Die Frage, was die Gesellschaft gegen Antisemitismus tun kann, stellt sich in diesen Tagen immer häufiger und drängender. Eine Antwort lautet: Begegnungen und Dialog verstärken, jüdisches Leben und jüdische Kultur in die Öffentlichkeit tragen, den kulturellen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Beitrag der Juden in ihrer deutschen Heimat verdeutlichen.
In Thüringen spüren wir, dass sich Staat und Gesellschaft um das jüdische Erbe sorgen und die Landesgemeinde unterstützen. Es gibt etwa die Jüdisch-Israelischen Kulturtage, die Achava-Festspiele und den Yiddish Summer. Zugleich aber ringen wir mit Rechtsrock-Konzerten in Themar und mit der Thüringer AfD und ihrem hessischen Vorsitzenden Björn Höcke. Und wir müssen erleben, dass Antisemitismus auch da auftaucht, wo viele ihn nicht vermutet hätten – in der Hochkultur.
mantra In der »Thüringer Allgemeinen« und der »Thüringer Landeszeitung« hat die Musikkritikerin Ursula Mielke am 23. Juli unter dem Titel »Mantra für den Frieden« den Leiter des Yiddish Summer, Alan Bern, und das Wesen des Kadya-Jugendchorprojekts unter Leitung von Yair Dalal angegriffen. Zur Kultur des Yiddish Summer gab sie zu verstehen: »Künstlich muss man nichts, aber auch gar nichts am Leben erhalten.«
Mielke begreift in ihrer geschmacklosen Philippika die Ursache für die Thüringer Festivals zu jüdischer Kultur nicht als Wesenszug unserer Demokratie, sondern sie sieht sie im Fehlen eines Schlussstrichs unter die Gräuel des Holocaust – »weil alle Welt glaubt, dass wir Deutschen immer noch humanitäre Schulden aus dem Zweiten Weltkrieg zu begleichen hätten«.
erinnerungskultur Ausgerechnet in die feuilletonistische Betrachtung eines jüdischen Musikfestivals werden AfD-Thesen zur 180-Grad-Wende in der Erinnerungskultur platziert.
Beide Zeitungen haben sich mittlerweile entschuldigt, sie hätten die Äußerungen übersehen, weil sie sie nicht in einer Konzertkritik vermutet hatten. Zudem wird Frau Mielke künftig für die Blätter des Verlags nicht mehr schreiben. Dass die Entschuldigungen der Chefredaktionen ehrlich sind, glaube ich.
Doch ist Kritik berechtigt und hilfreich. Denn der Fall zeigt: Antisemitismus taucht überall auf.
Der Autor ist Vorsitzender der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen in Erfurt.