Asymmetrische Kriege gewinnt man nicht. Bestenfalls verliert man sie nicht. Noch ist das letzte Wort nicht gesprochen, die letzte Rakete längst nicht abgefeuert. Trotz allem kann man leicht optimistisch – trotz der Wiederaufnahme der Kampfhandlungen – mit einer Zwischenbilanz des Gazakrieges beginnen. Dabei spielt es vorerst keine Rolle, ob ein offizieller Waffenstillstand unterzeichnet wird oder nicht.
Israel hat wochenlang Raketenangriffe der Hamas fast ohne zivile Verluste ausgehalten. Viele Angriffstunnel der Terroristen wurden zerstört. Natürlich ist die Hamas nicht vernichtend geschlagen und Gaza nicht von Israel erobert worden. Das könnte politisch allerdings von Vorteil sein. Ein kurzer Blick in den Irak und nach Syrien lässt vermuten, dass das politische Vakuum, welches mit der Vernichtung der Hamas entstünde, nicht unbedingt von politischem Nutzen für Israel sein würde.
Hamas Verloren hat Israel allerdings den Kampf um die öffentliche Meinung. Es ist natürlich verständlich, dass westliche Medien sich auf das Leid der Zivilbevölkerung konzentrieren. Alles andere wäre herzlos und grausam. Aber auf der anderen Seite ist dieser mitleidige Blick hoffnungslos unpolitisch. Und mehr als das, er reduziert die Politik auf Gefühle. Die Hamas weiß das natürlich und setzt die Gefühle der ausländischen Zuschauer wie Schachfiguren ein. Damit wird das scheinbar unbeteiligte Publikum zum unmittelbaren Akteur, der den Kriegsverlauf mit beeinflusst.
Meist ist den moralisch empörten Beobachtern gar nicht bewusst, dass ihr mitleidiger Blick als Waffe eingesetzt wird. Dazu gehört natürlich auch das ständige Aufrechnen der Toten. Denken und Urteilen über den Konflikt wird dadurch dem moralischen Gefühl untergeordnet. Das ist eine falsch verstandene Ethik des »Nie wieder«. Die wohl wichtigste Waffe der Hamas ist die Taktik, Raketen aus Bevölkerungszentren abzuschießen, um das israelische Militär dazu zu zwingen, diese zu beschießen, da es die Aufgabe eines jeden Militärs ist, die eigene Zivilbevölkerung zu schützen.
diaspora Der Einsatz von Waffen bringt es aber auch mit sich, Verantwortung für dessen Konsequenzen zu tragen. Aber nur Israel und seine Bürger zeichnen für das militärische Handeln ihres Staates verantwortlich. Die jüdische Gemeinschaft außerhalb Israels trägt dafür keine Verantwortung. Die Diaspora mag Israel unterstützen oder neutral bleiben. Auch wenn antisemitische Demonstranten sie in den Konflikt hineinziehen wollen und der Konflikt immer mehr religiöse Züge annimmt, sind die Juden außerhalb Israels in erster Linie Beobachter. Die Bekämpfung des Antise- mitismus außerhalb Israels und der Krieg gegen die Hamas sind zwei verschiedene Schauplätze.
Aber wie sieht die Verantwortung Israels für den Fortgang des Konflikts aus? Souveräne Staaten haben den politischen Spielraum, den politischen Feind nicht als moralisch verkommen oder als böse zu betrachten. Der Feind ist nicht automatisch ein Feind, weil er eine andere Religion hat oder einer anderen Nation angehört. Genau darin besteht der Handlungsspielraum. Die Verhandlungen Israels mit der Hamas in den vergangenen Tagen haben das klargemacht. Der Hamas wurden Zugeständnisse ge-
macht und wurde damit als souveräner Verhandlungspartner akzeptiert. Das politisiert den Konflikt, und auch die Hamas kann damit in die Verantwortung einbezogen werden.
Bei Frieden im Nahen Osten geht es nicht um »Nie wieder Krieg«. Frieden im Nahen Osten kann nur als ein System gegenseitiger politischer Abhängigkeiten verstanden werden, von Interessen geleitet, die Israel in eine Allianz mit einigen Regimen gegen andere Regime bringen. Das hat nichts mit zivilgesellschaftlichen Begriffen wie Vertrauen und Freundschaft zu tun. Man sollte der Versuchung widerstehen, sich einer apolitischen Definition von Frieden hinzugeben, die auf einer westlichen Nachkriegsethik des »Nie wieder« beruht. Ein politischer Frieden ist die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln. Das bedeutet auch, dass der politische Feind von gestern der politische Freund von heute werden kann oder umgekehrt.
frieden Der befriedete Westen tut sich mit diesem Politikverständnis schwer. Er verwechselt Moralität mit Politik, was die Hamas natürlich geschickt in ihrem asymmetrischen Krieg einsetzt. Dazu setzt sie auch gezielt die Bevölkerung Gazas ein. Ähnliches kann und will sich Israel nicht erlauben. Um im Nahen Osten zu überleben, muss Israel sowohl Krieg führen als auch sein politisches Bündnissystem neu überdenken. Die Distanzierung vom Westen könnte zum Beispiel auch eine Annäherung an Russland und China bedeuten, welche wiederum dazu führen kann, dass Israel seine Rolle als Projektionsfläche für die Juden der Diaspora verliert.
Natürlich kann man auch so weitermachen wie bisher. Jerusalem existiert zwischen Athen und Sparta. Es gibt Alternativen. Nichts ist vorbestimmt.
Der Autor ist Professor für Soziologie in Tel Aviv.