Vielen kam es wie ein Déjà-vu vor: Schon wieder glorifizierten Demonstranten auf den Straßen Berlins Terror gegen Israel, es gab antisemitische Zwischenfälle und gewaltverherrlichende Sprechchöre.
»Tod, Tod Israel!« und »Raketen regnen Freiheit« skandierten viele der etwa 500 Kundgebungsteilnehmer, die am Samstag, den 8. April, im Stadtteil Neukölln zusammengekommen waren. Ein Mann rief mutmaßlich »Tod den Juden!«. Gegen ihn wird wegen Volksverhetzung ermittelt.
Die Bilder von diesem Tag wecken Erinnerungen an vorherige Proteste der pro-palästinensischen Szene, insbesondere an die im Mai vergangenen Jahres: Auch damals bildete eine Eskalation des Nahostkonflikts den Rahmen für aggressive israelfeindliche Proteste in Berlin. Auch damals war der Aufschrei in der Öffentlichkeit groß, und die Polizei stand in der Kritik, nicht entschlossen genug eingegriffen zu haben. Wie konnte es also erneut zu solchen Szenen in der deutschen Hauptstadt kommen?
Einsatz »Auf allen Demonstrationen aus diesem Milieu ist es in der Vergangenheit zu solchen Rufen gekommen«, sagte Samuel Salzborn, Antisemitismusbeauftragter des Landes Berlin, im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen. Die Vorfälle am 8. April überraschten ihn daher nicht. Dass die Polizei nicht eingegriffen hat, könne er sich nicht erklären.
Polizeipräsidentin Barbara Slowik macht dem Einsatzleiter »keinerlei Vorwürfe«.
Kritik an dem Einsatz übt auch Josef Schuster. »Bei offensichtlichen Hassparolen gegen Juden und Israel muss eine solche Kundgebung aufgelöst werden«, sagte der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland dieser Zeitung. »Wenn das nicht geschieht, verliert unser Rechtsstaat an Glaubwürdigkeit.«
Volker Beck, Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG), erklärte: »Es ist völlig unverständlich, wie diese Demonstration in dieser Form stattfinden konnte.« Er erwarte, dass aufgeklärt wird, wie es so weit kommen konnte.
Verständnis An einer Erklärung versuchte sich die Berliner Polizeipräsidentin vergangenen Freitag bei einem Pressegespräch. Sie habe »großes Verständnis für die Empörung«, sagte Barbara Slowik. Die Szenen vom 8. April seien »unerträglich«. Gleichzeitig nahm Slowik den für die Demonstration zuständigen Einsatzleiter in Schutz: Sie mache ihm »keinerlei Vorwürfe«, auch wenn die Polizei schneller hätte eingreifen können.
Der Sprecher der Senatsverwaltung für Inneres, Thilo Cablitz, glaubt, dass die Polizei durchaus aus den Erfahrungen des vergangenen Jahres gelernt hat. »Das Kräfteverhältnis war besser, und man hatte von Anfang an einen Dolmetscher dabei«, sagte er der Jüdischen Allgemeinen über den Einsatz am 8. April. Gleichzeitig räumte Cablitz ein, dass nicht alles optimal gelaufen ist. Der Dolmetscher habe später ausgesagt, die Rufe, in denen Juden beziehungsweise Israel der Tod gewünscht wurde, nicht gehört zu haben. Andernfalls »hätte eingegriffen werden müssen«, so Cablitz. Für kommende Proteste aus dem israelfeindlichen Milieu müsse daher gelten: »Mehr Dolmetscher, mehr Sprachmittler und klare Auflagen.«
An dieser Darstellung des Vorgangs hegt Grischa Stanjek Zweifel. Er ist Gründer von »democ« und hat für den Verein die Demonstration beobachtet und aufgezeichnet. Er könne sich »kaum vorstellen«, dass der Dolmetscher der Polizei die Parole »Tod, Tod Israel!« nicht gehört habe. »Das Lied lief auch über den Lautsprecher«, erinnert sich Stanjek.
Demobeobachter Grischa Stanjek zweifelt an der Darstellung der Polizei.
Dagegen halte er es für möglich, dass der einzelne Ruf »Tod den Juden!« für den Übersetzer nicht wahrnehmbar gewesen ist. Stanjek betont, die Polizei sei mit »mehr Einsatzkräften als sonst« vor Ort gewesen. Für ihn ein Zeichen, dass die Behörden dazugelernt haben. Dennoch: »Nur präsent zu sein, reicht nicht.« Vorfälle wie am 8. April passierten »jedes Jahr aufs Neue«.
mittel Was muss also getan werden, damit Juden- und Israelhass auf Kundgebungen besser unterbunden wird? Eine Möglichkeit sind Verbote. Bisher wurden drei pro-palästinensische Veranstaltungen infolge der Demonstration am 8. April von der Berliner Versammlungsbehörde untersagt. Zentralratspräsident Schuster nannte das »eine kluge Entscheidung«, und Antisemitismusbeauftragter Salzborn findet, dieses Mittel sei auch künftig »ein wichtiges und zentrales«.
Die Polizeipräsidentin schränkte ein: Ein Verbot sei »das schärfste Schwert«. Man müsse »immer den Einzelfall betrachten«. Sie will vor allem auf härtere Auflagen setzen, mit denen Demonstrationsteilnehmern im Vorfeld bestimmte Symbole und Aussagen verboten werden können – etwa der Ruf »Tod Israel!«.
Bei Nichteinhaltung kann die Polizei dann eingreifen. Um hier den Handlungsspielraum ihrer Behörde zu erweitern, wünscht sich Slowik die Wiedereinführung des 2021 gestrichenen Begriffs der »öffentlichen Ordnung« ins Berliner Versammlungsfreiheitsgesetz. Innensenatorin Iris Spranger (SPD) unterstützt diese Gesetzesänderung.
Verbot DIG-Präsident Beck fordert, dass auch bei den Organisatoren israelfeindlicher Proteste angesetzt wird. Zu der Kundgebung am 8. April hatte die Gruppierung Samidoun aufgerufen, die als Ableger der terroristischen »Volksfront zur Befreiung Palästinas« (PFLP) gilt und in Deutschland immer wieder Demonstrationen organisierte, auf denen es zu antisemitischen Zwischenfällen kam. »Ich fordere die Bundesinnenministerin auf, ein Verbot von Samidoun und PFLP zu prüfen«, so Beck.
Eine Sprecherin des Ministeriums erklärte, die Bundesregierung äußere sich »generell nicht zu Verbotsüberlegungen«. Potenziell Betroffene könnten ansonsten »ihr Verhalten danach ausrichten«. Der Verantwortung, »Antisemitismus mit aller Kraft zu bekämpfen«, sei man sich bewusst.