Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki hat gesagt, es habe in der NS-Zeit »auch jüdische Täter« gegeben. Dass dies eine klassische Täter-Opfer-Umkehr darstellt, dass hier Scham und die Schuld, die man ob der Verbrechen an Juden empfinden muss, einfach auf die Opfer projiziert werden, liegt auf der Hand.
Was Morawieckis Äußerung besonders tragisch macht, ist, dass die Polen ja tatsächlich Opfer des Nationalsozialismus waren. Niemand bezweifelt das, und niemand vergisst, dass viele Polen Juden geholfen haben. Indem Morawiecki jedoch den Aspekt des Komplexes, dass Polen teils auch Täter waren, relativiert und mit angeblichen »jüdischen Tätern« gleichsetzt, lädt er sich die moralische Schuld der Geschichtsfälschung auf.
konkurrenz Morawiecki und seine nationalkonservative Partei PiS wähnen aber Polen in einer Opferkonkurrenz: Ihr Leid, so die falsche Wahrnehmung, werde gegenüber jüdischem Leid zu wenig gewürdigt. So falsch das ist, so verbreitet ist es in der häufigen Selbstbezeichnung Polens als »Christus unter den Völkern«: Polen ertrage für andere großes Leid, bis durch seine Auferstehung alle erlöst würden.
Den internationalen Ärger, den sich Morawiecki und die PiS-Führung derzeit einhandeln, ist es ihnen innenpolitisch wert. Der Wählerklientel soll signalisiert werden, dass man ihre Sehnsucht nach nationalistischer Homogenität teilt – gegen alles andere, alles Unkatholische und Unpolnische. Damit ist die PiS erfolgreich.
appell Am Montag veröffentlichten zwei Dutzend jüdische Organisationen in Polen eine gemeinsame Erklärung. Sie weisen auf die Bedrohung durch den Antisemitismus hin, und zugleich solidarisieren sie sich mit allen Menschen in Polen, die diskriminiert werden: »Roma, Muslime, Flüchtlinge, Schwarze, Ukrainer, Mitglieder anderer ethnischer, religiöser oder sexueller Minderheiten«.
Das ist das richtige Signal. Um das andere Polen, das liberale, weltoffene Polen zu stärken, müssen neue Allianzen eingegangen werden.
Der Autor ist Historiker und arbeitet bei ELES in Berlin.