Die künftige Friedenspreisträgerin Anne Applebaum hat die Politik der früheren Bundesregierung unter Angela Merkel (CDU) kritisiert. Dass die damalige Bundeskanzlerin auch nach der ersten Invasion Russlands in die Ukraine im Jahr 2014 den Bau der Nord Stream 2-Pipeline fortsetzen ließ, habe Wladimir Putin das Signal gesendet: »Okay, der Westen redet zwar viel über Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, aber wir können trotzdem die Ukraine überfallen.«
»Zu der Zeit immer noch nicht erkannt zu haben, was für ein Staat Russland ist, war ziemlich unverzeihlich«, sagte die Publizistin der Wochenzeitung »Die Zeit«.
Applebaum wird am 20. Oktober in der Frankfurter Paulskirche mit dem Friedenspreis ausgezeichnet. Sie wolle ihre dortige Rede dazu nutzen, um über die Bedeutung von Frieden zu reden: »Wie stellen wir ihn her? Wann wissen wir, dass wir ihn haben? Und: Ist Frieden das Gleiche wie Pazifismus?« und »Braucht es, um Frieden zu sichern, nicht auch eine gewisse Wachsamkeit?«
Gefühl von Stabilität
Die polnisch-amerikanische Historikerin kritisiert in dem »Zeit«-Interview auch, dass die EU dabei versagt habe, ihren Bürgern ein Sicherheitsgefühl zu geben. »Viele Menschen, ob im ländlichen Deutschland, Polen oder Frankreich, haben den Eindruck, dass es die Welt, in der sie aufgewachsen sind, nicht mehr gibt. Und damit haben sie nicht unrecht. Umso wichtiger wäre es, den Leuten ein Gefühl von Stabilität zu geben. Genau darin haben die meisten Demokratien versagt.«
Applebaum zählt zu den wichtigsten Analytikern autokratischer Herrschaftssysteme und gilt als Expertin der osteuropäischen Geschichte. Sie wurde 1964 als Kind jüdischer Eltern in Washington D. C. geboren. Mit Unterbrechungen lebt sie seit Jahrzehnten in Polen. Sie ist mit dem polnischen Außenminister Radosław Sikorski verheiratet und Mutter von zwei Söhnen.
Mehrfach ausgezeichnet
Unter anderem verfasste sie Bücher wie »Der Gulag« (2003), »Der Eiserne Vorhang« (2012) oder »Die Verlockung des Autoritären« (2021). Mit ihren Werken, in denen sie den Mechanismen autoritärer Machtsicherung auf der Spur ist, erlangte sie viel Aufmerksamkeit. Bereits 2004 wurde sie mit dem renommierten Pulitzer-Preis geehrt. Zuletzt erhielt sie auch den Carl-von-Ossietzky-Preis 2024 der Stadt Oldenburg.
Der Friedenspreis wird traditionell zum Abschluss der Frankfurter Buchmesse verliehen. Im vergangenen Jahr wurde der britisch-indische Schriftsteller Salman Rushdie ausgezeichnet. dpa