Nicht nur in den USA, auch in Frankreich ist es an Universitäten zu teilweise gewalttätigen Protesten gegen Israel und zu Campus-Besetzungen gekommen. Ein besonderer Hotspot war dabei das renommierte Institut d’études politiques de Paris, das von allen und auch von sich selbst fast nur noch »Sciences Po« genannt.
Die Hochschule ist weltweit führend im Bereich der Politikwissenschaften. Die Hälfte der rund 14.000 Studierenden kommt aus dem Ausland. Die »Grande Ecole« ist auch eine Kaderschmiede der französischen Politik: Alle sechs Staatspräsidenten seit 1970 absolvierten dort ihr Studium.
Bereits im März war es an mehreren Sciences-Po-Standorten zu lautstarken Protesten gekommen. Einer jüdischen Studentin wurde der Zutritt zu einer propalästinensischen Veranstaltung mit der Begründung verwehrt, sie sei »Zionistin«. Ein anderer jüdischer Student berichtete diese Woche, an der Hochschule herrsche ein »Klima des intellektuellen Terrors«. Viele Studenten könnten ihre Meinung nicht mehr frei äußern.
Am Mittwoch vergangener Woche - in Paris war das Hauptgebäude von Aktivisten des »Comité Palestine Sciences Po« besetzt worden - rief die Leitung der Institution zunächst sogar die Polizei zu Hilfe, um die Lage in den Griff zu bekommen.
Zwei Tage später änderte Interimsdirektor Jean Bassères (er hatte erst Ende März den Posten von dem kurz vor zurückgetretenen Mathias Vicherat übernommen) dann aber seine Haltung, sprach mit den Protestierern und handelte mit ihnen einen Kompromiss aus, um die Aktion friedlich zu beenden.
Doch dafür erntete Bassères nun Kritik. Mehr als 500 Studierende, Alumni und ehemalige Dozenten warfen ihm in einem Offenen Brief vor, zugelassen zu haben, dass die Hochschule »durch eine gewalttätige Minderheit« instrumentalisiert werde, was wiederum das »antisemitische Klima« dort nur noch befördere.
Die Unterzeichner forderten die Hochschulleitung stattdessen auf, durch »harte Disziplinarmaßnahmen« gegen die Aktivisten für eine »Rückkehr zur Ruhe« zu sorgen. Eine »Amnestie« dürfe es nicht geben, da eine solche die »destabilisierenden Handlungen« die Aktionen nur nachträglich legitimieren würden.
»Keine Amnestie«
Der Offene Brief verlangt ausdrücklich die Beibehaltung aller internationalen Kooperationen von Sciences Po, insbesondere mit israelischen Partneruniversitäten. Zu den Unterzeichnern gehören bekannte Namen wie der Chefredakteur des Nachrichtenmagazins »L’Express«, Eric Chol, die Publizistin Caroline Fourest und der jüdische Parlamentsabgeordnete Benjamin Haddad.
Am Donnerstag stellte sich Bassères in einer »Townhall«-Debatte der Kritik, die auch von Seiten der Jüdischen Studierendenunion Frankreichs (UEJF) geäußert wurde. Er musste einräumen, dass es an der Sciences Po zuletzt »einen Anstieg von Meldungen im Zusammenhang mit Antisemitismus« gegeben habe. Man wolle aber, betonte er, »unnachgiebig« sein, was das angehe.
Elf Verfahren seien eingeleitet worden. Allerdings, so Bassères, sei der Vorfall mit der jüdischen Studentin noch nicht abschließend untersucht. Man werde aber Konsequenzen ziehen und Entscheidungen treffen, sobald dies der Fall sei. Die UEJF teilte auf ihrem X-Konto mit: »Unsere Forderungen wurden gehört. Wir werden den Dialog über den Konflikt fortsetzen und im Kampf gegen den Antisemitismus nicht nachlassen.«
Doch wer geglaubt hatte, dass nun Ruhe einkehren würde an der prestigeträchtigen Grande Ecole, sah sich schnell eines Besseren belehrt: Schon unmittelbar nach der Townhall skandierten Studenten bereits wieder Sprechchöre wie »Israël assassin!«.
Der Sciences-Po-Campus in der nordfranzösischen Stadt Lille blieb auf Anweisung der Hochschulleitung am Donnerstag für den Betrieb geschlossen. Vor den Toren standen Dutzende propalästinensische Protestierer und blockierten den Zugang. In Lyon, der zweitgrößten Stadt Frankreich, sah es ähnlich aus. An einer Hörsaaltür hing ein Zettel mit der Aufschrift: »Keine Faschos. Keine Zionisten. Keine Fotos.« Und: »Tragt Masken.«