Interview

»Ja, Augstein ist ein Antisemit«

Rabbiner Abraham Cooper über klassischen Judenhass, deutsche Medien und die Notwendigkeit, Stereotypen zu hinterfragen

von André Anchuelo  31.01.2013 16:10 Uhr

Rabbiner Abraham Cooper: »Ich bin bereit, mich mit Augstein an einen Tisch zu setzen, sobald er sich entschuldigt hat.« Foto: Rolf Walter

Rabbiner Abraham Cooper über klassischen Judenhass, deutsche Medien und die Notwendigkeit, Stereotypen zu hinterfragen

von André Anchuelo  31.01.2013 16:10 Uhr

Rabbiner Cooper, ist Jakob Augstein ein Antisemit?
Da müssen Sie ihn fragen, hätte ich vor der Debatte über unsere Top Ten gesagt. Die Liste des Simon-Wiesenthal-Zentrums führt nicht Antisemiten als Personen auf, sondern antisemitische Äußerungen. Das heißt nicht, wie fälschlich berichtet wurde, dass wir von unserer Einstufung seiner Äußerungen als antisemitisch abrücken. Wir forderten Herrn Augstein aber dazu auf, sich für seine Einlassungen zu entschuldigen. Weil er dazu nicht bereit ist, sind wir nun zu dem Schluss gekommen: Ja, Herr Augstein ist ein Antisemit.

Welche seiner Äußerungen hat Sie besonders empört?
Was ich besonders grotesk und inakzeptabel finde, sind seine Behauptungen über zehn Prozent der israelischen Bevölkerung, die Augstein als »Charedim« charakterisiert. Sie schmeißt er in den gleich Topf wie islamistische Extremisten. Die Charedim seien vom »Gesetz der Rache« motiviert – das ist klassischer Judenhass. Das hat auch nichts mit dem Mittleren Osten zu tun. Jeder kann seine eigene Meinung haben, aber man darf nicht seine eigenen Fakten erfinden. Ich würde gerne von Herrn Augstein hören, wo Charedim Gewalt befürworten oder lehren und wie viele Selbstmordattentäter sie produziert haben? Diese Charakterisierung von Charedim ist nicht bloß eine Beleidigung, sondern sie ist gefährlich.

Stimmt die Darstellung des Magazins »Der Spiegel«, dass Sie eine Einladung, mit Augstein zu diskutieren, abgelehnt haben?
Nein. Ich bin bereit, mich mit Augstein an einen Tisch zu setzen, sobald er sich entschuldigt hat. Ich will ihn nicht dämonisieren, aber ich will auch nicht über seine Äußerungen diskutieren. Es sind Aussagen, die eine Reaktion erfordern, keine Diskussion.

Vielfach wurde bezweifelt, dass die Kritik an Augstein in Form einer Liste die angemessene Form sei.
Nehmen Sie das Beispiel der Muslimbruderschaft. Wir haben ihre Politik jahrelang verfolgt. Inzwischen stellen sie die ägyptische Regierung, worüber wir sehr besorgt sind. Es stellt sich die Frage, wie man den von ihr verbreiteten Hass stoppen kann. Sie dieses Jahr auf Platz eins der Liste zu setzen, hatte den Zweck, sie in den Fokus der Öffentlichkeit zu bringen. Das hat geholfen, weltweit mehr Neugier und Interesse an diesem Problem zu wecken. Wir arbeiten mit vielen verschiedenen Ansätzen. Eine Liste zum Jahresabschluss hat sich als nützliches Instrument erwiesen.

Der Großteil der deutschen Medien hat Augstein verteidigt. Irritiert Sie das?
Ich würde sehr gern glauben, dass kein deutscher Journalist charedische Juden für Taliban hält. Das ist meine Arbeitshypothese. Angesichts des Debattenverlaufs kann es sehr gut sein, dass einige der von Augstein vertretenen Ansichten durchaus populär sind. Inwieweit das verbreitet ist, kann man nur durch wissenschaftliche Analysen herausfinden. Das Wichtigste, das jeder Journalist tun kann, ist, einfach das zu lesen, was Augstein geschrieben hat. Es geht uns also keinswegs, wie uns zuweilen vorgeworfen wurde, um einen Angriff auf die Freiheit der Presse.

Sollte sich Augstein entscheiden, selbst nach Israel zu reisen, um sich ein eigenes Bild zu machen – wären Sie bereit, ihn mit interessanten Gesprächspartnern dort zusammenzubringen?
Falls er dorthin ginge, würde ich ihn gerne mit einigen charedischen Juden bekannt machen. Das ist kein Scherz, das meine ich ernst. Es ist für uns alle wichtig, Stereotypen zu hinterfragen. Es wäre ein sehr wichtiger Schritt für jemanden wie Herrn Augstein, nach Israel zu reisen. Vielleicht würde das seine Einstellung ändern.

Rabbiner Abraham Cooper ist stellvertretender Direktor des Simon Wiesenthal Center in Los Angeles, das auf seiner Liste der Top Ten antisemitischer/anti-israelischer Verunglimpfungen 2012 den deutschen Publizisten Jakob Augstein wegen verschiedener Äußerungen auf Platz neun aufführte. Am Donnerstag war Cooper Gast des Mideast Freedom Forum in Berlin.

Würdigung

Argentiniens Präsident Milei erhält »jüdischen Nobelpreis«

Der ultraliberale Staatschef gilt als enger Verbündeter Israels und hat großes Interesse am Judentum. Das Preisgeld in Höhe von einer Million Dollar will er für den Kampf gegen Antisemitismus spenden

von Denis Düttmann  14.01.2025

Berlin

Vereinigung fordert Ausschluss der AfD bei Holocaust-Gedenken

Die demokratische Einladungspraxis, alle im Parlament vertretenen Parteien einzubeziehen, sei für die NS-Opfer und ihre Nachkommen und für viele demokratische Bürger nicht mehr tragbar

 14.01.2025

New York

46 Prozent aller Erwachsenen auf der Welt haben antisemitische Ansichten

Die Anti-Defamation League hat 58.000 Menschen in 103 Ländern befragt

 14.01.2025

NRW

NRW-Leitlinien für zeitgemäßes Bild des Judentums in der Schule

Mit Büchern gegen Antisemitismus: NRW-Bildungsministerin Feller hat zwölf Leitlinien für die Darstellung des Judentums in der Schule vorgestellt. Denn Bildungsmedien seien ein Schlüssel zur Vermittlung von Werten

von Raphael Schlimbach  14.01.2025

Faktencheck

Hitler war kein Kommunist

AfD-Chefin Weidel bezeichnet den nationalsozialistischen Diktator als »Kommunisten«. Diese These wird von wissenschaftlicher Seite abgelehnt

 14.01.2025

Berlin

Wegen Gaza-Krieg: Syrer beschädigt erneut Gebäude im Regierungsviertel

Erst das Innenministerium, dann der Amtssitz des Bundeskanzlers: Zweimal binnen weniger Tage fasst die Polizei in Berlin einen Mann, der wegen des Gaza-Kriegs wütet

 14.01.2025

Studie

Frauen und jüdischer Widerstand bei Schulnamen unterrepräsentiert

Welche Persönlichkeiten prägen die Namen deutscher Schulen? Eine Studie zeigt: Pädagogen spielen eine große Rolle. Frauen und Juden eher weniger

 14.01.2025

Debatte

»Zur freien Rede gehört auch, die Argumente zu hören, die man für falsch hält«

In einem Meinungsstück in der »Welt« machte Elon Musk Wahlwerbung für die AfD. Jetzt meldet sich der Axel-Springer-Chef Mathias Döpfner zu Wort

von Anna Ringle  13.01.2025

7. Oktober

Einigung auf Geisel-Deal zum Greifen nahe 

Ein Drei-Stufen-Plan sieht Medien zufolge die Freilassung von Geiseln sowie palästinensischen Häftlingen vor. Das Weiße Haus gibt sich optimistisch, dass bald ein Deal stehen könnte

von Julia Naue  13.01.2025 Aktualisiert