Nahost

Kehrtwende beim Geld

Palästinensischer Premierminister Mohammad Shtayyeh bei seiner Ankunft in Glasgow im November Foto: imago images/ZUMA Press

In den seltensten Fällen stimmten die israelische Regierung und die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) in der Vergangenheit überein. Doch beim Geld sind sie jetzt d’accord. Während Verteidigungsminister Benny Gantz in den USA für mehr finanzielle Mittel für die Palästinenser warb, bat auch der palästinensische Premierminister Mohammad Shtayyeh auf der Geberkonferenz in Oslo darum.

Dies stellt eine »weitere bedeutende Änderung durch die jetzige Regierung in Jerusalem dar«, kommentiert das israelische Wirtschaftsmagazin »Globes« daraufhin. Gantz will die internationale Gemeinschaft dazu bringen, der PA stärker unter die Arme zu greifen. Denn ein wirtschaftlicher Kollaps des Palästinensergebietes könnte zu einer ernsthaften Verschlechterung der Sicherheitslage führen. Und niemand will ein zweites Libanon im Nahen Osten.

terroristen Die Netanjahu-Regierung hatte zuvor stets darauf gepocht, die Gelder für Ramallah nicht zu erhöhen. Als Grund wurden die Zahlungen für die Familien von getöteten oder inhaftierten Terroristen genannt. Das von Kritikern als »pay to slay« (zahlen, um zu töten) bezeichnete System wollten die Palästinenser angeblich anpassen.

Es sollte nicht mehr entsprechend der Länge der Gefängniszeit, sondern nach den finanziellen Bedürfnissen der Familie bezahlt werden, hatte Qadi Abu Bakr, Vorsitzender des palästinensischen Gefangenenkomitees, der »New York Times« gesagt. Das war vor einem Jahr, als Palästinenserpräsident Mahmud Abbas US-Präsident Joe Biden besuchte. Auch damals ging es um Geld.

Auf der jetzigen Geberkonferenz war von einer Änderung keine Rede. Stattdessen forderte Shtayyeh, dass das israelische Gesetz von 2018 gekippt werden soll. Das besagt, dass von den Steuereinnahmen jene Gelder abgezogen werden, die die palästinensische Behörde an Terroristenfamilien bezahlt. Israel nimmt für Exporte aus den palästinensischen Gebieten Steuern ein und leitet diese an die PA weiter.

kredit Im Frühsommer hatte Jerusalem knapp 160 Millionen Euro dieser Steuereinnahmen zurückbehalten. Gantz sagte der PA anschließend jedoch einen Kredit in Höhe von etwa 130 Millionen Euro zu und umging somit das Gesetz.

Ein weiteres Problem ist die Korruption innerhalb der PA. Nach Angaben eines Berichts aus Norwegen vor vier Jahren seien rund 40 Prozent der finanziellen Mittel nicht bei Projekten angekommen, für die sie vorgesehen waren. Oslo nahm das zum Anlass, die Hilfen drastisch zu kürzen.

Eine starke palästinensische Wirtschaft dient auch Israel.

Um die Korruption zu erschweren, wollen die USA, die EU und Israel ab sofort die Gelder nicht mehr direkt an die PA überweisen, sondern für bestimmte Projekte zur Verfügung stellen, die unter der direkten Aufsicht der Geberländer stehen.

Doch dies ist nicht der einzige Grund, warum die Verwaltung der Palästinenser in derart großer Finanznot ist. Während vor rund zehn Jahren noch etwa 1,3 Milliarden Dollar in die Kasse flossen, waren es 2020 lediglich rund 400 Millionen und 2021 noch weniger.

HAUSHALT Der jüngste Bericht der Weltbank zeigt, dass die PA im laufenden Jahr ein Defizit von 1,36 Milliarden US-Dollar bei einem Haushalt von sechs Milliarden schreibt. Und das, obwohl sich die Wirtschaftsaktivität langsam von der Corona-Krise erholt. Bereits seit Monaten werden die Gehälter der Behörden nicht gezahlt. Auch Überweisungen in den Gazastreifen wurden gekürzt.

Die Saudis, die bis 2018 noch 200 Millionen Dollar jährlich überwiesen, strichen ihre Hilfe drastisch auf weniger als ein Fünftel zusammen. Grund sei die Weigerung der Palästinenser gewesen, sich an dem Friedensplan des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump zu beteiligen. Trump selbst setzte das Geld an die PA gleich ganz aus. Der jetzige Chef im Weißen Haus, Joe Biden, bewilligte es jedoch im April wieder. Der Großteil des Geldes geht an UNRWA, das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge.

Deutschland versicherte auf der Konferenz, seinen Beitrag weiterhin zu leisten.

Deutschland versicherte auf der Geberkonferenz, seinen Beitrag weiterhin zu leisten. Im laufenden Jahr habe es nach Angaben des Auswärtigen Amtes bereits 125 Millionen US-Dollar an UNRWA gezahlt, damit steht die Bundesrepublik mit den Hilfsleistungen nach den USA weltweit an zweiter Stelle.

Die Geberkonferenz wurde 1993 gegründet, um der PA nach den Oslo-Abkommen zwischen Israel und den Palästinensern wirtschaftliche Starthilfe zu geben. Hauptgeldgeber sind die USA, die EU und Kanada. Doch trotz Milliarden von Dollar, die über die Jahre investiert wurden, ist dieses Ziel nicht erreicht worden.

WIRTSCHAFTSEINHEIT Israel schickte mit Essawi Freige von der Linkspartei Meretz den Minister für regionale Entwicklung nach Oslo, um die neue israelische Position vorzutragen. Mindestens eine Milliarde Dollar soll fließen, Gelder für den Gazastreifen nicht eingerechnet. »Die Vernachlässigung der vergangenen Jahre hat eine Finanzkrise heraufbeschworen, die nicht nur die Palästinensische Autonomiebehörde gefährdet, sondern die Region als Ganzes«, so Freige.

In der Netanjahu-Regierung seien die positiven wirtschaftlichen Aspekte von bilateralen Abkommen ignoriert worden. »Doch Israel und die Palästinensische Autonomiebehörde sind eine gemeinsame Wirtschaftseinheit«, führte Freige aus. »Niemand tut dem anderen einfach einen Gefallen. Eine starke palästinensische Wirtschaft dient auch Israel.«

Debatte

Theologen werfen Papst einseitige Sicht auf Nahost-Konflikt vor

Ein Schreiben von Papst Franziskus zum Nahost-Krieg enthalte einen »blinden Fleck im Denken«

 22.11.2024

Hessen

Boris Rhein verurteilt Haftbefehl gegen Netanjahu

Der israelische Premier verteidige »sein Land gegen Terroristen«, so Rhein

 22.11.2024

CDU/CSU

Unionspolitiker: Verhaftung von Netanjahu auf deutschem Boden »unvorstellbar«

Die größte Oppositionsfraktion kritisiert die fehlende Haltung der Bundesregierung

 22.11.2024

Den Haag

Der Bankrott des Internationalen Strafgerichtshofs

Dem ICC und Chefankläger Karim Khan sind im politischen und juristischen Kampf gegen Israel jedes Mittel recht - selbst wenn es unrecht ist. Ein Kommentar

von Daniel Neumann  22.11.2024

Internationaler Strafgerichtshof

»Halten uns an Recht und Gesetz«: Jetzt äußert sich die Bundesregierung

Außenministerin Annalena Baerbock will aber noch genauer prüfen, was der Entscheid des IStGH bedeutet

 22.11.2024

Budapest

Orbán: »Werde Netanjahu nach Ungarn einladen«

Regierungschef Viktor Orbán will seinen israelischen Amtskollegen trotz des Haftbefehls des Internationalen Strafgerichtshofes weiter empfangen

 22.11.2024

Atomprogramm

Iran kündigt Ausbau der Urananreicherung an

Der Atomstreit mit dem Iran geht in eine neue Runde

 22.11.2024

Kriminalität

»Schwachkopf«-Post zu Habeck: Jetzt melden sich die Ermittler zu Wort

Ein Mann soll Wirtschaftsminister Habeck im Netz beleidigt haben. Dass dann die Polizei zu Besuch kam, sorgte nicht nur im Umfeld des Vizekanzlers für Verwunderung. Die Ermittler liefern Erklärungen

von Frederick Mersi  21.11.2024

Wien

Österreichs Außenminister kritisiert Haftbefehle gegen Israelis

Die Entscheidung schadet der Glaubwürdigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs, unterstreicht der ÖVP-Politiker

 21.11.2024