Rabbiner Cooper, ist Jakob Augstein ein Antisemit?
Da müssen Sie ihn fragen, hätte ich vor der Debatte über unsere Top Ten gesagt. Die Liste des Simon-Wiesenthal-Zentrums führt nicht Antisemiten als Personen auf, sondern antisemitische Äußerungen. Das heißt nicht, wie fälschlich berichtet wurde, dass wir von unserer Einstufung seiner Äußerungen als antisemitisch abrücken. Wir forderten Herrn Augstein aber dazu auf, sich für seine Einlassungen zu entschuldigen. Weil er dazu nicht bereit ist, sind wir nun zu dem Schluss gekommen: Ja, Herr Augstein ist ein Antisemit.
Welche seiner Äußerungen hat Sie besonders empört?
Was ich besonders grotesk und inakzeptabel finde, sind seine Behauptungen über zehn Prozent der israelischen Bevölkerung, die Augstein als »Charedim« charakterisiert. Sie schmeißt er in den gleich Topf wie islamistische Extremisten. Die Charedim seien vom »Gesetz der Rache« motiviert – das ist klassischer Judenhass. Das hat auch nichts mit dem Mittleren Osten zu tun. Jeder kann seine eigene Meinung haben, aber man darf nicht seine eigenen Fakten erfinden. Ich würde gerne von Herrn Augstein hören, wo Charedim Gewalt befürworten oder lehren und wie viele Selbstmordattentäter sie produziert haben? Diese Charakterisierung von Charedim ist nicht bloß eine Beleidigung, sondern sie ist gefährlich.
Stimmt die Darstellung des Magazins »Der Spiegel«, dass Sie eine Einladung, mit Augstein zu diskutieren, abgelehnt haben?
Nein. Ich bin bereit, mich mit Augstein an einen Tisch zu setzen, sobald er sich entschuldigt hat. Ich will ihn nicht dämonisieren, aber ich will auch nicht über seine Äußerungen diskutieren. Es sind Aussagen, die eine Reaktion erfordern, keine Diskussion.
Vielfach wurde bezweifelt, dass die Kritik an Augstein in Form einer Liste die angemessene Form sei.
Nehmen Sie das Beispiel der Muslimbruderschaft. Wir haben ihre Politik jahrelang verfolgt. Inzwischen stellen sie die ägyptische Regierung, worüber wir sehr besorgt sind. Es stellt sich die Frage, wie man den von ihr verbreiteten Hass stoppen kann. Sie dieses Jahr auf Platz eins der Liste zu setzen, hatte den Zweck, sie in den Fokus der Öffentlichkeit zu bringen. Das hat geholfen, weltweit mehr Neugier und Interesse an diesem Problem zu wecken. Wir arbeiten mit vielen verschiedenen Ansätzen. Eine Liste zum Jahresabschluss hat sich als nützliches Instrument erwiesen.
Der Großteil der deutschen Medien hat Augstein verteidigt. Irritiert Sie das?
Ich würde sehr gern glauben, dass kein deutscher Journalist charedische Juden für Taliban hält. Das ist meine Arbeitshypothese. Angesichts des Debattenverlaufs kann es sehr gut sein, dass einige der von Augstein vertretenen Ansichten durchaus populär sind. Inwieweit das verbreitet ist, kann man nur durch wissenschaftliche Analysen herausfinden. Das Wichtigste, das jeder Journalist tun kann, ist, einfach das zu lesen, was Augstein geschrieben hat. Es geht uns also keinswegs, wie uns zuweilen vorgeworfen wurde, um einen Angriff auf die Freiheit der Presse.
Sollte sich Augstein entscheiden, selbst nach Israel zu reisen, um sich ein eigenes Bild zu machen – wären Sie bereit, ihn mit interessanten Gesprächspartnern dort zusammenzubringen?
Falls er dorthin ginge, würde ich ihn gerne mit einigen charedischen Juden bekannt machen. Das ist kein Scherz, das meine ich ernst. Es ist für uns alle wichtig, Stereotypen zu hinterfragen. Es wäre ein sehr wichtiger Schritt für jemanden wie Herrn Augstein, nach Israel zu reisen. Vielleicht würde das seine Einstellung ändern.
Rabbiner Abraham Cooper ist stellvertretender Direktor des Simon Wiesenthal Center in Los Angeles, das auf seiner Liste der Top Ten antisemitischer/anti-israelischer Verunglimpfungen 2012 den deutschen Publizisten Jakob Augstein wegen verschiedener Äußerungen auf Platz neun aufführte. Am Donnerstag war Cooper Gast des Mideast Freedom Forum in Berlin.