AfD im Chaos: Die Fraktion im baden-württembergischen Landtag ist gespalten, ihr bisheriger Chef Jörg Meuthen warnt vor dem Zerfall der Partei, auf Bundesebene geht der Führungsstreit munter weiter. Wenn die Sache nicht viel zu ernst wäre, könnte man über das Schmierentheater im Stuttgarter Landtag nur lachen. So aber hat die Gedeon-Affäre die Frage geklärt, ob es derzeit eine rechte Partei in Deutschland ohne Antisemitismus geben kann. Die Antwort ist, jedenfalls was die AfD betrifft, eindeutig nein.
Bisher hatte die AfD stets den Versuch unternommen, sich ganz in das Weltbild der »Neuen Rechten« einzufügen. Diese versucht seit Jahren, das alte Feindbild – den Juden – gegen ein neues – den Muslim – auszutauschen. Aus »Die Juden sind unser Unglück« wurde »Die Moslems sind unser Unglück«. Das gilt sowohl für die FPÖ als auch für den Front National: Waren die FPÖ unter Jörg Haider und der Front unter Jean-Marie Le Pen noch klassisch antisemitisch, setzen ihre Nachfolger Marine Le Pen und vor allem Heinz-Christian Strache auf die Freundschaft zu Israel und die Feindschaft gegen den Islam.
rassismus An diese Haltung dockt die AfD an. Der Grund dafür ist banal: Während der Antisemitismus – trotz konstanter Zustimmungsquoten im niedrigen zweistelligen Bereich – gesellschaftlich weiter sanktioniert wird, ist der islamfeindliche Rassismus – gerade »nach Köln« – zunehmend konsensfähig.
Die neue Freundschaft zu Israel und den Juden entpuppt sich so als rein instrumentell. Speziell die Bezugnahme der neuen Rechten auf das »jüdisch-christliche Abendland« ist infam. Denn ob Antisemitismus oder Antiislamismus: Das Freund-Feind-Denken bleibt strukturell identisch. Stets steckt dahinter der große Sündenbock und seine Verschwörung – ob die »Zersetzung« durch die Juden oder die »Flutung« durch die Migranten.
Dazu gesellt sich, gerade im alten post-kommunistischen Osten Europas, allzu oft der Antizionismus gegen Israel als Vorposten des Kapitalismus oder, durchaus europa- und bundesweit, die alte antisemitische Idee der Verschwörung des jüdischen Finanzkapitals. So war unlängst der Kreisvorsitzende der AfD Uckermark (Brandenburg), Jan-Ulrich Weiß, wegen Volksverhetzung angeklagt. Er hatte auf Facebook eine Karikatur des Bankiers Jacob Rothschild gepostet, »der so gut wie jede Zentralbank in Besitz« habe.
Im Westen hingegen, und zwar besonders herausragend in Baden-Württemberg, finden wir sowohl den alten christlichen wie auch die Hochburgen des sekundären, des Post-Auschwitz-Antisemitismus. Immer getreu der zynischen Devise: »Wir werden den Juden nie verzeihen, was wir ihnen angetan haben.«
ideologie Diese Ideologie, basierend auf der durch das eigene Menschheitsverbrechen gebrochenen deutschen Identität, ist besonders im AfD-Milieu zu Hause. Der geforderte »gesunde Patriotismus« (Jörg Meuthen) wird in den Augen vieler neu-alter Rechter durch nichts so stark infrage gestellt wie durch den Holocaust. In dieser Logik gibt es ein inhärentes Bedürfnis nach dessen Relativierung und Minimierung. Es zieht sich von den Schriften Gedeons, in denen der Holocaust unter »gewisse Schandtaten« subsumiert wird und der Holocaustleugner Horst Mahler zu einem Dissidenten mutiert, bis zur »Tätervolk«-Rede Martin Hohmanns, der bezeichnenderweise inzwischen AfD-Mitglied ist.
Grotesk wäre es daher zu glauben, bei Gedeon, Weiß und Hohmann handele es sich um bloße Einzelfälle. Nein, auch zukünftig werden sich die Judenhasser weiter in der AfD versammeln. Denn dort werden sie weiter einschlägig bedient: So fabuliert Björn Höcke, Speerspitze des völkischen Denkens in der AfD, in seinen Reden nicht nur in klarer NS-Konnotation von der tausendjährigen deutschen Geschichte, sondern auch von einem Antagonismus zwischen Juden und Christen. Umso grotesker muss es daher anmuten, wenn Jörg Meuthen nun postuliert, dass die AfD eine von Antisemitismus, Rassismus und Extremismus saubere Partei werden solle, er aber faktisch den Schulterschluss mit seinen »Freunden« Höcke und Gauland sucht.
schwur Nein, bis auf Weiteres wird es in Deutschland keine Rechte ohne Antisemitismus geben – das hat der Antisemitismusstreit in der AfD bewiesen. Manche vertreten nun die Meinung, nach der »Posse von Stuttgart« müsse man die Partei nicht mehr ernst nehmen. Das aber wäre erstaunlich verfrüht – und brandgefährlich. Schon im September, bei den Landtagswahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern, kommt es zum Schwur. Dann muss die Bevölkerung sich für oder gegen eine Partei entscheiden, die sich ersichtlich auch im antisemitischen Sumpf bewegt.
Zu befürchten ist, dass die Wähler sich auch diesmal, wie schon nach der Gauland-Boateng-Affäre, nicht werden abschrecken lassen. Dann aber hätte die AfD den Beweis erbracht, dass eine in Teilen antisemitische Partei heute wieder salonfähig ist. Eine erschreckende Perspektive und zweifellos die allergrößte Gefahr.
Der Autor ist Politologe, Jurist und Redakteur der »Blätter für deutsche und internationale Politik«.