Holocaust-Gedenken

Kanzler Scholz: »Unsere Demokratie ist nicht gottgegeben«

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Foto: picture alliance/dpa

Anlässlich des Holocaust-Gedenktags hat Bundeskanzler Olaf Scholz zum entschlossenen Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus aufgerufen. »›Nie wieder‹ ist jeden Tag«, sagte der SPD-Politiker in seinem am Samstag veröffentlichten wöchentlichen Videoformat »Kanzler kompakt«. »Der 27. Januar ruft uns zu: Bleibt sichtbar! Bleibt hörbar! Gegen Antisemitismus, gegen Rassismus, gegen Menschenhass – und für unsere Demokratie.«

Bundesweit wurde am 79. Jahrestag bei zahlreichen Veranstaltungen an die Befreiung des früheren deutschen Konzentrationslagers Auschwitz an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert. Seit 1996 wird das Datum in Deutschland als Holocaust-Gedenktag begangen, die Vereinten Nationen haben das Datum 2005 zum Gedenktag ausgerufen.

»Für mich ist das eine Verlängerung von Auschwitz«

Bei einer Gedenkfeier in der Gedenkstätte Auschwitz äußerte eine Überlebende ihr Entsetzen über die Massaker der Hamas und anderer terroristischer Gruppen am 7. Oktober in Israel. »Es fallen die Söhne und Töchter der wenigen geretteten Holocaust-Überlebenden, nachdem sie ein neues Leben begonnen, eine neues Heimat in Israel gefunden haben«, sagte die 94-jährige Halina Birenbaum. Erneut gebe es in europäischen Ländern wie Italien und Frankreich Demonstrationen gegen Juden und den jüdischen Staat. »Für mich ist das eine Verlängerung von Auschwitz«, sagte Birenbaum.

Die Gedenkfeier, an der nach Angaben der Veranstalter rund 20 Überlebende teilnahmen, befasste sich in diesem Jahr schwerpunktmäßig mit Porträts von Häftlingen des Lagers. Die dort entstandenen Zeichnungen stehen symbolisch für den individuellen Menschen, wie es in einer Mitteilung der Gedenkstätte hieß.

Am Abgrund der Menschlichkeit

Scholz betonte, die heutige Demokratie gründe auf dem zentralen Bekenntnis »Nie wieder«. »Nie wieder Ausgrenzung und Entrechtung, nie wieder Rassenideologie und Entmenschlichung, nie wieder Diktatur.« Dafür zu sorgen, sei die zentrale Aufgabe des Staates. »Deswegen bekämpfen wir jede Form von Antisemitismus, Terrorpropaganda und Menschenfeindlichkeit.« Das »Nie wieder« fordere die Wachsamkeit aller, sagte der Kanzler mit Blick auf die aktuellen Demonstrationen gegen rechts. »Unsere Demokratie ist nicht gottgegeben. Sie ist menschengemacht. Sie ist stark, wenn wir sie unterstützen. Und sie braucht uns, wenn sie angegriffen wird«, mahnte Scholz.

Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) schrieb auf der Plattform X, Nazi-Deutschland habe »die Welt in den Abgrund der Menschlichkeit schauen lassen. Es ist an uns Lebenden, aus der Verantwortung für unsere Vergangenheit heraus unsere Gegenwart zu gestalten. Nie wieder ist jetzt.« Zahlreiche Bundesminister zeigten sich auf X mit Schildern der Gedenkkampagne »We remember«. Bundesinnenministerin Nancy Faeser ordnete für die Dienstgebäude des Bundes für Samstag Trauerbeflaggung an.

Die SPD-Politikerin nahm auch an einer Lesung in der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück in Fürstenberg/Havel teil. »Keine 80 Jahre nach dem Ende des Hitler-Regimes werden wieder Pläne geschmiedet, Menschen systematisch zu diskriminieren und zu drangsalieren, zu entrechten und zu vertreiben aufgrund ihrer Abstammung, ihres Aussehens, ihrer Herkunft oder ihrer politischen Haltung«, sagte die Ministerin. »Wir stehen in der Verantwortung, das nicht zuzulassen.« Faeser sieht hier neben dem Rechtsstaat auch die Bevölkerung gefragt. »›Nie wieder‹ ist keine Floskel, sie ist unser aller Auftrag.«

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) machte deutlich, dass Antisemitismus unvereinbar mit dem Glauben sei. Die Präses der EKD-Synode, Anna-Nicole Heinrich sagte: »Extremistische, rassistische, und völkisch-nationalistische Einstellungen schlagen Gott ins Gesicht.« Heinrich und die amtierende EKD-Ratsvorsitzende, Bischöfin Kirsten Fehrs, wiesen zugleich auf die Beschlüsse der EKD-Synode vom November 2023 hin, wonach es sich bei Antisemitismus um eine Form der Gotteslästerung handele.

Margot Friedländer besorgt über steigenden Antisemitismus

Die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer zeigte sich besorgt über den Anstieg antisemitischer Vorfälle in Deutschland. »Ich hätte es nie gedacht, dass es wieder so kommen würde, denn so hat es ja damals auch angefangen«, sagte die 102-Jährige am Freitag den ARD-»Tagesthemen«. Für »die, die wir das erlebt haben«, sei es »besonders schwer, zu verstehen, und sehr traurig«.

Der frühere Fußball-Kommentator Marcel Reif, Sohn eines Holocaust-Überlebenden, sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: »›Nie wieder!‹ ist eine Existenzgrundlage dieses Staates.« Er hoffe, dass die Deutschen das beherzigten. Reif soll am 31. Januar bei der diesjährigen Gedenkstunde des Bundestages neben Eva Szepesi, die als Kind Auschwitz überlebte, sprechen.

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, forderte neue Formate für das Holocaust-Gedenken. Es gebe nur noch wenige Überlebende des Holocaust, die persönlich Zeugnis ablegen und von den Verbrechen der Schoah berichten könnten, sagte Klein den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Gedenkstätten müssten »digitaler und auch mobiler werden«, etwa in sozialen Medien, aber auch ganz real im Sportverein oder in der Musikschule. dpa/ja

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