In Brüssel geht es jetzt um Posten und Positionen, in Berlin wird über die doppelte Stimmabgabe des ZEIT-Chefredakteurs diskutiert. Nach der Europawahl haben Politiker und Kommentatoren schon wieder ihre eigenen Themen, denen sie sich widmen. Noch ein Blick auf die politischen Erdbeben in Frankreich und Großbritannien – das war’s. Ach ja, der Wahlerfolg der Rechtsextremisten könnte weiterhin eine Rolle spielen. Aber die sind doch unbedeutend, sie werden sich im parlamentarischen Betrieb ganz von selbst erledigen, heißt es. Zurück zur Tagesordnung?
Dass mit der griechischen »Goldenen Morgenröte« nun Neonazis ins EU-Parlament einziehen, die offen antisemitisch sind und sogar den Holocaust leugnen, ist erschreckend. Ebenso wie die Tatsache, dass die ungarische Jobbik wieder und die deutsche NPD erstmals in Straßburg vertreten sind.
bluttat Sie feiern Wahlerfolge kurz nach einer Bluttat, bei der am Tag vor der Wahl im Jüdischen Museum Brüssel vier Menschen kaltblütig getötet wurden. Wenige Stunden danach wurden in einem Pariser Vorort zwei Synagogenbesucher fast totgeschlagen. Ja, es waren wohl wie immer Einzeltäter. Es braucht nur Einzelne, um solch schreckliche Gewalttaten zu verüben. Aber es gibt auch ein Klima, in dem diese Ereignisse geschehen. Ein Klima von Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit.
Dies drückt sich eben auch in konkreten Prozentzahlen und Parlamentssitzen aus. Wenn sich rechte Populisten und Extremisten in der Mitte des kriselnden Europas breitmachen können, ist das ein Weckruf an alle etablierten politischen Parteien. Klare Kante ist gefragt. Es darf nicht dazu kommen, dass eine braune Fraktion die Agenda in Europa bestimmt.
Wir können jetzt nicht zur Tagesordnung übergehen. Demokraten sind gefordert, den rechten Anti-Europäern Einhalt zu gebieten. Behörden müssen sich endlich auf effektive Maßnahmen zum Schutz jüdischer Einrichtungen verständigen. Und Europa braucht ganz dringend eine Strategie gegen Extremismus.