Der Angriff auf Rabbiner Daniel Alter und seine siebenjährige Tochter in Berlin in der vergangenen Woche hat zu Auseinandersetzungen zwischen Vertretern des deutschen Judentums und muslimischen Verbänden geführt. Dieter Graumann, Präsident des Zentralrats der Juden, erklärte: »Das Engagement in manchen muslimischen Verbänden gegen Antisemitismus in den eigenen Reihen ist sehr stark verbesserungswürdig.« Er fügte hinzu: »Worte des Mitgefühls von muslimischen Verbänden sind schön und ehrlich gemeint. Aber Taten wären auch wichtig.«
Ähnliche Kritik äußerte die Berliner Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD). Die islamischen Verbände müssten »ganz konkret das Thema Antisemitismus aufgreifen«, sagte die muslimische Politikerin auf einer Kundgebung in Berlin, die aus Solidarität mit Rabbiner Alter abgehalten wurde.
Rassismus Ali Kizilkaya, Vorsitzender des Koordinierungsrats der Muslime, wies zunächst Graumanns Kritik zurück: »Muslime brauchen da keine Lehrstunde«. Diesen Satz kritisierte der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, als »äußerst unglücklich«; Graumanns Anliegen sei »richtig und wichtig«. Daraufhin meldete sich Kizilkaya erneut zu Wort: Der Angriff auf Alter sei »auf das Schärfste« zu kritisieren, die Ursache seien »Rassismus und Menschenfeindlichkeit in all ihren Facetten«.
Einen Tag nach der Tat hatte Kenan Kolat, Bundesvorsitzender der Türkischen Gemeinde und Ehemann von Dilek Kolat, den Generalsekretär des Zentralrats der Juden, Stephan J. Kramer, angerufen und sein Bedauern und seine Solidarität ausgedrückt. Auch Ali Maarous vom Deutsch-Arabischen Zentrum reagierte auf den Angriff, der nach bisherigen Erkenntnissen von arabischstämmigen Jugendlichen verübt wurde: »Im Namen der 17 arabischen Vereine, die dem Zentrum angehören, verurteile ich den Vorfall.« Serdar Yazar, Sprecher der Türkischen Gemeinde in Deutschland, sagte, solche Überfälle häuften sich, »die Hemmschwelle für Gewalt sinkt. Das ist meine Wahrnehmung, aber ich hoffe, sie stimmt nicht.«
Wachsende Gewaltbereitschaft nehmen auch jüdische Vertreter in der deutschen Gesellschaft wahr. Dieter Graumann beklagt, dass antisemitische Pöbeleien, auch gegen Kinder, keine Seltenheit seien. »Gerade in Schulen und auf Sportplätzen werden jüdische Jugendliche immer häufiger auf das Übelste beleidigt.« Der Berliner Gemeindevorsitzende Gideon Joffe sagte, es sei schon fast Standard, dass Gäste aus Israel in Kreuzberg und Neukölln aus Angst vor Übergriffen Englisch miteinander sprächen, um nicht als Juden erkannt zu werden.
In einem Interview führte Joffe aus: »Reinen Herzens kann ich deshalb nicht empfehlen, mit einer Kippa durch Berlin zu laufen.« Ähnlich hatte sich Rabbiner Walter Homolka, Rektor des Abraham Geiger Kollegs, geäußert. Das Kolleg rate seinen Studierenden davon ab, »auf der Straße die Kippa zu tragen. Stattdessen sollten sie eine unauffällige Kopfbedeckung wählen.« Er selbst, so Homolka in der Süddeutschen Zeitung, trage in der Öffentlichkeit keine Kippa, »nur bei offiziellen Anlässen. Aber sobald ich den Ort des offiziellen Anlasses verlasse, nehme ich sie auch wieder ab.«
rat Für diese Äußerungen wurden Joffe und Homolka stark kritisiert. »Einigen jüdischen Stimmen, die raten, man solle bestimmte Viertel besser meiden oder seine Glaubenssymbole nicht öffentlich tragen«, so Dieter Graumann, »denen sage ich ganz deutlich: Nein! Ich selbst werde diesen Rat nicht befolgen! Ich lasse nicht zu, dass mir No-Go-Areas auferlegt werden.« Das neue positive Judentum, das er sich wünsche, dürfte nicht nur im Hinterzimmer ausgelebt werden: »Jüdisches Leben in Deutschland ist sicher.« Auch Stephan J. Kramer gab zu bedenken, wer diese Empfehlung abgebe, deute an, »dass das Opfer eigentlich die Ursache des Angriffs geliefert« habe, also beinahe selbst schuld sei.
Am Samstagabend fand in Berlin die ohnehin geplante »Lange Nacht der Religionen« statt. Aus Solidarität mit dem überfallenen Rabbiner trug der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) eine schwarze Kippa. »Wir müssen dafür Sorge tragen«, erklärte er, »dass eine Kippa, ein Turban getragen werden kann.« Das Verstecken religiöser Symbole dürfe nicht die Antwort auf die Vorfälle sein.