Die Gutachter fanden deutliche Worte. »Zum Teil klassische antisemitische Bilder, bis hin zur Leugnung und Relativierung des Holocaust« hätten Mitarbeiter der Deutschen Welle (DW) zwar als Privatpersonen, aber auf öffentlich zugänglichen Webseiten und in sozialen Netzwerken gepostet, so Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sowie Ahmad und Beatrice Mansour in ihrem Gutachten. Auch Israels Existenzrecht sei mehrfach negiert worden.
Das Ehepaar Mansour und die nordrhein-westfälische Antisemitismusbeauftragte und frühere Bundesjustizministerin waren im Dezember 2021 von der Deutschen Welle gebeten worden, den in Medien aufgekommenen Antisemitismusvorwürfen gegen Mitarbeiter der arabischsprachigen Redaktion nachzugehen.
misstrauen Es war kein einfaches Unterfangen. Nicht nur, weil die Zeit äußerst knapp bemessen war, 140 Stunden DW-Berichterstattung zu sichten, und einige der fraglichen Posts zwischenzeitlich wieder gelöscht worden waren. Sondern auch, weil in der arabischsprachigen DW-Redaktion ein Klima des Misstrauens und der Feindseligkeit herrscht, wie selbst DW-Intendant Peter Limbourg einräumen musste. Der Leiter der Redaktion sei mittlerweile auf eigenen Wunsch von seinen Aufgaben entbunden worden, sagte Limbourg bei der Vorstellung des Untersuchungsberichts.
Die Kommission gab nicht nur den Angegriffenen Gelegenheit, sich persönlich zu erklären, sondern sprach mit mehr als 30 Personen. Bei der abschließenden Bewertung habe man nicht nur auf Kommentare selbst geschaut, sondern eine Gesamtbetrachtung der einzelnen Fälle vorgenommen, so die drei Experten.
Teilweise hätten die schriftlichen Stellungnahmen die antisemitische oder israelfeindliche Haltung der Betreffenden nicht nur bestätigt, sondern sogar verstärkt. Auch die rund 200 Mitarbeiter der arabischen Redaktion waren dazu aufgerufen, mit der Kommission zu kooperieren. Einige hätten das jedoch nicht getan – aus Angst vor Repressalien, sagte Ahmad Mansour.
GRENZFÄLLE Limbourg gab sich bei der Vorstellung des Berichts zerknirscht. »Allein der Verdacht, dass es in einer deutschen, steuerfinanzierten Einrichtung Antisemitismus gibt, muss für Juden in diesem Land und weltweit unerträglich sein.« Der Intendant kündigte ein ganzes Bündel von Maßnahmen an, um den guten Ruf des Senders wiederherzustellen. Von fünf Mitarbeitern wolle die Deutsche Welle sich trennen, weitere acht von den Gutachtern übermittelte »Grenzfälle« werde man noch eingehender prüfen, sagte Limbourg.
Darüber hinaus habe man intern drei weitere mögliche Fälle von Antisemitismus aufgedeckt. »Wir müssen in Zukunft viel stärker unsere Position deutlich machen. Meinungsfreiheit ist niemals eine Rechtfertigung für Antisemitismus, Israelhass und Leugnung des Holocaust«, erklärte er. Die Fehler des Managements müssten »zeitnah, vollständig und konsequent« aufgearbeitet werden. Das schließe »klare, auch personelle Konsequenzen« ein.
Erleichtert zeigte er sich darüber, dass der Bericht nur ein »punktuelles Fehlverhalten« Einzelner festgestellt, aber keine Anhaltspunkte für »strukturellen Antisemitismus« innerhalb der arabischen Redaktion des Senders gefunden habe. »Es handelt sich um bedauerliche Einzelfälle«, so der DW-Intendant.
kooperationen Auch die Kooperationen mit Vertriebspartnern und Medienhäusern in arabischen Ländern nahmen die Prüfer unter die Lupe – und kamen zu einem etwas milderen Urteil. Zwar solle die Deutsche Welle die Zusammenarbeit mit der Nachrichtenagentur »Maannews Palestine« wegen deren israelfeindlicher Haltung einstellen, mit ebenfalls umstrittenen Partnern in Jordanien und dem Libanon solle man aber ruhig im Dialog bleiben, empfiehlt das Gutachten.
Mitarbeiter sollen künftig gezielt geschult werden.
Der Sender solle künftig jedoch klarer kommunizieren, was tolerierbar sei und was nicht. »Wenn die programmliche Ausrichtung des Partners deutlich den Positionen der DW entgegensteht, besonders hinsichtlich des Existenzrechts Israels, der Bedeutung des Holocaust, Bewertung von Hisbollah und Hamas, muss man sich fragen, ob die inhaltlichen Botschaften der DW überhaupt bei den Nutzenden ankommen. Reichweite ohne angemessene Inhaltsvermittlung kann keine Strategie der DW sein«, so die Experten.
Der Vorsitzende des DW-Rundfunkrats, der katholische Prälat Karl Jüsten, pflichtete ihnen bei: »Reichweite darf kein Argument sein, das über allem steht. Die Deutsche Welle ist Werten verpflichtet, insbesondere dem Kampf gegen den Antisemitismus.«
Nach Ansicht der drei Gutachter müssen bei Neueinstellungen von Redakteuren genau diese Werte besser vermittelt werden. Dazu sollen auch Besuche in Israel sowie in KZ-Gedenkstätten beitragen, empfehlen sie. Limbourg kündigte außerdem an, man werde das Jerusalemer Büro der Deutschen Welle personell verstärken und die Berichterstattung aus Israel ausweiten.
Der Zentralrat der Juden in Deutschland forderte die Deutsche Welle auf, die Empfehlungen der Experten rasch umzusetzen. »So wie bisher darf es nicht weitergehen«, sagte Zentralratspräsident Josef Schuster. »Gebührenfinanzierten Israel-Hass und Antisemitismus in den Medien darf es nicht geben.« Es sei aber zu begrüßen, wenn Mitarbeiter aus dem arabischen Raum zu den Themen Israel, Schoa und Antisemitismus gezielt geschult würden, sagte er.
NACHSPIEL Der Fall wird auch noch ein parlamentarisches Nachspiel haben. Am 16. Februar will sich der Kulturausschuss des Bundestages mit der Thematik befassen. In nichtöffentlicher Sitzung muss Intendant Limbourg den Abgeordneten Rede und Antwort stehen, teilte die Ausschussvorsitzende, die SPD-Parlamentarierin Katrin Budde, der Jüdischen Allgemeinen auf Nachfrage mit.
Ahmad Mansour ist sich bewusst, dass sein Gutachten auch Kritik auslösen wird. Er erwarte »viel Widerspruch aus der arabischen Welt«. Doch der Psychologe, der als Araber in Israel aufwuchs, sieht in dem Antisemitismusskandal auch ein Gutes. Die DW könne, wenn sie es denn ernst meine, »zu einem Vorbild werden für andere Medienhäuser, die mit den gleichen Herausforderungen zu tun haben«, sagte er.
Das Problem beschränke sich längst nicht auf den arabischen Sprachraum. Im Gutachten wird denn auch Kritik an der Israel-Berichterstattung des deutschsprachigen Dienstes der Deutschen Welle geübt. Berichte über »Geschehnisse vor Ort, historisch als auch aktuell«, würden »sehr einseitig und tendenziös eingeordnet« und dem Publikum »objektiv falsche Informationen als Fakten« präsentiert. Und auch bei anderen öffentlich-rechtlichen Sendern gebe es Fälle, die nach Auffassung Mansours dringend »zu reflektieren sind«.