Fast zwei Wochen hält die Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas. Die Erleichterung ist groß, auch bei uns in Deutschland. Nicht nur Jüdinnen und Juden fiebern mit den Geiseln, die hoffentlich bald bei ihren Lieben sein werden. Schon ergehen sich deutsche Medien in Gedankenspielen über die Zukunft der Region.
»Wie lange wird der Gaza-Wiederaufbau dauern?«, fragt das »Redaktionsnetzwerk Deutschland« und weiß auch schon die wenig überraschende Antwort: ziemlich lange, und teuer wird es auch. »Ein brüchiger Deal«, warnt der »Spiegel« und wird eine Binse los: »Können sich Israel und die Hamas nicht einigen, könnte die Feuerpause enden.«
Oft haben deutsche Medien die Regierung Netanjahu in den vergangenen Monaten ob ihrer Fehler, ihrer Planlosigkeit und ihrer teils rechtsextremen Ausfälle geschmäht. In vielen Fällen lagen sie mit ihrer Kritik richtig. Jetzt konstatieren sie, dass es der israelischen Armee trotz der Kämpfe am Boden und trotz monatelanger Luftangriffe nicht gelungen sei, die Hamas zu besiegen, dass die Miliz sogar erfolgreich neue Kräfte rekrutiert.
Eine gewisse Häme
Zum Teil schwingt eine gewisse Häme dabei mit: Wir hätten Netanjahu und seinem Kabinett ja gleich sagen können, dass gegen radikalisierte Islamisten kein Kraut gewachsen ist! Sollen sie halt endlich die Waffen dauerhaft schweigen lassen und für einen gerechten Ausgleich mit den Interessen der Palästinenser sorgen. Her mit der Zweistaatenlösung!
In der Theorie leuchten solch Postulate ein, in der Praxis leider nicht. Man stelle sich vor: Die Palästinensische Autonomiebehörde, obwohl ein weitaus konstruktiverer Verhandlungspartner als die Hamas, scheitert nicht nur am Widerstand Netanjahus, sondern auch am mangelnden Rückhalt in der eigenen Bevölkerung.
Am Ende eines wie auch immer gearteten Verhandlungsprozesses steht eine neue Form der palästinensischen Selbstverwaltung unter Beteiligung der Hamas. Sie schließt Gaza und Teile des Westjordanlandes ein. Die Palästinenser-Hilfsorganisation UNRWA bekommt neue Mittel, die zum Teil bei Hamas-Kämpfern landen. Auch aus dem Iran gelangen erneut über Umwege Geld und Waffen in die Hände der Terroristen.
Einige Monate nach Vertragsabschluss entsinnen sich Teile der militanten Gruppen ihres todbringenden Weltbildes und organisieren den nächsten 7. Oktober – diesmal nicht nur von Gaza, sondern auch vom Westjordanland aus. Die Welt wäre entsetzt und würde ihr Mitgefühl ausdrücken. Den Israelis würde das wenig helfen. Sie hätten den Terror erneut im Land.
Über die Gefahr, die von der Hamas ausgeht, sehen manche Medien oft nonchalant hinweg.
Eine unwahrscheinliche Option? Kaum, wenn man sich die Bilder der Nukba-Kämpfer mit ihren Märtyrer-Stirnbändern in Erinnerung ruft, die bei der Freilassung der ersten Geiseln präsent waren.
Die Nonchalance, mit der Medien über die Gefahr hinwegsehen, die von der Hamas ausgeht, ist aufreizend. Nehmen sie das Sicherheitsbedürfnis Israels überhaupt ernst? Zum Teil wirkt es so, als hätten sie sich daran gewöhnt, dass Israels Grenzen immer wieder mit Gewalt infrage gestellt werden, frei nach dem Motto: Im Nahen Osten scheppert es halt ab und zu. Und ist es nicht so, heißt es offen oder zwischen den Zeilen, dass auf israelischer Seite meist weniger Todesopfer zu beklagen sind als auf arabischer? So sickert das palästinensische Narrativ, dass recht hat, wer mehr und blutigere Bilder von Gewaltopfern präsentieren kann, in die deutschen Diskurse.
Verständnis für die Belange des Landes
Zugegeben, die Kommunikation der israelischen Regierung und der Armee nach außen könnte hilfreicher sein, um ein Verständnis für die Belange des Landes zu vermitteln. Im Umgang mit Journalisten hat sich eine fatale Schnodderigkeit eingeschlichen. Viele offizielle Statements kommen polternd daher. Und der Umstand, dass internationale Journalisten keinen Zugang nach Gaza erhalten, ist zwar wegen der Sicherheitsbedenken nachvollziehbar, aber mit der de-facto-Nachrichtensperre aus Gaza bringt Israel Medienschaffende gegen sich auf und leistet indirekt der Propaganda der Hamas Vorschub.
Das alles müsste natürlich kein Grund für Journalisten sein, ahnungslos zu berichten. Selbst wer am Schreibtisch seiner Redaktion in Gelsenkirchen oder Hannover arbeitet, kann sich schlaumachen – beispielsweise bei Kolleginnen und Kollegen in Israel, die zu einem großen Teil einer liebedienerischen Haltung der Regierung Netanjahu gegenüber unverdächtig sind. Oder bei Parlamentariern und Wissenschaftlern vor Ort.
Stimmt, so eine Recherche kostet schon mal ein paar enervierende Arbeitsstunden. Das ist viel Zeit, wenn im redaktionellen Alltag gleichzeitig andere Themen bearbeitet werden müssen. Aber der Nahe Osten nimmt einen so breiten Raum in den deutschen Medien ein, dass man dem Thema keinesfalls mit Hemdsärmeligkeit gerecht wird.
Die Autorin ist Co-Vorsitzende des Verbands Jüdischer Journalistinnen und Journalisten (JJJ).