Fachtagung

Judenhass ins Abseits

Dass Antisemitismus beim Fußball weiterhin ein sehr aktuelles Problem ist, zeigen Vorfälle rund um das Länderspiel zwischen Deutschland und Israel am 26. März. Darauf wies Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, in seinem Grußwort zum Auftakt der Fachtagung »Antisemitismus und Profifußball: Herausforderungen, Chancen, Netzwerk« am Mittwoch vergangener Woche im Dortmunder Signal Iduna Park hin.

»Ein Zuschauer ›meinte‹, den Hitlergruß zeigen zu müssen«, berichtete Schuster. »Ein anderer Zuschauer hat sich dann an den Ordnungsdienst gewandt – und das ist das, was ich mir an Mindestmaß an Zivilcourage erwarte.« Der Täter habe dadurch ermittelt werden können. »Einige der Posts, die sich nach dem Spiel in den sozialen Medien fanden, kann ich nur mit dem Begriff widerlich bezeichnen«, verwies Schuster auf eine weitere Dimension des Problems.

»Viele Menschen tun sich schwer, Antisemitismus richtig einzuordnen.«

Zentralratspräsident Josef Schuster

Viele Menschen täten sich jedoch schwer damit, das Phänomen Antisemitismus richtig einzuordnen. Die Vereine der Bundesliga hätten das erkannt und seien aktiv geworden. Als Beispiel nannte der Zentralratspräsident die »vielen Initiativen zur Erinnerung an die in der Nazizeit ausgeschlossenen oder in der Schoa ermordeten jüdischen Spieler«. Mit dem Fachtag habe man nun eine Brücke zur Gegenwart geschlagen, so Schuster.

Gemeinden Es diskutierten neben Repräsentanten des Zentralrats der Juden in Deutschland auch Vertreter des World Jewish Congress (WJC), der Deutschen Fußball Liga (DFL) sowie Wissenschaftler darüber, was die großen Klubs mit ihren Millionen Fans zur Bekämpfung von Antisemitismus beitragen können. Auch Vertreter zahlreicher jüdischer Gemeinden und weiterer Profivereine nahmen teil.

Carsten Cramer, der als Mitglied der Geschäftsführung von Borussia Dortmund (BVB) den verhinderten Vorsitzenden der Borussen, Hans-Joachim Watzke, vertrat, sagte, mit dem Wissen um die Bedeutung, Strahlkraft und Wirkung seines Klubs sei der Kampf gegen Antisemitismus beim BVB gelebte Überzeugung. »Wir sind mehr als ein Fußballverein. Antisemitismus ist mehr denn je eine Gefahr im Hier und Heute.« Der Verein engagiere sich seit Jahren bei diesem Thema und habe als erster Klub in Deutschland auch die Arbeitsdefinition Antisemitismus der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) übernommen.

»Das enge Verhältnis der Fans zu den Vereinen ist eine Riesenchance.«

WJC-Vizepräsident Maram Stern

Für Ansgar Schwenken, Mitglied der DFL-Geschäftsleitung, war der Fachtag ein wichtiger Schritt für die DFL und den Fußball in Deutschland, denn es gelte: »Antisemitismus ist und bleibt eine wachsende Bedrohung – für die Jüdinnen und Juden in Deutschland und unser demokratisches Gemeinwesen.«

Auch aus Sicht von Maram Stern, dem geschäftsführenden Vizepräsidenten des Jüdischen Weltkongresses, war die Konferenz ein wichtiges Signal. Der Kampf gegen Antisemitismus werde nicht nur durch Worte entschieden. Es brauche mehr Taten – auch rund um den Fußball: »Das enge Verhältnis der Fans zu den Vereinen ist eine Riesenchance im Kampf gegen den Antisemitismus.«

verbündete Felix Klein, Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus, sagte zu Beginn der Tagung, man könne sich im Kampf gegen den Judenhass keine besseren Verbündeten als Borussia Dortmund, den Zentralrat, den WJC und die DFL wünschen.

Sichtlich bewegt erinnerte Klein an Boris Romantschenko, der am 18. März in Charkiw getötet wurde. Der 96-Jährige war zwar kein Jude, doch war er als Zwangsarbeiter von den Nazis verschleppt worden. »Er hatte die Konzentrationslager Buchenwald, Peenemünde, Dora und Bergen-Belsen überlebt und war Vizepräsident des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora. Dass er jetzt den Raketen eines neuen Angriffskrieges zum Opfer gefallen ist, macht mich sprachlos.«

Mahmut Özdemir (SPD), aus Duisburg stammender Staatssekretär im Bundesinnenministerium, hieß die Teilnehmer der Fachtagung im Ruhrgebiet willkommen: »Für uns als ›Ruhris‹ ist es ein Privileg, eine Veranstaltung des WJC empfangen zu dürfen.« Der Judenhass sei leider auch im Sport ein allgegenwärtiges Problem. Nur mit gemeinsamen Kräften werde es gelingen, dagegen vorzugehen. Özdemir versicherte, dass der Kampf gegen Rechtsradikalismus und Antisemitismus im Zentrum der Arbeit des Innenministeriums stehe. Man setze dabei auf eine Mischung aus Repression und Prävention.

keynotes Den Grußworten schlossen sich drei Keynotes an. Die Literaturwissenschaftlerin Yael Kupferberg, der Geschäftsführer des Zentralrats der Juden in Deutschland, Daniel Botmann, und der Antisemitismusforscher Pavel Brunssen thematisierten in ihren Vorträgen wichtige Aspekte.

»Fußball war uns suspekt. Wir hatten Sorge vor der Gruppendynamik.«

Yael Kupferberg, TU Berlin

Yael Kupferberg vom Zentrum für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin erzählte von den Schwierigkeiten, die sie und ihre jüdischen Freunde früher mit dem deutschen Fußball gehabt hätten: »Fußball war uns suspekt. Es ist ein inszenierter Kampf zwischen zwei Gruppen. Wir hatten Sorge vor der leidenschaftlichen Gruppendynamik, die das Spiel entfachen konnte.«

Fußball sei die sportliche Einübung des Kampfes, und aufgrund der biografischen und historischen Geschehnisse hätten sie sich nicht an diesem Spiel begeistern können. Später habe sich dann das Verhältnis zum Fußball verändert, weil sich das Bewusstsein der bundesrepublikanischen Gesellschaft gewandelt habe. »Meine Töchter haben ein positives Deutschlandbild, und sie empfinden es als ein tolerantes und liberales Land.«

gedächtniskultur Durch die Erfahrung des Nationalsozia­lismus, sagte Kupferberg, habe Deutschland vor allem in den 60er-Jahren eine Gedächtniskultur entwickelt, die die problematische und katastrophale Geschichte in das gesellschaftliche Bewusstsein aufnahm. Aber in den durch die Pandemie geprägten vergangenen zwei Jahren sei ein Anstieg von Antisemitismus, Rassismus, Frauenfeindlichkeit, Homophobie und Hass in der Alltagskultur zu bemerken.

Die »Querdenker«-Bewegung sei eine autoritäre Rebellion, in der Szene sammelten sich neben Rechtsextremisten auch aufgebrachte Bürgerinnen und Bürger, die sich als Freiheitskämpfer wähnten und glaubten, dass ihnen die bürgerlichen Grundrechte entzogen würden: »Dies ist ein politisches Scheinargument, denn die psychologische Dynamik des Antisemitismus ist darin problematisch enthalten. Antisemitismus lebt vom Lustgewinn.

Antisemiten möchten die gesellschaftlichen Regeln und Auflagen aufheben, um sich mächtig und um sich frei zu fühlen.« Die Aufgabe bestehe darin, Antisemitismus in seinen sozialen und individuellen Funktionen zu erkennen. Er dürfe keine gesellschaftliche Funktion mehr haben und keinen Gewinn darstellen. Weder der Einzelne noch eine Gruppe dürften in ihrem Hass die Befriedigung finden, die sie suchten, so Kupferberg in ihrer Keynote mit dem Titel »Antisemitismus – Kontinuitäten und Zeitenwende?«.

Arbeitsdefinition »Fünfmal pro Tag wurde 2020 irgendwo in der Republik entweder ein Jude beleidigt, angegriffen oder die Schoa geleugnet«, sagte Daniel Botmann in seinem Vortrag mit dem Titel »Gesellschaftliche und politische Dimensionen der Antisemitismuserfahrung und -bekämpfung«. Der Geschäftsführer des Zentralrats der Juden in Deutschland erklärte: »2021 wird die Zahl nicht niedriger sein, nur, weil niemand mehr Antisemit sein will.«

»Ich hörte Fans Parolen rufen wie ›Schwarz-Weiß-Blau Juden HSV‹.«

Pavel Brunssen, Wissenschaftler

Botmann betonte die Bedeutung der IHRA-Arbeitsdefinition Antisemitismus und erklärte, warum es wichtig sei, zwischen Antisemitismus und Rassismus zu unterscheiden: »Antisemitismus und Rassismus sind zwei unterschiedliche Phänomene, und man tut niemandem einen Gefallen, am wenigsten den Betroffenen, wenn man beides in einen Topf wirft.« Im Rassismus würden die von ihm Betroffenen zumeist abgewertet und als primitiv, triebgesteuert und gewaltsam dargestellt, während die eigene Gruppe als überlegen angesehen wird.

»Auch im Antisemitismus erfahren Juden auf der einen Seite eine Politik der Abwertung, aber Juden wurden nie nur als minderwertig gesehen. Der Hass auf Juden resultiert in vielen Fällen aus einer Angst vor deren angeblicher Überlegenheit.« Der Hass auf Juden bilde ein ideelles Korsett, das die Köpfe der Menschen fest umschließe, so Botmann. Man sehe das bei den »Corona-Demonstrationen« und den sogenannten Spaziergängen, die kaum ohne Verschwörungstheorien und antisemitische Narrative auskämen.

hitlergruss Pavel Brunssen, Antisemitismusforscher und seit Kindertagen Fan von Werder Bremen, begann seine Keynote mit dem Titel »Antisemitismus in Fußball und Fankulturen: Alte Stereotype und neue Bilder« mit Beobachtungen, die er schon als junger Besucher des Weserstadions machte: »Ich hörte Fans teilweise direkt neben mir stehend Parolen rufen wie ›Schwarz-Weiß-Blau Juden HSV‹.« Auf seiner allerersten Auswärtsfahrt zu einem Fußballspiel erlebte er, wie Werder-Fans an einer Autobahnbaustelle ein polnisches Auto demolierten, dabei den Hitlergruß zeigten und riefen: »Über Polen erobern wir die Welt!«

Seitdem sei viel passiert, berichtete der Wissenschaftler vom Frankel Center for Judaic Studies an der University of Michigan in Ann Arbor: »Vor allem die Hardcore-Fans der Ultras und die aktive Fan-Szene bei Werder Bremen hat sich gegen rechte Hooligans und antisemitische Parolen immer mehr durchgesetzt.«

Brunssen ergänzte: »Wir haben viel über Zivilcourage gehört. Borussia Dortmund ist da ein Beispiel.« Auch heute gebe es noch antisemitische Parolen in den Stadien, aber sie seien seltener geworden, als dies noch in den 80er- und 90er-Jahren der Fall war. Es gebe viel Engagement gegen Antisemitismus: »In zahlreichen Städten setzen sich Fans und Fanprojekte sehr aktiv mit dem Thema Antisemitismus auseinander.«

Diese Initiativen seien zu begrüßen, so ein Fazit der Fachtagung, zugleich könne im Kampf gegen den Judenhass noch sehr viel mehr unternommen werden.

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