Igor Levit hat genug vom anschwellenden Hass, der ihm und vielen anderen nicht nur aus dem Internet entgegenschlägt. In einem Gastbeitrag für den »Tagesspiegel« forderte der Starpianist Politik und Gesellschaft zum Handeln auf. Im Netz, aber auch in den Parlamenten greife eine »drastische Verrohung von Sprache und Umgang« um sich, schrieb Levit.
Morddrohung Im November hatte der Musiker vor einem Konzert in Süddeutschland per E-Mail eine antisemitische Morddrohung erhalten und konnte nur unter Polizeischutz auftreten. »Wenn Übergriffe und Attacken zum regelmäßigen Stoff von Nachrichten werden, dann steigt die Gefahr, dass wir uns an Skandal und Unmenschlichkeit gewöhnen, statt alarmiert und sensibilisiert zu werden«, schrieb er.
»Wir können es als Gesellschaft in keiner Weise hinnehmen, dass ein jüdischer Künstler Morddrohungen bekommt.« Felix Klein
Es gehe längst nicht mehr nur um Einzelfälle, sondern um »systematischen Antisemitismus und Rassismus, um Rechtsextremismus, Terror und völkische Gewalt«, schrieb Levit. Staatliche Behörden seien mit dieser Herausforderung oft überfordert, meint der 32-jährige Musiker.
Gesellschaft Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, hat den Ball jetzt aufgenommen. »Wir können es als Gesellschaft in keiner Weise hinnehmen, dass ein jüdischer Künstler Morddrohungen bekommt«, sagte Klein der Jüdischen Allgemeinen.
»Der Zentralrat der Juden in Deutschland hat mir berichtet, dass dort regelmäßig E-Mails eingehen, die schlimmste Beschimpfungen enthalten. In einer E-Mail äußert der Absender beispielsweise: ›Ich wünsche allen Juden nur noch Tod und Untergang, ihr verdammtes Dreckspack.‹ Das gegen den Urheber dieser E-Mail eingeleitete Ermittlungsverfahren wurde eingestellt.«
Diese Äußerung sei nach jetziger Rechtslage nicht strafbar, so Klein, wenn sie nur gegenüber dem Adressaten erfolge und nicht verbreitet würde. Aus seiner Sicht liege hier eine Gesetzeslücke vor. »Es handelt sich dabei um ein strafwürdiges Handeln, sodass eine Strafverschärfung des Strafrechts an der Stelle erforderlich ist.«
Klein hatte bereits erfolgreich angeregt, dass antisemitische Tatmotive künftig strafverschärfend wirken sollen, das Bundesjustizministerium brachte jüngst eine entsprechende Reform auf den Weg.
Eine klare rechtliche Regelung würde zielgerichtetes Ermitteln erleichtern.
In einem Referentenentwurf des Ministeriums vom Dezember werden auch andere Vorschläge gemacht, darunter eine obligatorische Meldepflicht für die Betreiber sozialer Netzwerke an das Bundeskriminalamt, wenn es um strafrechtlich relevante Inhalte auf Plattformen geht.
Darüber hinaus will Klein aber auch den Paragrafen 130 des Strafgesetzbuches (StGB) reformieren. Dieser stellt die sogenannte Volksverhetzung unter Strafe. Darunter fallen nicht nur Beschimpfungen oder die Aufforderung zu Gewalt oder Willkürmaßnahmen gegen Gruppen der Bevölkerung oder Einzelne (wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer solchen Gruppe) im öffentlichen Raum, sondern auch das Leugnen des NS-Völkermords sowie das Verherrlichen oder Verharmlosen des Nationalsozialismus.
Drohmails Bislang seien an Einzelpersonen gerichtete Drohbriefe und -Mails nicht als Volksverhetzung nach Paragraf 130 strafbar, es sei denn, sie würden zum Zweck der Weiterverbreitung an vermeintliche oder tatsächliche Multiplikatoren verschickt, beispielsweise in Form eines Leserbriefes, erklärt Thomas Fischer, der frühere Vorsitzende Richter des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs.
Solange bei einer Botschaft kein »Verbreiten« vorliege und sie auch nicht als geeignet zur »Störung des öffentlichen Friedens« angesehen werde, seien die Anforderungen des Paragrafen 130 zumeist nicht erfüllt, sagt der Strafrechtsexperte. »Das, was heute alles unter den Stichworten ›Hass und Hetze‹ Wirklichkeit ist, kann mit Paragraf 130 sicher nicht wirksam verfolgt werden. Dazu kommt, dass die praktische Anwendung des Paragrafen in der Rechtsprechung oft sehr restriktiv ist«, betont Fischer.
Reform Eine Reform des Volksverhetzungsparagrafen, der seit 1871 im deutschen Strafgesetzbuch steht und mehrfach reformiert wurde, ist seiner Ansicht nach verfassungsrechtlich zwar grundsätzlich möglich. Sie hätte aber auch Konsequenzen. Denn eine Verfolgung von Äußerungen dürfe sich grundsätzlich nicht nur gegen einzelne, bestimmte Ansichten und Meinungen richten. Jede Ausweitung des strafbaren Bereichs zöge daher Restriktionen der Meinungsfreiheit insgesamt nach sich, erläutert Fischer.
»Würde man den Paragrafen 130 so weit ausweiten, dass davon jede ›Hass‹-Beschimpfung aus dem Netz unter Bezugnahme auf die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bevölkerungsgruppe erfasst wird, würde das zu einer Flut von Strafanzeigen von allen möglichen Menschen führen, die sich als ›Teil der Bevölkerung‹ beschimpft fühlen«, meint Fischer.
Tatbestand Felix Klein hält seinen eigenen Vorschlag dennoch für richtig. »Todesdrohungen oder Ähnliches verbieten sich in der politischen Auseinandersetzung generell. Es ist unerheblich, wem gegenüber sie erfolgen. Sie sollten in jedem Fall geahndet werden«, meint er.
Außerdem würde die Ausweitung des Tatbestands der Volksverhetzung die Arbeitsbelastung der Strafverfolgungsbehörden eher verringern als erhöhen: Durch eine klare rechtliche Regelung könnte die bisher erforderliche Prüfung in Zweifelsfällen wegfallen. Ein zielgerichtetes Ermitteln wäre laut Klein so leichter möglich.
Für eine Verurteilung nach den Paragrafen 240 (Nötigung) und 241 (Bedrohung) des StGB bestünden so hohe Hürden, dass eine Bestrafung häufig unterbliebe, erläutert Klein.
Er glaubt, durch die von ihm vorgeschlagene Verschärfung von Paragraf 130 StGB »hätten Polizei und Staatsanwaltschaften ein effektives Mittel in der Hand, um gegen Drohungen wie die gegen Igor Levit konsequent vorzugehen«.