Frau Staatssekretärin, Sie haben in einem Leserbrief an »Die Zeit« einen Bericht über die Verhandlungen der Bundesregierung mit der Jewish Claims Conference kritisiert. Warum?
Die Darstellung in dem Artikel spiegelt nicht den Verlauf der Gespräche wider. Viele Anrufe und Zuschriften, die ich nach der Veröffentlichung des Artikels erhalten habe, drückten mehrheitlich Empörung darüber aus, dass über vertrauliche Gespräche, und dann auch nicht den Tatsachen entsprechend, berichtet wurde. In diesem Sinne hat sich auch die Jewish Claims Conference geäußert.
In der »Zeit« ist zu lesen, die Verhandlungen seien ein »Routinevorgang«. Sie widersprechen?
Als diejenige, die die Verhandlungen in diesem Jahr zum ersten Mal führen durfte, kann ich sagen, dass in den Gesprächen nichts von Routine zu spüren war. Im Gegenteil: Ich habe sowohl die Vorbereitung der Gespräche als auch die eigentlichen Verhandlungen als außergewöhnlich erlebt. Die Gespräche, die im Rahmen des Luxemburger Abkommens geführt werden, sind etwas sehr Besonderes, denn hier wird über die Schicksale von Menschen gesprochen.
Sie kritisieren auch, dass der Text stark auf den Minister personalisiert ist, der die Verhandlungen gar nicht geführt hat?
Ja. Denn wie auch schon in der Vergangenheit wurden die Verhandlungen auf Staatssekretärsebene geführt, nicht durch den Bundesfinanzminister.
Die vereinbarte Zahlung von 1,2 Milliarden Euro soll die höchste Zahlung in der Geschichte der Bundesrepublik sein. Wie erklären Sie sich dann, dass sich US-Außenminister Blinken veranlasst sah, auf »ein Mindestmaß an Anerkennung und Würde« zu drängen?
Es ist durchaus üblich, dass ausländische Regierungen die Positionen der Claims Conference im Vorfeld der jährlichen Verhandlungen durch Begleitschreiben unterstützen. Das war in diesem Jahr – wie auch in allen vorhergehenden – der Fall. Auch das genannte Schreiben stammt aus einer Vorfeldkommunikation, die nicht unüblich ist: Es datiert auf den 16. Mai 2022, während die Verhandlungen am 19. Mai stattfanden. Im Ergebnis wurden in diesem Jahr die Leistungen für jeden Empfänger erhöht. Die Einigung in Höhe von zunächst rund 1,2 Milliarden Euro lag auf dem Niveau der vergangenen beiden Jahre. Sie liegt erheblich über den Verhandlungsergebnissen der Vor-Corona-Jahre. Danach und darüber hinaus traf der Minister im Juni die Entscheidung, die auf Staatssekretärsebene abgeschlossenen Verhandlungen um eine nochmalige pandemiebedingte Einmalzahlung in Höhe von rund 180 Millionen Euro zu ergänzen.
Worin bestehen dann die Meinungsverschiedenheiten?
Seit einigen Jahren ist es ein Anliegen der Claims Conference, monatliche Rentenzahlungen auch für Menschen zu vereinbaren, die nicht zu dem Personenkreis zählen, auf den sich das Luxemburger Abkommen selbst bezieht. Auch unter früheren Bundesregierungen war dieser Punkt allerdings offengeblieben. Alle anderen Punkte haben wir verhandelt und sind zu einem Ergebnis gekommen. Für die erwähnte Gruppe der Geschädigten wurde nun eine weitere Einmalzahlung vereinbart. Dieser Punkt war aber nicht Bestandteil der Verhandlungen im Mai, sondern geht auf eine Entscheidung des Ministers zurück, der das Ergebnis noch einmal in seiner Gesamtheit betrachtet hatte.
Wie wollen Sie denn in Zukunft den Bedürfnissen der unterschiedlichen Gruppen Rechnung tragen?
Die Prüfung der Ansprüche wird gemeinschaftlich vorgenommen. Ich bin mir sicher, dass wir auch in Zukunft Lösungen finden werden, die allen Betroffenen gerecht werden.
Haben Sie in den Verhandlungen auf die Schuldenbremse verwiesen?
Eine Argumentation, Leistungen könnten aufgrund der Schuldenbremse nicht gewährt werden, gab es zu keinem Zeitpunkt.
Es wird also keine »Schuldbremse« geben?
Natürlich nicht! Und vielleicht ist zum Verhandlungsergebnis dieses Jahres noch bemerkenswert, dass wir nicht nur über Zahlungen an Holocaust-Überlebende gesprochen haben, sondern auch über Holocaust-Education, also über das Erinnern und die Bildung. Dafür werden weitere 100 Millionen Euro in diesem und den nächsten Jahren ausgegeben. Wir werden auch weiterhin Verantwortung übernehmen.
Mit der Staatssekretärin im Bundesfinanzministerium sprachen Detlef David Kauschke und Joshua Schultheis.