Die Betroffenen endlich ernst nehmen und klare Kante zeigen – auf diese Formel ließen sich die Forderungen auf den Punkt bringen, die im Verlauf eines Symposiums am Freitag zu der im Juli von jüdischen Organisationen vorgestellten Grundsatzerklärung gegen Antisemitismus immer wieder laut wurden.
Experten, Betroffene und zahlreiche Interessenten waren in das Max Liebermann Haus nach Berlin gekommen, um sich über die Grundsatzerklärung zur Bekämpfung des Antisemitismus und ihre Umsetzung zu informieren. Das Symposium widmete sich der Frage: »Was jetzt getan werden muss – Zum Stand der Umsetzung der Grundsatzerklärung zur Bekämpfung des Antisemitismus«.
Bewusstsein »Die Zukunft sieht nicht unbedingt rosig aus, wenn Menschen aus der Mitte der Gesellschaft nicht langsam die Initiative ergreifen«, erklärte denn auch die Vorsitzende des Jüdischen Forums für Demokratie und gegen Antisemitismus (JFDA), Lala Süsskind. »Genau deshalb ist es so wichtig, dass wir sichtbar sind und handeln.«
Es müsse endlich ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass Hass und Gewalt, die von extremistischen Gruppen von rechts und links sowie dem politischen Islam gegen Juden ausgehen, immer auch auf die Fundamente des demokratischen Rechtsstaats abzielten, so Süsskind weiter.
Dass das Klima für Juden deutlich rauer geworden ist als noch vor wenigen Jahren, musste auch Felix Klein, Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus, eingestehen. Für ihn haben daher die Ansätze des Jüdischen Forums für Demokratie und gegen Antisemitismus eine ganz besondere Bedeutung.
Perspektive »Sie beweisen, dass Juden hierzulande ihre Bürgerrechte aktiv in Anspruch nehmen und eine jüdische Perspektive ganz klar in den Katalog der Maßnahmen zur Bekämpfung des Antisemitismus mit einfließt«, betonte Klein. Der Antisemitismusbeauftragte beobachtet eine neue Form des Judenhasses in Deutschland. Es habe in den vergangenen Monaten einen Paradigmenwechsel gegeben, das sei von der Politik erkannt worden.
Klein sprach von einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe: »Wir dürfen die Bekämpfung des Antisemitismus nicht den Juden im Land überlassen.« Die Sensibilität gegenüber Judenhass müsse in allen Bereichen erhöht werden. »Wir müssen uns als Gesellschaft von diesem Übel befreien.« Eine besondere Verantwortung komme den Schulen zu, sagte Klein. Deshalb müsse die Auseinandersetzung mit antisemitischem Denken systematischer Gegenstand der Lehrerausbildung werden.
Darüber hinaus wird an einem Konzept der bundesweiten Erfassung von antisemitischen Vorfällen unterhalb der Strafbarkeitsgrenze nach dem Vorbild der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) in Berlin gefeilt.
medien Auch wenn es um die Korrektur der von negativen Stereotypen belasteten Israel-Berichterstattung hierzulande geht, schwebt Felix Klein eine Strategie vor. »Ich könnte mir da sehr gut die Einrichtung einer deutschsprachigen jüdischen Nachrichtenagentur vorstellen.« Am Ende des Tages zähle aber vor allem eins: »die Erhöhung der gesellschaftlichen Sensibilität«.
Welches Gefahrenpotenzial darin lauert, dafür schärfte Samuel Salzborn noch einmal den Blick. »Der Antisemitismus ist zur globalen Integrationsideologie geworden«, so der Professor am Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin. »Er vereint trotz aller Differenzen in einzelnen politischen Fragen Rechtsextremisten, Islamisten und linke Antiimperialisten.«
Natürlich sollte man sich keine Illusionen darüber machen, »dass ein 2000 Jahre altes Phänomen wie der Judenhass von heute auf morgen verschwindet«, sagte Carl Chung, Koordinator bei JFDA für die politische Bildung. »Aber jeder kleine Fortschritt zählt.«