»Die deutsche Staatsräson mehr als nur ein Lippenbekenntnis? Was ist die Israel-Solidarität noch wert?«, fragte der Journalist Gil Yaron den Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert und die Politikberaterin Melody Sucharewicz. Die Zuhörer mussten nicht lange auf Antworten warten.
In einer Klarheit, die bei vielen Gemeindetagsteilnehmern lautstarke Erleichterung auslöste, sagte SPD-Politiker Kühnert: »In einer Zeit in der die Vereinten Nationen als Schutzmacht für den Staat Israel ausfallen – nicht, weil da alle antisemitisch wären, sondern weil es einen Kreis von Staaten und Regierungen gibt, die auf eine obsessive Art die Bühne der UN nutzen, um dort auch von ihren eigenen Menschenrechtsverstößen abzulenken mit dem immer wiederkehrenden Blick auf Israel –, ist die innenpolitische Diskussion in Deutschland eine Stellvertreterdiskussion für den globalen Umgang mit dem Staat Israel.«
»Die innenpolitische Diskussion in Deutschland ist eine Stellvertreterdiskussion für den globalen Umgang mit dem Staat Israel«, sagte Kühnert.
Denn in dem Moment, wo Politiker in der politischen demokratischen Mehrheit in Deutschland erkennen lassen, »dass es da eine Unklarheit im Verhältnis zu Israel gibt und die Staatsräson vielleicht doch nicht ganz von allen geteilt wird, würden andere feststellen: »Wenn selbst Deutschland aus seiner Verantwortung heraus sich so verhält, dann ist das eine Einladung dafür, jetzt auch mal ordentlich draufzuhauen.«
Allein während dieser paar Sätze gab es fünfmal Applaus. »Es wäre für die jüdische Gemeinschaft in Deutschland ein großer Wunsch, dich zu klonen«, sagte Melody Sucharewicz, die in ihrer Replik noch einmal auf die Symbolkraft in der Aussage Angela Merkels zur Staatsräson einging. In diesem Zusammenhang kam sie auf das Paradox zu sprechen – das eben nicht mit der Staatsräson zusammenpasse –, auch mit Regimen zu reden und Wirtschaftsbeziehungen zu pflegen, die Israels Existenzrecht infrage stellen.
naivität Doch aus ihren vielen Gesprächen mit deutschen Politikern und Bundestagsabgeordneten sei sie sicher: »Das hat nichts mit Antisemitismus zu tun, sondern mit der tiefsitzenden Überzeugung, man müsse sich nur an einen Tisch setzen und könne über alles reden, und einer völlig verfehlten Wahrnehmung der Situation im Nahen Osten«, wo Naivität und Schwäche nicht zielführend seien.
Die Bedrückung über diese Haltung teile er, sagte Kevin Kühnert. Zugleich wies er darauf hin, dass die Jusos als Jugendorganisation mit einem Bildungsauftrag bereits seit 25 Jahren einen regen Austausch mit Israel pflegen, indem sie so viele Mitglieder wie möglich nach Israel bringen. Eine Arbeit, die heute, wo es notwendiger denn je sei, Früchte trägt. Denn viele von ihnen haben heute politische und gesellschaftliche Verantwortung übernommen oder würden heute als Abgeordnete im Bundestag sitzen – und hätten unter anderem Verantwortung für den Anti-BDS-Beschluss mitgetragen.
Inwieweit ist die Staatsräson möglicherweise darauf konditioniert, dass Israel ein prowestlicher, liberaler, säkularer Staat ist, wollte Gil Yaron wissen.
Inwieweit ist die Staatsräson möglicherweise darauf konditioniert, dass Israel ein prowestlicher, liberaler, säkularer Staat ist, wollte Gil Yaron wissen. »Israel ist ein Schutzraum und nicht infrage zu stellender Anlaufpunkt für Juden in aller Welt«, sagte Kühnert. Und es sei Kern der Frage nach einer Staatsräson, was sie eigentlich wert sei bei einer ernsthaften Meinungsauseinandersetzung. Hat sie auch unter Druck Bestand?
Seine Solidarität gelte immer Menschen und nicht Regierungen, sagte Kühnert. »Erst recht nicht, wenn die Menschen, denen ich dort einen Schutzraum ermöglichen und sichern möchte, keinen zweiten davon auf der Welt haben.« Denn die Menschen, denen diese Staatsräson zugesichert wurde, seien nach der nächsten Wahl ja noch dieselben. Staatsräson sei ein exklusiver Begriff, eine Besonderheit innerhalb des deutsch-israelischen Verhältnisses, die auch unter Druck standhalten können sollte.