gesellschaft. Rockefeller zerstörte Diego Riveras Wandmalerei, weil sie ein Bild von Lenin beinhaltete.«
Corbyn distanzierte sich jetzt zwar von seinem Kommentar und behauptete, er habe sich damals um die Meinungsfreiheit gesorgt und den judenfeindlichen Charakter des Graffitos gar nicht bemerkt. Und er versprach wieder einmal, den Antisemitismus in der Partei zu bekämpfen und den Dialog mit jüdischen Verbänden in Großbritannien zu suchen.
Kurz darauf wurde bekannt, dass Corbyn den Pessach-Seder bei einer linksradikalen jüdischen Splittergruppe verbracht hatte, die Israels Existenzrecht infrage stellt. Es sollte wohl ein Zeichen sein. Aber es kam an wie ein neuerlicher kalkulierter Schlag ins Gesicht der gewählten Vertreter der jüdischen Gemeinde in Großbritannien.
holocaust-leugner Was soll man von den Entschuldigungen eines Mannes halten, der in der Vergangenheit regelmäßig Holocaust-Leugner und erklärte Feinde Israels wie die Hamas als »Freunde« hofierte und bei Irans Propagandaorgan Press TV auftrat, als diesem Sender von der britischen Aufsichtsbehörde bereits die Lizenz entzogen worden war?
Warum fällt es Jeremy Corbyn so schwer, hart gegenüber antisemitischen Ausfällen durchzugreifen? Um frei nach Goethe zu sagen: Die Worte hört man wohl, allein es fehlt der Glaube. Jeder Mensch hat das Recht, Fehler zu machen und sich zu ändern, auch ein Jeremy Corbyn. Die Frage ist: Hat er sich wirklich geändert? Daran zweifeln wohl nicht nur die britischen Juden.
Der Autor ist stellvertretender Geschäftsführer des Jüdischen Weltkongresses.