Deutschland

Kontrollverlust

Hass-Demonstrationen wie hier in Berlin ereignen sich häufig und steigern das Gefühl der Unsicherheit. Foto: IMAGO/Jürgen Held

Noch immer stehe ich unter Schock. Vergangene Woche fuhr ein 24-jähriger Afghane – ein Isla­mist, wie sich herausstellte – mit einem Auto in eine Gewerkschafts-Demo in München. Er tötete eine Frau und ihr kleines Kind. Weitere Menschen wurden verletzt. Der Tatort befindet sich nur rund 200 Meter von meinem Haus entfernt.

Mein erster Impuls war Wut und Trauer. Es ist ja nicht die erste Gewalttat dieser Art in Deutschland. Wenn sich solch schreckliche Dinge in Serie ereignen, bekommen Menschen das Gefühl, dass der Staat die Kontrolle verliert. Dann verstehe ich für einen Moment – wenn auch nur für einen kurzen – Menschen, die mir sagen: »Was die AfD erzählt, klingt plausibel. Lass uns mal gucken, ob die das nicht besser können als die anderen Parteien.«

Natürlich können sie es nicht besser. Sie machen unrealistische Versprechungen, predigen einfache Lösungen. Natürlich handelt es sich um eine brandgefährliche, im Kern demokratiefeindliche Partei. Aber die Menschen fühlen sich ernst genommen.

Die Parteien der Mitte haben bei der Zuwanderung und der inneren Sicherheit die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllt.

Ich benutze das Wort »Kontrollverlust« nicht leichtfertig. Es klingt übertrieben. Und doch: Die Parteien der Mitte haben bei der Zuwanderung und der inneren Sicherheit die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllt. Was jüngst in München, in Aschaffenburg und in Solingen passierte, ist ja kein neues Phänomen. Die Abschiebung von Straftätern, die ihren Anspruch auf Asyl verwirkt haben, findet nicht in ausreichender Zahl statt. Das ist nichts Neues, es ist seit mindestens zehn Jahren bekannt.

Viele Menschen fühlen sich nicht mehr sicher in diesem Land. Ich kann sie ein Stück weit verstehen. Es gibt viel Wut. Sie wird von den Rändern rechts und links bewusst geschürt. Wut ist menschlich, aber ein schlechter Ratgeber beim Wählen. Doch wenn wir ihre Ursachen nicht beheben, dann bricht sie sich Bahn. Auch wenn uns das nicht passt.

Nicht nur bei der Migration, auch im Kampf gegen Antisemitismus versagt die Politik. Der Staat handelt nicht so, wie er müsste. Man darf in Deutschland ungestraft Universitäten besetzen und zum Mord an Juden aufrufen, ohne dass es strafrechtliche Folgen hätte. Die Gesetze sind da, doch Polizei und Staatsanwaltschaft wenden sie nicht oder viel zu lax an.

Würde ich mir im Terminal des Frankfurter Flughafens eine Zigarette anstecken, wäre zwei Minuten später die Polizei da, um mir eine saftige Strafe aufzubrummen. Bläst man jedoch zur Hatz auf Juden, wird der Rechtsbruch nicht geahndet. Das trägt zur Entfremdung vieler Menschen von der Politik bei und gefährdet unsere Demokratie.

Bläst man zur Hatz auf Juden, wird der Rechtsbruch nicht geahndet.

Wenn bei Gedenkstunden von Israel und jüdischem Leben als deutscher Staatsräson die Rede ist, gleichzeitig aber auf deutschen Straßen unverhohlen Antisemitismus praktiziert werden darf, dann stimmt etwas nicht. »Nie wieder ist jetzt!«, ruft die Politik. Und dann geschieht es doch immer wieder.

Ich bin kein Anhänger von Markus Söder. Aber wenn Söder von »Law and Order« spricht, kann ich ihm nur schwer widersprechen. Denn »Law and Order« heißt übersetzt nichts anderes als »Recht und Ordnung«.
Wenn nun demokratisch beschlossene Gesetze existieren, diese aber nicht durchgesetzt werden, ist das eine Bankrotterklärung für die Politik. Dann wählen Menschen jene, die ihnen versprechen: Wir werden sie durchsetzen. Der Tabubruch kürzlich im Bundestag bestand nicht darin, dass die AfD dem Antrag der CDU/CSU zustimmte. Der Tabubruch ist, dass die AfD überhaupt in solcher Stärke im Bundestag sitzt. Und wenn den Umfragen zu trauen ist, wird sie sich am Sonntag noch einmal verdoppeln.

Niemand sollte seine Stimme leichtfertig vergeben. Wer die Falschen wählt, macht sich mitschuldig.

Müsste man die AfD nicht verbieten, fragen sich jetzt vielleicht einige. Ich verstehe die Beweggründe, halte sie aber für falsch. Über einem Verbotsverfahren hinge die Gefahr des Scheiterns. Das könnte die AfD sogar noch stärker machen. Man kann diese Partei und ihre Ideologie nicht durch ein Verbot aus der Welt schaffen. Aber man kann sie erfolgreich bekämpfen und ihr die Wähler wegnehmen.

Damit ich nicht falsch verstanden werde: Mitregieren und mitbestimmen lassen darf man die AfD auf keinen Fall. Warum das so ist, erklärt der Blick in die jüngere deutsche Geschichte, so lange ist das alles noch nicht her. Brandmauern zu diesen Kräften sind richtig. Nur ersetzen sie keineswegs politisches Handeln.

Die Wähler sollten den Parteien der demokratischen Mitte die Chance geben, den Durchmarsch der Rechtsradikalen abzuwenden. Niemand sollte seine Stimme leichtfertig vergeben. Wer die Falschen wählt, macht sich mitschuldig. Und jeder, der nicht zur Wahl geht, muss wissen, was er damit anrichtet. Doch die Politik trägt auch eine Verantwortung. Sie muss sich ehrlich machen und nach der Wahl entschlossen handeln. Sie muss die Kontrolle zurückerlangen.

Das klingt für Sie jetzt alles sehr vereinfacht? Vielleicht. Ist nicht Politik das Bohren dicker Bretter, das Schmieden austarierter Kompromisse? Ja, ist sie. Aber manchmal ist die einfache Lösung die richtige. Wenn man im Wahlkampf einfache Lösungen propagiert, was ja alle Parteien tun, sie nach der Wahl aber wieder vergisst, dann sät man Zweifel an der Demokratie. Und das ist ein lebensgefährliches Gift.

Der Autor ist Sportjournalist.

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