Religion

Kultur des Todes

Alan Posener sieht Papst Benedikt XVI. im Kampf gegen die Grundlagen der offenen Gesellschaft

von Michael Holmes  07.01.2010 00:00 Uhr

Rückwärtsgewandt: Pabst Benedikt XVI. Foto: dpa

Alan Posener sieht Papst Benedikt XVI. im Kampf gegen die Grundlagen der offenen Gesellschaft

von Michael Holmes  07.01.2010 00:00 Uhr

Europa scheint in dieser Stunde seines äußersten Erfolgs von innen her leer geworden», mahnte Joseph Ratzinger 2004 in einer Rede vor dem italienischen Senat. Europa sei dem untergehenden römischen Weltreich vergleichbar und befinde sich «auf dem Weg der Verabschiedung». Was jagt dem amtierenden Papst solche Angst ein? Und warum sorgt sich das geistliche Oberhaupt von über einer Milliarde Katholiken ausgerechnet um das reiche und friedliche Europa? Alan Posener hat in dessen Predigten, Reden und Schriften zahlreiche Belege für seine These gefunden, dass Benedikt XVI. vor allem fürchtet, «was den Westen bei aller Unzulänglichkeit zur liebens- und lebenswertesten Gesellschaft macht, die unser Planet bislang gekannt hat»: Demokratie und Massenwohlstand, Aufklärung und Wissenschaft, Gleichstellung der Frau und sexuelle Selbstbestimmung.

Benedikts Weltbild ist nicht nur konservativer als das seines Amtsvorgängers. Es ist in jeder Hinsicht antidemokratischer und antiliberaler. Posener erinnert an das leidenschaftliche Eintreten Johannes Pauls II. für die Demokraten, die in seiner Heimat Polen und im ganzen Ostblock, in Lateinamerika und auf den Philippinen für die Freiheit stritten. Auch Papst Benedikt XVI. kämpft gegen eine Diktatur, nur eben gegen die «Diktatur des Relativismus» im säkularen Westen, die in seinen Augen zu einer «Anti-Kultur des Todes» führt und des- halb «das tiefste Problem unserer Zeit» darstellt. Diese Diktatur äußert sich in der Entkriminalisierung der Homosexualität – womit wir Benedikt zufolge «aus der gesamten moralischen Geschichte der Menschheit» heraustreten – und der Abtreibung, sowie im Gebrauch von Kondomen.

relativismus Der Relativismus ist in den Augen des Papstes ein Produkt der westlichen Rationalität, die «die Verspottung des Heiligen als Freiheitsrecht ansieht und Nutzen für zukünftige Erfolge der Forschung zum letzten Maßstab erhebt». Deshalb möchte er die Vernunft «unter Aufsicht» stellen – wie in den Zeiten, in denen die Kirche noch mehr zu sagen hatte, weshalb sie für ihn «in nicht ganz unwesentlichen Dingen der unsrigen überlegen» waren.

Weil der Papst seiner Kirche das alleinige Recht zuspricht, die Vernunft zu beaufsichtigen, muss er ihre Untaten rechtfertigen, beschönigen oder verschweigen – und in dieser Kunst ist er ein wahrer Meister, wie Posener eindrucksvoll nachweist. Benedikt arbeitet an der Seligsprechung von Pius XII., der die Konkordate mit Hitler, Mussolini und Franco schloss, und erklärt, die Kirche hätte ausschließlich «in der Wahl des geringeren Übels» mit Diktatoren paktiert. Er rehabilitiert vier Bischöfe der antisemitischen Piusbruderschaft. Er wirft Galilei vor, dass er die Natur auf die Folter spannen wollte, um ihr ihre Geheimnisse zu entreißen, ohne die Folter, mit welcher die Kirche dem großen Wissenschaftler drohte, zu erwähnen. Er erläutert den lateinamerikanischen Bischöfen, die Azteken, Inkas und anderen Ureinwohner hätten «ohne es zu wissen» nach dem Gott der Christenheit gesucht und sich «im Stillen» nach Christus gesehnt, verschweigt aber die Grausamkeiten der Konquistadoren.

Da wundert es auch nicht mehr, dass die Kirche – wie Posener zeigt – gute Beziehungen zur brutalen Theokratie im Iran unterhält, versucht doch auch diese, die Modernisierung aufzuhalten und alle Probleme dieser Welt der säkularen «Anti-Kultur» des Westens in die Schuhe zu schieben. Ein hochrangiger Beamter des Vatikan begründete das unheilige Bündnis denn auch mit der «gemeinsamen religiösen Matrix».

Posener hält Benedikts Denken für «irregeleitet, gefährlich und in letzter Instanz für menschenverachtend» und sieht in der katholischen Kirche eine «geistige Weltmacht», deren Einfluss man nicht unterschätzen dürfe. Der Papst ist seinem Selbstverständnis nach «immer mehr auch zu einer Stimme der moralischen Vernunft der Menschheit geworden», so Posener. Deshalb gehen seine Gedanken und Taten nicht nur Katholiken, sondern alle etwas an.

Debatte

Darf man Israel kritisieren?

Eine Klarstellung von Rafael Seligmann

von Rafael Seligmann  21.11.2024

Medienberichte

Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck im Alter von 96 Jahren gestorben

In der rechsextremen Szene wird sie bewundert

 21.11.2024

Washington D.C.

US-Senat gegen Blockade einiger Waffenlieferungen an Israel

Eine Gruppe von Demokraten scheitert mit ihrem Vorstoß

 21.11.2024

Fachtagung

»Kulturelle Intifada«

Seit dem 7. Oktober ist es für jüdische Künstler sehr schwierig geworden. Damit beschäftigte sich jetzt eine Tagung

von Leticia Witte  20.11.2024

Russlands Krieg in der Ukraine

1000 Tage Krieg

Die Ukraine hat gerade ein bitteres Jubiläum begangen - 1000 Tage Krieg. Wie leben die Menschen dort, begleitet von so viel Tod und Zerstörung? Streiflichter von einem einzelnen Tag geben einen kleinen Einblick

von Illia Novikov  20.11.2024

Berlin

Prozess gegen Teilnehmer israelfeindlicher Uni-Besetzung eingestellt

Die Aktion an der Humboldt Universität bleibt auch wegen der dort verbreiteten Pro-Terror-Propaganda in Erinnerung

 20.11.2024

Meinung

Jung, jüdisch, widerständig

Seit dem 7. Oktober 2023 müssen sich junge Jüdinnen und Juden gegen eine Welle des Antisemitismus verteidigen

von Joshua Schultheis  20.11.2024

USA

Trump nominiert Juden für das Handelsministerium

Howard Lutnick ist Chef des New Yorker Finanzunternehmens Cantor Fitzgerald

von Andrej Sokolow  20.11.2024

Wien

IAEA: Iran will Uran-Produktion beschränken

Dabei hat das Mullah-Regime seinen Uran-Vorrat zuvor massiv aufgestockt

 20.11.2024