Interview

»Judenhass früher erfassen«

Felix Klein Foto: imago

Mit einer niedrigeren Anzeigeschwelle will der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, den Hass gegen Juden auch unterhalb der Strafbarkeitsgrenze sichtbarer machen. »Wir erhalten ein sehr gutes Bild darüber, wie und in welchen Formen sich Antisemitismus in Deutschland äußert und können entsprechend darauf reagieren«, sagt er im Interview mit dieser Zeitung am Rande einer Antisemitismuskonferenz unter Schirmherrschaft des israelischen Präsidenten Reuven Rivlin in Jerusalem. Der von ihm auf den Weg gebrachte Bundesverband RIAS (Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus) werde so zu einem wichtigen Element im Kampf gegen Antisemitismus.

Herr Klein, welche Bedeutung hat dieses Treffen auf Einladung des israelischen Präsidenten?

Ich werte es einerseits als ein Zeichen der Anerkennung und Wertschätzung der israelischen Regierung dafür, dass in einigen europäischen Staaten und in den USA Strukturen geschaffen wurden, um den Kampf gegen den Antisemitismus aufzunehmen. Die große Botschaft, die von hier ausgeht ist, dass es zwar zunächst ein Kampf ist, mit dem die jüdischen Gemeinschaften in den Ländern konfrontiert sind, dass es aber ein Kampf ist, der die gesamten Gesellschaften angeht. Wir versuchen in unseren Ländern klarzumachen, dass Antisemitismus die gesamten Gesellschaften und die Demokratien bedroht. Hier haben wir viel Unterstützung erfahren sowie eine gute Gelegenheit gehabt, uns untereinander zu vernetzen.

Welche Rolle nimmt Deutschland ein im Vergleich zu den anderen Ländern Europas?

Wir sind das einzige Land, das einen Bundesbeauftragten hat, der sich ausschließlich dem Kampf gegen Antisemitismus widmet. Auch Frankreich hat einen solchen Beauftragten, der aber neben der Bekämpfung von Antisemitismus zugleich zuständig ist für weitere Formen der Diskriminierung. Ich bin beeindruckt, wie sehr beachtet wird, was wir in Deutschland machen. Natürlich haben wir im Kampf gegen Antisemitismus aufgrund unserer Geschichte eine besondere Rolle. Als Signal würde ich mich sehr freuen, wenn andere Länder unserem Beispiel folgen und ebenfalls Koordinatoren ernennen. Antisemitismus ist ein Querschnittsthema, das viele Aspekte betrifft, wie etwa innere Sicherheit, Bildung, Erziehungsfragen, Erinnerungskultur. Und wenn man jeweils international mit derselben Person Maßnahmen überlegen kann, ist es einfach schneller und effizienter. Dass Großbritannien einen Koordinator ernannt hat, ist ein sehr gutes Zeichen.

Als Modell für den Schutz jüdischer Gemeinschaften wird oft der britische »Community Safety Trust« (CST) genannt, der seit 1984 antisemitische Vorfälle im Auftrag der jüdischen Gemeinde aufzeichnet. Gibt es dazu ein deutsches Pendant?

Ja, das ist der Bundesverband RIAS (Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus), den ich auf den Weg gebracht habe. Die Arbeit des Bundesverbandes RIAS orientiert sich maßgeblich an der Arbeit des CST in Großbritannien, ein genaues Pendant ist es aber nicht. Die Idee ist, dass wir Antisemitismus sichtbarer machen, auch wenn er unterhalb der Strafbarkeitsgrenze liegt. Betroffene und Zeugen können so überall in Deutschland niedrigschwellig antisemitische Vorfälle online melden. Ihnen wird psychologische und juristische Hilfe angeboten und vermittelt.

Wie sieht das konkret aus?

Bei der Erfassung wird eingeordnet, von welcher Seite die Vorfälle kommen, ob von Rechtsextremen, Linksextremen oder von islamistischer Seite. Im Sinne der Auswertung ist das für unsere Präventionsarbeit ein wichtiges Element im Kampf gegen Antisemitismus. Bei Angriffen von rechts brauchen wir ein anderes Instrumentarium als wenn sie von einem Islamisten kommen. Wir erhalten ein sehr gutes Bild darüber, wie und in welchen Formen sich Antisemitismus in Deutschland äußert, und können entsprechend darauf reagieren. Der CST ist das Modell dafür, allerdings nur was das Monitoring angeht. Anders, als der CST wollen wir nicht nur Fälle erfassen, sondern einen Schritt weiter gehen, indem wir mit diesem Datenmaterial sofort präventiv pädagogische Ansätze verbinden.

Das Gespräch mit dem Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung führte Andrea Krogmann.

Kriminalität

»Schwachkopf«-Post zu Habeck: Jetzt melden sich die Ermittler zu Wort

Ein Mann soll Wirtschaftsminister Habeck im Netz beleidigt haben. Dass dann die Polizei zu Besuch kam, sorgte nicht nur im Umfeld des Vizekanzlers für Verwunderung. Die Ermittler liefern Erklärungen

von Frederick Mersi  22.11.2024

Antisemitismus

Polizei sucht nach Tatverdächtigem vom Holocaust-Mahnmal

Der Mann soll einen volksverhetzenden Text in das dortige Gästebuch geschrieben haben

 22.11.2024

Debatte

Theologen werfen Papst einseitige Sicht auf Nahost-Konflikt vor

Ein Schreiben von Papst Franziskus zum Nahost-Krieg enthalte einen »blinden Fleck im Denken«

 22.11.2024

Debatte

CDU-Ministerpräsident verurteilt Haftbefehl gegen Netanjahu

»Völlig ausgeschlossen, dass ein demokratisch gewählter Ministerpräsident aus Israel auf deutschem Boden verhaftet wird, weil er sein Land gegen Terroristen verteidigt«

 22.11.2024

CDU/CSU

Unionspolitiker: Verhaftung von Netanjahu auf deutschem Boden »unvorstellbar«

Die größte Oppositionsfraktion kritisiert die fehlende Haltung der Bundesregierung

 22.11.2024

Den Haag

Der Bankrott des Internationalen Strafgerichtshofs

Dem ICC und Chefankläger Karim Khan sind im politischen und juristischen Kampf gegen Israel jedes Mittel recht - selbst wenn es unrecht ist. Ein Kommentar

von Daniel Neumann  22.11.2024

Internationaler Strafgerichtshof

»Halten uns an Recht und Gesetz«: Jetzt äußert sich die Bundesregierung

Außenministerin Annalena Baerbock will aber noch genauer prüfen, was der Entscheid des IStGH bedeutet

 22.11.2024

Budapest

Orbán: »Werde Netanjahu nach Ungarn einladen«

Regierungschef Viktor Orbán will seinen israelischen Amtskollegen trotz des Haftbefehls des Internationalen Strafgerichtshofes weiter empfangen

 22.11.2024

Atomprogramm

Iran kündigt Ausbau der Urananreicherung an

Der Atomstreit mit dem Iran geht in eine neue Runde

 22.11.2024