Jüdisches Leben ist selbstverständlich in unserem Land. Und jüdisches Leben ist selbstverständlich in der Bundeswehr. Die jüdischen Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr schwören wie alle ihre Kameradinnen und Kameraden, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen.
Dieses Gelöbnis konnten wir öffentlich am 12. November, dem Geburtstag der Bundeswehr, vor dem Reichstagsgebäude in Berlin und bei vielen weiteren öffentlichen Veranstaltungen quer durch unser Land erleben. Es ist so bedeutsam, weil es aus den Rekrutinnen und Rekruten eine Gemeinschaft formt und sie zugleich an ihre Rolle in unserem Staat erinnert und bindet.
VIELFALT Die Bundeswehr ist dem Recht und der Freiheit verpflichtet. Sie schützt unser Land und alle seine Bürgerinnen und Bürger – unabhängig von Hautfarbe, Geschlecht, sexueller Orientierung oder religiöser Überzeugung. Diese Streitkraft ist wirklich unsere Bundeswehr.
Deswegen ist es richtig, dass die Bundeswehr selbst genauso vielfältig ist wie unser Land. Unsere Bundeswehr bringt seit jeher Bürger – und seit 2001 endlich in allen Laufbahnen auch Bürgerinnen – verschiedenster Hintergründe und unterschiedlicher Talente und Milieus zusammen. Es zählt nicht, woher du kommst, sondern allein, was du kannst, wie du die Truppe weiterbringst. Das Prinzip von Einheit in Vielfalt verleiht der Bundeswehr Kraft und Stärke, und auch darin ist sie ein wahrer Spiegel unserer Gesellschaft.
Zehn Rabbiner sollen als Beamte auf Zeit Austausch fördern und Brücken bauen.
Dazu gehört, dass in unseren Streitkräften Menschen unterschiedlicher religiöser Überzeugungen dienen. So auch Menschen jüdischen Glaubens. Dass dies gut 70 Jahre nach dem Zivilisationsbruch der Schoa möglich und wirklich ist, macht mich demütig und dankbar.
Es ist für mich auch eine Verpflichtung. Ein Auftrag, unser Land so zu gestalten, dass es wirklich ein freies Deutschland ist und bleibt. Ein Land, in dem die Würde des Menschen unantastbar ist. In dem Antisemitismus und Fremdenhass keinen Raum haben, in dem wir alle uns Hass und Gewalt entschieden entgegenstellen – nicht nur zu besonderen Anlässen, sondern in unserem selbstverständlichen, täglichen Handeln. Wie nötig das ist, haben uns gerade in diesem Jahr schreckliche Fälle von Ausgrenzung und Gewalt gegenüber jüdischem Leben in Deutschland vor Augen geführt.
VERPFLICHTUNG Das ist natürlich auch eine Verpflichtung für unsere Bundeswehr. Extremisten haben in ihr keinen Platz; wir schöpfen alle rechtsstaatlichen und dienstrechtlichen Mittel aus, um gegen Extremismus in der Bundeswehr entschieden vorzugehen.
Gleichzeitig möchten wir die Bundeswehr erkennbar öffnen für all jene, die unserem Land dienen wollen. Ihnen zu zeigen, dass alle dazugehören können, dass wir sie als gleichberechtigten Teil der Gemeinschaft verstehen und wollen.
Deswegen ist es ein wichtiges Signal, noch in diesem Jahr einen Staatsvertrag mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland unterzeichnen zu können, der die Tür aufstößt für jüdische Militärseelsorge in der Bundeswehr. Erstmals seit 100 Jahren wird es damit wieder Militärrabbiner in der deutschen Armee geben.
Seit mehr als 60 Jahren haben wir gute Erfahrungen mit katholischer und evangelischer Seelsorge in der Bundeswehr gemacht. Die Geistlichen leisten Beistand für unsere Soldatinnen und Soldaten – nicht nur in religiösen Anliegen oder Gottesdiensten, sondern sie unterstützen auch in den ethischen Fragen des Lebenskundlichen Unterrichts und bei alltäglichen Sorgen. Und das für alle Angehörigen der Bundeswehr, unabhängig davon, ob und wozu sie sich in ihrem Glauben bekennen.
Das Recht auf Seelsorge ist im Soldatengesetz verankert.
Das ist ein Segen für die Soldatinnen und Soldaten, die in ihrem Beruf besonderen Belastungen ausgesetzt sind – besonders in den Einsätzen, aber auch bei Übungen und dem Dienst in der Heimat. Häufige und lange Trennung von der Familie, körperlich und geistig anspruchsvolle Aufgaben und auch die Konfrontation mit Gewalt und Tod sind Teil ihres Berufs. Deswegen ist das Recht auf Seelsorge im Soldatengesetz verankert.
Es ist längst an der Zeit, diesen Beistand auch unseren Soldatinnen und Soldaten jüdischen Glaubens zuteilwerden zu lassen.
UMSETZUNG Was sind nun die nächsten Schritte? Nach der Unterzeichnung des Staatsvertrags braucht es noch die Umsetzung durch den Gesetzgeber. Sobald der Bundestag dies beschlossen hat – vermutlich im Laufe des Jahres 2020 –, werden zehn Rabbiner in der Bundeswehr als Beamte auf Zeit seelsorgerliche Verantwortung übernehmen. Genug, um echte Präsenz zu entfalten und Brücken zu bauen und den Austausch zu fördern.
In Zahlen mag die jüdische Seelsorge in der Bundeswehr klein sein. Aber sie ist wesentlich: Denn nur, wenn unsere offene Gesellschaft in all ihren Institutionen ihre Werte von Freiheit, Verantwortung und Gleichberechtigung mit Leben füllt, kann sie wahrhaftig und wehrhaft bleiben.
Die jüdische Militärseelsorge in der Bundeswehr ist ein kleiner Beitrag zu einer großen Idee.
Die Autorin ist Bundesministerin der Verteidigung und Vorsitzende der CDU.