Während die Welt mit einer Pandemie ringt, kämpft die AfD mit sich selbst. Angetreten, um eine bürgerlich-konservative Alternative zum vermeintlich verstaubten politischen Establishment anzubieten, fällt die Partei derzeit vor allem durch interne Streitigkeiten, sinkende Umfragewerte und wenig substanzielle Beiträge zu Covid-19 auf.
Mund-Nasen-Schutz Zuletzt versuchte es die Bundestagsfraktion erneut mit der Ankündigung einer Klage, dieses Mal gegen die Pflicht, im Parlament einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen. Demonstrativ betraten einige Abgeordnete den Plenarsaal ohne Masken, was Ermahnungen, einen Ordnungsruf sowie Applaus in den einschlägigen Social-Media-Milieus einbrachte.
Ob die AfD mit solchen Aktionen neue Anhänger überzeugen kann, ist unwahrscheinlich – besonders angesichts der stark steigenden Infektionszahlen international und in Deutschland. Die AfD versucht sich zwar lautstark als Kritikerin der Maßnahmen gegen die Corona-Ausbreitung in Stellung zu bringen, kann damit aber kaum punkten.
In Umfragen stagniert sie im Norden auf niedrigem Niveau, verliert in ihren Hochburgen in Ostdeutschland und pendelt sich bundesweit bei etwa zehn Prozent ein; bei einigen Instituten lag sie zwischenzeitlich nur noch bei acht Prozent. Vor zwei Jahren, als wieder einmal die Flüchtlingspolitik die Schlagzeilen dominierte, erreichte die AfD 17 Prozent und ließ zwischenzeitlich die SPD hinter sich.
PANDEMIE Doch insbesondere in der Corona-Krise erweist sich die vermeintliche Alternative als kaum politikfähig: Hatte sie zu Beginn der Pandemie der Regierung noch vorgehalten, Deutschland nicht ausreichend zu schützen und zu langsam zu reagieren, legte sie im April eine 180-Grad-Wende hin und versucht seitdem, die Maßnahmen gegen die Pandemie als Panikmache abzutun. Valide Kritikpunkte gehen in einem verbalradikalen Getöse unter.
Und selbst bei den Protesten der »Corona-Kritiker« musste die AfD der »Querdenken«-Bewegung quasi hinterlaufen und fand sich in einer kruden, heterogenen Bewegung von Reichsbürgern bis Esoterikern wieder, die durch Ressentiments gegen Wissenschaft und Verschwörungslegenden zusammengehalten wird – Verschwörungslegenden, die nahtlos kompatibel sind mit antisemitischen Mythen von einer kleinen, geheimen Elite, die Politik und Medien wie Marionetten steuert.
In der Flüchtlingskrise war es George Soros, der das Böse dieser Welt personifizieren sollte, nun muss Bill Gates als Feindbild herhalten. Solche antisemitischen Welterklärungsmuster sind vor allem im völkischen Flügel der AfD fest verankert.
SCHLÜSSELPOSITIONEN Genauso fest ist wiederum der völkische Flügel ein mächtiger Teil der AfD – trotz der offiziellen Auflösung. Der Verfassungsschutz hatte den »Flügel« als rechtsextremistisch eingestuft. Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang legte am vergangenen Sonntag noch einmal nach: Bei parteiinternen Wahlen kämen Anhänger des »Flügels« in Schlüsselpositionen, die Partei radikalisiere sich zunehmend, sagte der Verfassungsschutz-Chef dem »Tagesspiegel«.
»Der Einfluss des ›Flügels‹ wird größer, auch wenn in der AfD versucht wird, klar erkennbare Rechtsextremisten wie den früheren ›Flügel‹-Wortführer Andreas Kalbitz aus der Partei zu entfernen«, sagte Haldenwang. Es gebe innerhalb der aufgelösten Gruppierung weiterhin »großen Zusammenhalt«.
Der Verfassungsschutz warnt vor einer weiteren Radikalisierung der Partei.
Tausende Mitglieder werden dieser Strömung zugerechnet; Konflikte zwischen weniger radikalen Funktionären und Rechtsextremen brechen immer wieder aus: Im Landtag von Schleswig-Holstein verlor die AfD nun ihren Fraktionsstatus, nachdem der Abgeordnete Frank Brodehl seinen Austritt erklärte. Er begründete diesen Schritt mit der »Zunahme völkisch-nationalistischer Kräfte« im Landesverband.
KONFLIKT Auch in Niedersachsen zerbrach die AfD-Fraktion. Auslöser der Eskalation war unter anderem die Wahl von Jens Kestner zum Landeschef. Dieser war intern tatkräftig von Björn Höcke unterstützt worden und setzte sich gegen die bisherige Amtsinhaberin Dana Guth durch, die als Konsequenz mit zwei weiteren Abgeordneten die Fraktion verließ. In Bremen beziehungsweise Bremerhaven verlor die AfD ebenfalls nach Streitigkeiten Ansprüche auf Fraktionsgelder und besondere Rechte.
Der Konflikt zwischen dem völkischen Flügel und dem Spektrum, das sich als bürgerlich-konservativ versteht, zieht sich quer durch die AfD. In Baden-Württemberg entzündete sich ein Streit über den Ausschluss eines rechtsextremen Mitglieds, der offenkundig zum Stellvertreterkonflikt zwischen den Spitzenfunktionären Alice Weidel und Jörg Meuthen mutierte, die beide aus dem Landesverband kommen.
Meuthen, der sich für den Ausschluss wichtiger Flügel-Leute eingesetzt hatte, erklärte schließlich, er werde nicht für den Bundestag kandidieren, sondern im Europaparlament bleiben – und verhinderte so eine Kampfkandidatur gegen Weidel um den ersten Listenplatz im Landesverband.
RECHTSAUSSEN Die Konflikte und Intrigen zermürben offenkundig Teile der Partei: Mit Konrad Adam verlässt zum Jahreswechsel der letzte der drei Gründungsvorsitzenden die AfD. Der Publizist war 2013 gemeinsam mit Frauke Petry und Bernd Lucke Sprecher der damals neu gegründeten Partei.
Adam sagte, er sehe keine Zukunft mehr für die AfD als »bürgerlich-konservative« Kraft. Er warf Alexander Gauland vor, dieser habe sich immer schützend vor »Rechtsausleger wie Andreas Kalbitz und den Thüringer Landesvorsitzenden Höcke gestellt«. Damit habe er dazu beigetragen, dass der Einfluss des Rechtsaußen-Flügels in der Partei stetig gewachsen sei. Außerdem sei die AfD mit ihrer ablehnenden Haltung in Sachen Umwelt- und Klimaschutz auf einem falschen Weg.
Zuletzt sorgten Äußerungen des ehemaligen Pressesprechers der AfD-Bundestagsfraktion für Empörung.
Zuletzt sorgten Äußerungen des ehemaligen Pressesprechers der AfD-Bundestagsfraktion für Empörung: Christian Lüth hatte in einem vermeintlich vertraulichen Gespräch gesagt, man könne Migranten »erschießen« oder »vergasen«.
Neben diesen menschenverachtenden Aussagen, die Lüth später als ironisch verkaufen wollte, legte er ein zutiefst destruktives Politikkonzept offen: »Je schlechter es Deutschland geht, desto besser für die AfD.« Damit beschrieb Lüth präzise die wohl einzige Option, mit der sich die Partei aus der strategischen Sackgasse befreien will, in die sie sich selbst manövriert hat.