Das Wort »politics« ist in Amerika oft negativ behaftet. Es steht weniger für Politik im eigentlichen Sinne als vielmehr für Diskussionen in Washington D.C., die zwar zur Demokratie gehören, von vielen Amerikanerinnen und Amerikanern aber als »dirty« und daher problematisch empfunden werden. Dies war bereits der Fall, bevor Donald Trump das Klima in der Hauptstadt vergiftete und die Demokratie sprichwörtlich attackierte.
Nun gibt es die nächste Gelegenheit die »politics«, so »dirty« sie auch gesehen werden mögen, zu beeinflussen. Den jüdischen Wählern in Amerika wird viel Einfluss nachgesagt, obwohl sie nur etwa zwei Prozent der Bevölkerung ausmachen. In den Bundesstaaten, in denen sie am stärksten repräsentiert sind, darunter New York, Kalifornien und Florida, sind viele Wahlmänner und Wahlfrauen zu holen. Bei den anstehenden »Midterm Elections« geht es allerdings lediglich um die Wahl der Repräsentantenhausmitglieder und einem Drittel der 100 Senatoren in der anderen Kammer des Kongresses.
»Jewish votes«
Gäbe es in den Vereinigten Staaten nur Jüdinnen und Juden, so stünden die Chancen für die Republikaner überaus schlecht, auch nur einen Fuß in die Tür des Weißen Hauses zu bekommen. »On the hill«, im Kongress, sähe es für die Partei von Reagan, Bush I, Bush II und Trump ebenso schlecht aus. Die jüdische Minderheit wählt mit großer Mehrheit die Demokraten. Dennoch ließ sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten eine Veränderung beobachten, die möglicherweise für eine Polarisierung unter jüdischen Wählern spricht. Im Jahr 1996 entfielen 78 Prozent der »Jewish votes« auf den Demokraten William Jefferson »Bill« Clinton und nur 16 Prozent auf seinen republikanischen Widersacher Robert Joseph »Bob« Dole. Im Jahr 2020 erhielt Donald Trump 30 und Joe Biden nur 68 Prozent jüdische Wählerstimmen.
Natürlich könnten einzelne männliche Präsidentschaftskandidaten und Hillary Clinton mit für diese Veränderungen verantwortlich sein, beziehungsweise ihre Israel-Politik oder einzelne Aussagen, die aus jüdischer Sicht relevant waren oder sind. Trotz aller Probleme, die Trump mit seinen Verschwörungstheorien, seinem Narzissmus und antidemokratischen Handlungen verursachte, waren viele Juden dankbar dafür, dass seine Administration die U.S.-Botschaft in Israel in die Hauptstadt des Landes umsiedelte, dass er aus dem »Iran-Deal« ausstieg und die fähige Nikki Haley als Botschafterin zu den Vereinten Nationen schickte. Sie kämpfte dort gegen starke anti-israelische Tendenzen. Diese Aspekte könnten den Wandel verursacht haben. All dies geschah offensichtlich vor Trumps Coup-Versuch im Kongress vom 6. Januar 2021. Ob dieser das jüdische Wahlverhalten in den USA zugunsten der Demokraten beeinflusst hat, wird sich zeigen.
Großzügige Spende
Auch wenn sie eine Minderheit in der Minderheit darstellen, gibt es durchaus prominente Juden, die ein Leben lang Republikaner waren und es trotz Trump weiterhin sind. Dazu gehört Ronald Lauder, der auch mit seiner Stiftung viel Gutes tut, vor allem in Osteuropa, und als Präsident des Jüdischen Weltkongresses (WJC) nach Ansicht vieler Jüdinnen und Juden in der Welt eine gute Figur macht. Lauder wurde einst von dem Republikaner Ronald Reagan zum U.S.-Botschafter in Österreich ernannt und war in den späten 80er-Jahren Bürgermeisterkandidat in New York City. Dem 78-jährigen Multimilliardär wurde nun bei CNBC eine Schlagzeile gewidmet, die zumindest für Mitglieder der Demokraten nicht gut aussah. »Milliardär Ronald Lauder gibt republikanischer Gruppierung, die Kongresskandidaten unterstützt, die wiederum das Wahlergebnis von 2020 anzweifelten, 1 Million Dollar«. Auf Englisch klingt diese Schlagzeile weitaus griffiger.
Dem Artikel zufolge half Lauder mit einer großzügigen Spende für das »Republican State Leadership Committee« zwei republikanischen Kandidaten, die damals die Lügen Donald Trumps zu den Wahlergebnissen mit stützten. Dies ist allerdings kein Beleg dafür, dass er dies auch beabsichtigte. Der Demokrat (im Sinne der Überzeugung, aber nicht der Parteizugehörigkeit) und Republikaner Lauder wollte vermutlich lediglich Parteikollegen unterstützen, die dazu beitragen könnten, das Repräsentantenhaus oder den Senat – oder beide Kammern – von der Demokratischen Partei zurückzuerobern.
Thema Israel
Kurz vor den Wahlen wird auch die Reaktion von Bidens Regierung auf die jüngsten Wahlen in Israel genau beobachtet – von jüdischen Wählerinnen und Wählern. Für das Außenministerium in Washington D.C. erklärte Sprecher Ned Price, noch sei nicht klar, wer Israel regieren werde, aber die Administration hoffe darauf, dass alle israelischen Regierungsvertreter die »gemeinsamen Werte mit den USA teilen« würden, inklusive der Rechte für Minderheiten. Dies war offenbar eine schlecht versteckte Anspielung auf die Möglichkeit, dass Wahlsieger Benjamin Netanjahu eine Allianz mit sehr rechten Kräften eingehen könnte. Bisher dürfte Joe Biden mit dieser Reaktion seiner Leute keine jüdischen Wähler abgeschreckt haben. Aber jedes Wort aus seiner Regierung zu dieser Thematik wird gehört und vermutlich auf die Goldwaage gelegt.
Insgesamt 170 Millionen registrierte Wähler dürfen am diesem Dienstag ihr Kreuzchen machen. In den Midterms werden die Bewohner des Weißen Hauses oft abgestraft. Eine Mehrheit der Juden in Amerika hofft, dass es diesmal nicht so ist.