Universitäten

Jüdisch auf dem Campus

Nicht jeder will erkannt werden: »Ich verspüre oft, dass sich jüdische Studierende unsichtbar machen wollen«, sagt Anastassia Pletoukhina. Foto: dpa

Es nervt ihn einfach. Er hat keine Lust, alleine das Judentum zu repräsentieren. Ziemlich häufig werde er um Statements zu jüdischen und religiösen Themen gebeten, sagt André Ufferfilge, der an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf studiert. Dabei ist er überhaupt kein Sprecher einer jüdischen Hochschulgruppe oder dergleichen. So etwas gibt es an seiner Uni nicht.

Was den 26-jährigen Ufferfilge aber besonders macht, ist vor allem die gehäkelte schwarze Kippa auf seinem Kopf. Der junge Mann mit der Akademikerbrille ist von den 25.000 Studenten an der Heinrich-Heine-Universität der einzige, dem man seinen jüdischen Glauben auf dem Campus schon von Weitem ansieht.

»Man ist immer der Exot, der Stellung beziehen soll«, sagt Ufferfilge, der Jüdische Studien und Jiddistik studiert. Wann immer an seiner Universität ein jüdisches Gesicht gebraucht werde, wende man sich an ihn. Er solle der Jude sein, der einen gemeinsamen Meditationsraum für verschiedene Religionen unterstützt, ein jüdisches Statement für die Campuszeitung abgibt oder bei einem Politikerbesuch auf dem Campus jüdisches Leben repräsentiert.

An anderen Universitäten mag man mit Kippa oder Davidstern ebenso auffallen wie Ufferfilge in Düsseldorf. Möglicherweise wird man aber weniger gedrängt, die Rolle eines Repräsentanten des Judentums einzunehmen. Denn was jüdische Organisationen an den Universitäten angeht, ist in den vergangenen Monaten und Jahren einiges in Bewegung geraten.

plattform Mit dem Ernst-Ludwig-Ehrlich-Studienwerk (ELES), der Netzwerk-Initative Hillel Germany oder auch studentischen Vereinen wie Studentim gibt es inzwischen eine Reihe von Organisationen in Deutschland, die sich explizit an jüdische Studenten wenden und gleichzeitig als Ansprechpartner für die interessierte Öffentlichkeit dienen können. Jonas Fegert, 24, ist Referent für Studierendenförderung bei ELES, dem 2008 gegründeten jüdischen Studienwerk. Derzeit befinden sich rund 300 Stipendiaten in dem finanziellen und akademischen Förderungsprogramm.

»Vor ELES gab es keine universitäre Austauschplattform für jüdisches Leben«, sagt Fegert. Es gibt zwar Initiativen wie den Bundesverband jüdischer Studierender in Deutschland (BJSD), aber der ist vielen Studenen nicht präsent genug. Mit den Vernetzungstreffen des Studienwerks, durch Seminare und Studienreisen in die USA oder Israel ist es aber inzwischen gelungen, ein Netzwerk unter jüdischen Studierenden in Deutschland zu schaffen.

ELES engagiert sich aber nicht nur in der Förderung der eigenen Stipendiaten. In Kooperation mit der Ende 2014 gegründeten Sektion von Hillel, einer internationalen jüdischen Campusorganisation, versucht man, auch andere jüdische Studierende in Deutschland anzusprechen. Dabei sei das Angebot der insgesamt zehn Ortsgruppen in verschiedenen deutschen Städten sehr niedrigschwellig, sagt Fegert. Um an den Treffen und Veranstaltungen teilzunehmen, müsse man kein Vereinsmitglied werden und sich auch nicht vorab registrieren. Man kann einfach vorbeikommen.

hillel »Erst seit es Hillel gibt, ist ein jüdisches studentisches Leben in Bamberg entstanden«, sagt Rebecca Mitzner. Die 24-jährige Philosophiestudentin engagiert sich in der dortigen Hillel-Gruppe. Davor habe man einfach kaum mitbekommen, wer die anderen jüdischen Studenten an der Universität seien, sagt sie. Inzwischen habe sich aber abseits der traditionellen Gemeindestrukturen eine »junge jüdische Identität« herausgebildet. Sie schätzt die Zahl der jüdischen Studenten an der Otto-Friedrich-Universität auf etwa 30. Davon kämen zwölf regelmäßig zu den Treffen von Hillel, etwa zum gemeinsamen Begehen der Feiertage, um den Schabbat zu beginnen oder auch, um einfach nur gemeinsam Filme zu schauen.

Dass sie in der Universität mitunter auf ihr Judentum angesprochen wird, nervt Mitzner nicht. Im Gegenteil. »Ich finde es schön, jüdisches Leben in Deutschland repräsentieren zu dürfen«, sagt sie. Natürlich sei man als Jüdin eine Exotin in einer kleinen Stadt wie Bamberg, allein schon, weil die jüdische Gemeinde hier so klein sei. Aber Mitzner findet, dass Interesse prinzipiell etwas Positives ist, und fordert dazu auf, häufiger den Dialog zu suchen. So stört sie sich auch nicht daran, als Jüdin explizit auf israelische Politik angesprochen zu werden. Anders als viele ihrer jüdischen Bekannten blocke sie bei einer Gleichsetzungen von Judentum und Israel nicht sofort ab. Denn für viele Menschen sei dieses Thema in all seinen Facetten nicht so leicht verständlich, da helfe nur das Gespräch.

Identität »Ich verspüre oft, dass sich jüdische Studierende unsichtbar machen wollen«, sagt Anastassia Pletoukhina. Die 29-Jährige ist im Vorstand von Studentim, einem Berliner Verein mit derzeit 45 Mitgliedern. So ließen Studenten häufig ihre jüdische Identität unerwähnt, ganz einfach deshalb, weil sie nicht als Repräsentanten des Judentums, Israels oder allgemein des jüdischen Lebens fungieren wollten, sagt Pletoukhina. Natürlich ist es sehr schwierig, all die unterschiedlichen Erfahrungen von Juden an den Universitäten zu pauschalisieren, gibt die Doktorandin der Soziologie zu bedenken. Dennoch lasse sich verallgemeinern, dass man auf das Zeigen einer jüdischen Identität mit Reaktionen rechnen müsse. Umso wichtiger findet Plethoukhina deswegen Initiativen wie Studentim, die den Medien und der allgemeinen Öffentlichkeit als Ansprechpartner dienen.

So gehört es zu den Aktivitäten von Studentim, in der Öffentlichkeit zu verschiedenen Themen Position zu beziehen. Ziel der Initiative ist es aber auch, jüdische Studenten zusammenzubringen, denn häufig fühlten sich Juden an der Universität sehr einsam, sagt Pletoukhina. So kommt man selbstverständlich auch bei Studentim zu Schabbat oder den Feiertagen zusammen, engagiert sich aber darüber hinaus auch gemeinsam gegen Diskriminierung in der Gesellschaft. So trafen sich einige Vereinsmitglieder kürzlich zum Gedankenaustausch mit der Roma-Organisation Amoroforo oder untersuchten zu den zurückliegenden Europawahlen Programme rechter Parteien auf antisemitische Inhalte.

Eine weitere Initiative, die junge Menschen zusammenbringt, ist das Jüdische Studentenzentrum Berlin. Mitbegründer Mike Delberg, 25, sieht es als Kernaufgabe der Organisation, junge Menschen zusammenzubringen, für die es von der Gemeinde zu wenige Angebote gäbe. Unterstützung erhält Delberg dabei von Chabad Lubawitsch, die dem Studentenzentrum für dessen Schabbatons und Treffen eine Wohnung am Adenauerplatz finanzierten. Dabei könne es schon einmal voll werden, erzählt Delberg. Bis zu 100 Gäste kämen zu den Veranstaltungen.

Delberg arbeitet derzeit auch daran, einen funktionierenden jüdischen Studierendenverband für ganz Deutschland aufzubauen. Ziel sei es, sowohl kulturelle Veranstaltungen zu organisieren, als auch den jüdischen Studenten in der Öffentlichkeit eine politische Stimme zu geben, sagt Delberg, fügt aber hinzu, dass sein Projekt noch in den Kinderschuhen steckt.

hass Antisemitismus gibt es natürlich nicht nur außerhalb des Campus’, sondern auch an den Universitäten selbst. André Ufferfilge aus Düsseldorf kann mehr als ein Lied davon singen. Er unterrichtet als Nebenjob an seiner Universität Hebräisch. Kurz nach den Pariser Anschlägen im Januar, erzählt Ufferfilge, kam es zu einem besonders unangenehmen Vorfall. Als er den Raum für sein Hebräischseminar betrat, stand in hebräischen Buchstaben an die weiße Wand mit Filzstift geschrieben »Du bist das böse Israel«. Darüber eine französische Flagge, auf die jemand »Erbfeinde« gekrakelt hatte. »Solche Sachen passieren immer mal wieder«, sagt Ufferfilge.

Wegen solcher Ereignisse seine Kippa nicht mehr öffentlich zu tragen, sieht Ufferfilge allerdings nicht ein. Im Gegenteil, gehe es gerade, wenn es schwierig werde, darum, die eigenen Bürgerrechte zu verteidigen, sagt der Student. Zumal sich die Situation an den deutschen Universitäten im internationalen Vergleich relativ harmlos ausnehme. Die jüngsten Ereignisse an den Hochschulen anderer Länder legten nahe, dass man dort weniger Hemmungen hat, sich öffentlich zu seinem Antisemitismus zu bekennen.

Im südafrikanischen Durban etwa forderte zuletzt die gewählte Studentenschaft den Ausschluss all jener jüdischen Studenten, die Israel unterstützen. Auch für Aufsehen sorgte im amerikanischen Los Angeles, dass einer Studentin die Mitgliedschaft in einem universitären Schiedsgericht aufgrund ihres Judentums zunächst verwehrt wurde. Ein Teil der Studentenschaft argumentierte, dass sie in richtender Funktion andere Juden bevorzugen könnte.

prüfungen Nachholbedarf besteht in Deutschland aber in einem anderen Punkt. Der betrifft die Möglichkeit, jüdische Religiosität im universitären Alltag auszuleben. So sieht es zumindest Anastassia Pletoukhina. Häufig komme es vor, dass Prüfungen auf einen Freitag oder Samstag gelegt werden. Nicht nur jüdische, auch muslimische Feiertage würden im Universitätsalltag oft ignoriert. »Die Bereitschaft der Hochschulen, sich auf religiöse Minderheiten einzulassen, steigt«, sagt hingegen Jonas Fegert von ELES.

Er erlebe oft, dass Professoren sich Mühe gäben, mit ihren religiösen Studenten – etwa bei Terminen für Prüfungen komme man oft zu einer gemeinsamen Lösung.

Fegert will deshalb nicht von einer mangelnden Rücksichtnahme der Universitäten sprechen. Außerdem gibt er zu bedenken, dass die jüdische Studentenschaft in Deutschland sehr klein ist.

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