AfD

Juden als Feigenblatt

Der Jurist Hendrik Cremer hat die Alternative für Deutschland jahrelang beobachtet. Foto: picture alliance / AA

Die Radikalisierung der AfD geht Hand in Hand mit der wachsenden innerparteilichen Dominanz von Björn Höcke. Zu diesem Schluss kommt Hendrik Cremer, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Deutschen Instituts für Menschenrechte, in seiner Streitschrift Je länger wir schweigen, desto mehr Mut werden wir brauchen. Wie gefährlich die AfD wirklich ist.

Das Anfang Februar erschienene Buch warnt davor, die AfD als »rechtspopulistisch« zu verharmlosen, betont ihre Gewaltbereitschaft – und benennt auch sehr klar, wie verbreitet der Antisemitismus in der Partei ist.

Als »Musterbeispiel dafür, wie antisemitische Positionen in der Gegenwart verklausuliert werden«, nennt Cremer die Bewerbungsrede des bayerischen AfD-Bundestagsabgeordneten Petr Bystron auf der Europawahlversammlung im Sommer 2023 in Magdeburg – Bystron landete schließlich mit 82,4 Prozent auf Listenplatz zwei. Cremer schreibt, Bystron habe damals das »antisemitische Verschwörungsnarrativ finsterer ›Globalisten‹ bedient«.

Verschwörungsdenken und Proteste gegen die Regierung

Antisemitische Stereotype würden aufgegriffen, »die von Antisemiten verstanden werden wie Codes«. Cremer weiter: »Sie zeigen sich etwa im Rahmen von Verschwörungsdenken und Protesten gegen die Regierung, der unterstellt wird, dass sie als Teil einer Verschwörung einem geheimen Plan folge, der von Juden ausgehe. In Bystrons Rede ist der Ort einer solchen Verschwörung ›Brüssel‹.«

Cremer zitiert den AfD-Spitzenpolitiker: Von dort »kommt das Gift«. Gegenüber »Globalisten, die uns zwangsimpfen, uns enteignen, uns versklaven« wollten, seien AfD-Politiker die Einzigen, die den Mut hätten, gegen die »Gates und Soros dieser Welt« anzukämpfen. Cremer schreibt dazu, mit dem Code »George Soros« habe sich »mittlerweile ein Begriff etabliert, der in seiner antisemitischen Signalwirkung mit dem Code ›Familie Rothschild‹ verglichen werden kann«.

Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, der die AfD – völlig anders als sein Vorgänger Hans-Georg Maaßen – konsequent zur Gefahr für die Demokratie erklärt, hat ebenfalls darauf hingewiesen, dass in der AfD »rechtsextremistische Verschwörungstheorien« verbreitet werden.

Strategie der Selbstverharmlosung

Parallel beobachten Experten wie Cremer, dass in der AfD eine Strategie der Selbstverharmlosung um sich greift. Michael Nattke, Geschäftsführer des Kulturbüros Sachsen, sagte der Jüdischen Allgemeinen, dass dies zum Beispiel geschehe, indem Vertreter der rechtsextremen Partei bei Holocaust-Gedenkveranstaltungen Kränze ablegen.

Die AfD halte sich dabei an Empfehlungen des Rechtsextremisten Götz Kubitschek, der als Vordenker der Neuen Rechten gilt. Dieser habe angeraten, »nichts zu tun, was hinter die zivilgesellschaftlichen Standards zurückfalle«. Dass die AfD dies regelmäßig befolge, hat aus Sicht von Nattke die äußerst problematische Konsequenz, dass es »schwieriger wird, sie auszugrenzen und die Brandmauer aufrechtzuerhalten«.

Brüssel ist für die AfD der Sitz einer »globalistischen« Verschwörung.

2019 hatte Kubitschek in der verlagseigenen Publikation »Sezession« einen Aufsatz mit der Überschrift »Selbstverharmlosung« verfasst, in dem er diesen Begriff benennt als »eine Frage der Durchsetzungskraft, der Macht, eine Ausweitung der sprachlichen, finanziellen und strukturellen Kampfzone«.

Es gehe darum, »die feindliche Artillerie am Beschluss zu hindern«, um eine »Eroberung des vorpolitischen Raumes zum einen und der parlamentarischen Verfügungsräume zum andern«. Und weiter: »Es ist der Versuch, die Vorwürfe des Gegners durch die Zurschaustellung der eigenen Harmlosigkeit abzuwehren.«

»Juden in der AfD«

Eine Rolle bei dieser Strategie der Selbstverharmlosung spielen auch die 2018 gegründeten »Juden in der AfD«. Zwar handelt es sich nur um eine Splittergruppe mit sehr wenigen Mitgliedern. Für die AfD aber ist sie von Relevanz bei den Bemühungen, nicht als antisemitisch wahrgenommen zu werden.

Nach dem 7. Oktober 2023 haben die »Juden in der AfD« ihre Tonlage verschärft. Zugleich bagatellisieren sie alle rechtsextremen Umtriebe im Land. Eine »Masseneinwanderung von Antisemiten« werde von der Bundesregierung vertuscht, lautet einer der Vorwürfe. Ein Vertreter der Vereinigung sagte vor wenigen Tagen: »Wenn man den Antisemitismus wirklich bekämpfen will, dann muss zuerst die Vertuschung und Verharmlosung des Hauptgrunds dafür, dass er steigt, klar benannt werden.«

Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, hatte 2018 erklärt: »Ich kann keinen einzigen Juden verstehen, der Sympathien für die AfD hegt oder sich in dieser Partei engagiert.«

Hendrik Cremer zufolge wurde die Gründung der »Juden in der AfD« innerparteilich »weithin begrüßt«. Damit sei den gegnerischen Parteien das »Spielzeug der Nazikeule« aus der Hand genommen worden, sagte etwa der AfD-Europaabgeordnete Joachim Kuhs. Cremer entgegnet, es sei »hemmungslos und dreist«, wie die AfD auf ihr Ziel der gesellschaftlichen Spaltung hinarbeite: »Sie schreibt Muslimen pauschal Antisemitismus zu, um auf diese Weise vom eigenen Antisemitismus abzulenken.«

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