Auf ihrem Instagram-Kanal trifft Katarina Barley, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, regelmäßig Politiker, Experten und Bürger zum Gespräch. Am Dienstagabend schaltete sich nun Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, zu einem »Insta-Live« mit Katarina Barley zusammen.
Die SPD-Politikerin überbrachte dem Zentralratspräsidenten Pessach-Grüße. Es folgte ein konzentriertes einstündiges Gespräch. Barley fragte Schuster zunächst, was sich in den über 20 Jahren, in denen er dem Präsidium des Zentralrats angehört, für die jüdische Gemeinschaft verändert hat.
WACHSTUM Vor 20 Jahren seien die Grenzen für Juden aus der ehemaligen Sowjetunion weit offen gewesen, sagte Schuster. »Die Gemeinden waren im massiven Wachstum«, erinnerte er sich. Diese Entwicklung sei heute beendet.
Diejenigen, so Schuster, die als Kinder und Jugendliche nach Deutschland gekommen sind oder in Deutschland geboren wurden, haben sich voll integriert – und zwar sprachlich und gesellschaftlich, aber auch in den Jüdischen Gemeinden. Es bestätige sich wieder der Satz, dass die Integration in ein anderes Land eine Generation brauche.
Schuster wies aber auch auf politische Schwierigkeiten bei der Alterssicherung der älteren jüdischen Einwanderergeneration hin. Viele sogenannte Kontingentflüchtlinge, die im Alter von über 40 Jahren nach Deutschland kamen, hätten keine Rentenberechtigung erreicht und seien heute »Aufstocker«.
Im Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung gebe es, so Schuster, einen Passus, dass mit einem Fondsbetrag die Alterssicherung für diese Menschen verbessert werden soll. »Darüber gibt es derzeit Verhandlungen mit dem Arbeits- und Sozialministerium«, berichtete Schuster. Er äußerte die Hoffnung, dass es gelingt, zumindest eine teilweise Lösung noch in der aktuellen Legislaturperiode zu erzielen.
KONTAKTE Katarina Barleys Frage nach der Zusammenarbeit mit anderen großen Religionsgemeinschaften beantwortete Josef Schuster differenziert. Die Katholische Kirche sei mit der Bischofskonferenz organisiert, die Evangelische Kirche mit der EKD. »Da gibt es sehr gute Kontakte«, betonte Schuster. Auch zu muslimischen Organisationen gebe es Kontakte.
Josef Schuster wies auf das vom Zentralrat organisierte jüdisch-muslimische Begegnungsprojekt »Schalom Aleikum« hin.
Das Verhältnis sei aber schwieriger, da es keine bundesweit zentrale muslimische Organisation gebe. Zudem gebe es auch muslimische Organisationen, bei denen er es für problematisch halte, in Kontakt zu treten. Schuster meinte damit Organisationen, bei denen laut Verfassungschutz der Einfluss ausländischer Staaten groß ist.
Josef Schuster wies außerdem auf das vom Zentralrat organisierte jüdisch-muslimische Begegnungsprojekt »Schalom Aleikum« hin. Der Austausch finde dort nicht auf der Funktionärsebene, sondern unter ganz normalen jüdischen und muslimischen Bürgern statt.
LEBENSVERSICHERUNG Barley fragte den Zentralratspräsidenten auch nach dem Verhältnis zum Staat Israel. »Es ist klar, dass Juden einen anderen Blick auf Israel haben, als in dem Konflikt völlig unbeteiligte deutsche Staatsbürger«, sagte Schuster.
Israel sei eine Lebensversicherung für jüdische Menschen in Deutschland und auf der ganzen Welt. Es sei völlig legitim, die Politik der israelischen Regierung zu kritisieren, betonte Schuster. Die Grenze sei dann überschritten, wenn man das Existenzrecht Israels infrage stellt.
Mit dem Festjahr geht es laut Schuster darum, klarzumachen, dass Judentum und jüdisches Leben nicht auf 1933-1945 zu beschränken ist.
Immer wieder brachte Katarina Barley auch Fragen und Kommentare der Zuschauer ein. Ein Nutzer berichtete etwa, er habe in der Schule nur wenig über jüdisches Leben erfahren, die Schoa habe im Vordergrund gestanden.
FESTJAHR Daraus leitete er die Frage ab: »Wie kann man sich mehr über jüdisches Leben informieren?« Josef Schuster machte in diesem Zusammenhang auf das Festjahr »1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland« aufmerksam.
Mit diesem Jahr geht es laut Schuster darum klarzumachen, dass Judentum und jüdisches Leben nicht auf die Jahre 1933 bis 1945 zu beschränken ist. Es gelte, ins Bewusstsein zu rufen, dass es Juden schon Jahrhunderte davor schon gab und dass auch nach 1945 sich wieder jüdische Gemeinden in Deutschland gegründet haben.
Josef Schuster sprach auch die Notwendigkeit einer besseren Vermittlung von Judentum und jüdischem Leben an Schulen an. Es gehe nicht darum, die Schoa auszublenden. Man wolle vielmehr zeigen: »Judentum ist nicht nur Schoa.«
Der Zentralrat der Juden in Deutschland sei derzeit in Gesprächen mit der Kultusministerkonferenz, berichtete Schuster und kündigte an: »Wir hoffen und planen, im Laufe des Jahres mit gemeinsamen Konzepten der Kultusministerkonferenz und des Zentralrats aufwarten zu können.«