Meinung

Justiz: Freibrief für Antisemiten

Vor dem Münchner Landgericht wird das Hauptsacheverfahren zwischen der früheren Grünen-Politikerin Jutta Ditfurth und dem Publizisten Jürgen Elsässer verhandelt. Ditfurth hatte Elsässer in einem Fernsehinterview als »glühenden Antisemiten« bezeichnet, dagegen klagt Elsässer. Bei Erörterung der Rechtslage meinte die Vorsitzende Richterin: »Ein glühender Antisemit in Deutschland ist jemand, der mit Überzeugung sich antisemitisch äußert, mit einer Überzeugung, die das Dritte Reich nicht verurteilt, und ist nicht losgelöst von 1933 bis ’45 zu betrachten vor dem Hintergrund der Geschichte«, und sie bezeichnete den Vorwurf des Antisemitismus als »Totschlagargument«.

Mit dieser Einschätzung belegt das Landgericht, dass es sich nicht mit der Geschichte des Antisemitismus auskennt oder von der Geschichte des »Dritten Reiches« nichts weiß – oder beides. Der Antisemitismus entstand nicht erst mit der Machtergreifung der Nazis 1933 und verabschiedete sich genauso wenig mit der Befreiung von Auschwitz durch die Alliierten.

meinungsfreiheit Wer in Unkenntnis historischer Tatsachen versucht, den irrationalen Hass gegen Juden auf zwölf Jahre Nazidiktatur zu reduzieren, produziert damit gerade ein juristisches Totschlagargument, verhindert faktisch die Möglichkeit, Antisemiten beim Namen zu nennen, und schränkt die Meinungsfreiheit von Presse und Literatur in verfassungsrechtlicher und historischer Hinsicht in bislang nicht gekanntem Umfang ein.

Wie ignorant muss man sein, um den tief in der Mitte unserer Gesellschaft wurzelnden Judenhass, ob von Links oder Rechts, von Kirchen oder Moscheen ausgehend, nicht sehen zu wollen? Der moderne Antisemit verteidigt seinen Hass gegen Juden stets nach ähnlichen Mustern: Er habe jüdische Freunde, hasse die Nazis, kritisiere nur Israel oder habe – wie im Fall Elsässer – gar jahrelang für die Jüdische Allgemeine geschrieben.

Gewiss, die grundlose Bezeichnung einer Person als Antisemit kann eine rechtlich angreifbare Schmähung und Persönlichkeitsverletzung darstellen, so sie ohne jeglichen Sachbezug erfolgt. Vertritt jemand jedoch selbst Verschwörungstheorien über Juden oder bewegt sich bewusst im Umfeld solcher Protagonisten, so darf und muss er als das bezeichnet werden können, was er ist, ob eiskalt oder glühend: ein Antisemit – auch wenn er keine SS-Binde am Arm trägt.

Der Autor ist Rechtsanwalt in Berlin.

Henriette Quade

Linken-Politikerin tritt wegen Antisemitismus-Streit aus der Partei aus

Sie wirft der Partei vor, nicht konsequent genug gegen Judenhass vorzugehen

von Nils Kottmann  21.10.2024

Waffenstillstand

Das bietet Benjamin Netanjahu der Hisbollah an

Der Nahost-Beauftragte der USA, Amos Hochstein, bekam eine Forderungsliste Israels

 21.10.2024

Erfurt/Berlin

Verfassungsschützer fordert mehr Geheimdienst-Befugnisse

Laut Stephan Kramer zeigt der neu aufgedeckte Anschlagsplan gegen die israelische Botschaft Handlungsbedarf auf

 21.10.2024

Ferdinand von Schirach

Wahrheit und Wirklichkeit

Die Massaker der Hamas sind bis ins grausamste Detail dokumentiert. Trotzdem werden sie verleugnet. Wie kann das sein?

von Ferdinand von Schirach  21.10.2024

Berlin

Israels Botschafter fordert Erklärung von SPD-Frau Özoguz

Die Bundestagsvizepräsidentin steht wegen eines antisemitischen Instagram-Beitrags in der Kritik

 21.10.2024

Zeitz

50.000 Euro Spenden für gestohlene Stolpersteine

Nach dem Diebstahl aller Stolpersteine in der Stadt Zeitz in Sachsen-Anhalt kommen weiterhin Spenden für deren Neuanfertigung an

 20.10.2024

Istanbul

Erdogan wirft Israel Völkermord vor – Scholz kontert

Die deutsch-türkischen Beziehungen gelten als schwierig. Beim Besuch des Kanzlers in Istanbul kam es zur Annäherung. Nur bei einem Thema bleibt ein tiefer Graben

von Anne Pollmann, Michael Fischer, Mirjam Schmitt  20.10.2024

Essay

Warum Juden in Deutschland zur »Heimatfront« geworden sind

Unsere Gastautorin Esther Schapira über die kurze Erleichterung nach dem Tod Sinwars und den antisemitischen Dammbruch in der Bundesrepublik

von Esther Schapira  20.10.2024

Berlin

Vereitelter Anschlagsplan: »Islamistischer Terrorismus bedroht jüdisches Leben«

Ein 28-jähriger Libyer soll einen Anschlag auf die israelische Botschaft in Berlin geplant haben. Der Verdächtige wurde in Untersuchungshaft genommen

 21.10.2024 Aktualisiert