Pro
Mit den Sozialen Medien tauchen Ansichten und rechte Ideologien wieder penetrant und offensiv auf, die bisher unter einem – zugegeben hart erarbeiteten – Zivilisationsstandard vermutet wurden. Rasant verbreitet sich rechtsextreme Propaganda. Dass es nicht bei virtueller Hetze bleibt, zeigen die ansteigenden Übergriffe beispielsweise auf Flüchtlingsunterkünfte. Die Sozialen Medien, allen voran Facebook, sind nicht nur Orte des Austausches, sondern auch Orte der Vernetzung, der Agitation, der Planung rechtsextremer Straftaten.
Die virtuelle Hetze, ja die virtuelle Rechte, die sich in den letzten Jahren formiert hat, basiert unter anderem auf der Gewissheit, dass Plattformanbieter wie Facebook Frauenbrüste sperren, aber keine rechtsextreme Propaganda. Das alleine mit der weiter gefassten Meinungsfreiheit US-amerikanischer Kultur und Unternehmen zu erläutern, fasst zu kurz.
Das Problem der Anbieter sozialer Mediendienste ist eigentlich ein klassisches: Profit generiert sich bei den Kommunikationsriesen durch Kommunikation – je mehr, desto besser. Der Grundsatz muss entsprechend sein, dass die Nutzer viel auf der eigenen Plattform kommunizieren. Möglichst frei sollen sie sich fühlen. Sie können alles sagen. Das ist natürlich eine Illusion, denn soziale Konflikte, Interessenvertretung, Machtkämpfe und generell das, was wir allgemein unter dem Begriff politische Ordnung verstehen, spielen sich auch in den Sozialen Medien ab.
Und die Anbieter derselben orientieren sich knallhart an dem, was ihnen Profit bringt. Konkret heißt das: hohe Verbreitung, hohe Akzeptanz, hohe Nutzerzahl. Für die Firmenpolitik der Plattformanbieter bedeutet das, so wenig wie möglich zu löschen, die nationalen Befindlichkeiten der demokratischen Mehrheiten zu respektieren und im Zweifel die Minderheiten abermals einer Diskriminierung durch die Mehrheit auszusetzen. Zwar halten sich Facebook, Twitter und Co. bedeckt, wenn es um konkrete Lösch- und Sperrrichtlinien geht, jedoch lassen sich einige Vermutungen festhalten: Die Plattformanbieter richten sich nach dem nationalen Konsens. Deswegen werden antisemitische Posts in Deutschland tendenziell eher gelöscht – es gibt eben einen verfassten Konsens im Strafgesetzbuch.
Facebook hat kein Interesse daran, sich mit den Machthabern der jeweiligen Staaten anzulegen. Es bleibt sogar zu vermuten, dass die Plattformanbieter in vorauseilendem Gehorsam Löschanweisungen haben, um den Betrieb reibungslos in so vielen Ländern wie möglich aufrechtzuerhalten. Facebook als revolutionäre Plattform? Wieso sollte Facebook daran Interesse haben? Die Plattformanbieter beugen sich der Mehrheit – egal, wie diese beschaffen ist. Eine Vorstellung, die sich im Angesicht der europäischen Geschichte nur schwer akzeptieren lässt, denn während Frauenbrüste die Mehrheit offensichtlich noch schockieren, tun es Menschenverachtung und Minderheitenhass anscheinend immer noch nicht. Da hilft offensichtlich auch kein Geschichtsbuch im neuen Buchklub des Mark Zuckerberg.
Deswegen ist der Vorstoß von Heiko Maas richtig: Facebook und andere Plattformanbieter müssen gezwungen werden, sich den hart erkämpften Grundwerten zu verpflichten und konkret einzuschreiten, wenn Grenzen des demokratischen Spektrums überschritten sind. Selbst wenn die Mehrheit der nationalen Nutzergruppen ein Problem damit haben sollte, dass beispielsweise Frauenfeindlichkeit nicht geduldet wird.
Soziale Medien sind auf vielen Ebenen eine Bereicherung, sie fordern Tradiertes heraus, geben denen Raum, die in der institutionalisierten Mediendemokratie kein Gehör finden. Geht es um den Kampf gegen Sexismus, Rassismus oder Antisemitismus ist das ein Gewinn. Allerdings gibt diese Entwicklung auch marginalisierten Positionen Auftrieb, die zum Glück marginalisiert sind und einer rechtsextremen Ideologie entspringen. Das letzte Jahrhundert sollte uns gelehrt haben, dass Freiheit nicht ohne Verantwortung gelingen kann, dass dem Menschenhass Grenzen gesetzt werden müssen, und dass wir Facebook und Co. nicht gestatten dürfen, auf dem Rücken derer, die unter rechter Hetze leiden, ihren Profit einzustreichen.
Die neue virtuelle Rechte, die sich in den vergangenen Jahren in den Sozialen Medien gebildet hat, ist gefährlich, denn sie untergräbt Zivilisationsstandards, für die hart gekämpft wurde. Mittlerweile werden diese Zivilisationsstandards verächtlich »Political Correctness« genannt – der Zeitgeist spielt also der virtuellen Rechten in die Hände. Dabei darf nicht vergessen werden, dass diese nicht virtuell bleibt. Gerade in Deutschland sehen wir momentan einen Anstieg rechter Gewalt. Vom Netz auf die Straße. Deswegen muss die virtuelle Rechte mit allen Mitteln bekämpft werden. Das bedeutet im Zweifel, auch Kommunikation für rechte Hetze unmöglich zu machen. Und das geht nur, indem Inhalte entfernt werden. Denn: Diskutieren ist mit rechtsextremen Ideologen nicht möglich. War es nie.
Julia Schramm ist Politikwissenschaftlerin und Autorin in Berlin. Seit 2014 arbeitet sie für die Amadeu Antonio Stiftung als Fachreferentin für »Hate Speech«.
Contra
Die wachsweich formulierte Erklärung zu rassistischen Posts, die Heiko Maas unlängst Facebook abringen konnte, ist die Arbeitszeit nicht wert, die der Bundesjustizminister mit den Managern des Blauen Riesen verschwendet hat. Und das ist gut so. Es ist selbstverständlich ein Skandal, dass Facebook Brustwarzen (sofern zu weiblichen Brüsten gehörig) zensurwürdiger findet als gruppenbezogenen Menschenhass aller Art. Facebook hat als amerikanisches Unternehmen eben sehr amerikanische Vorstellungen von Meinungsfreiheit – und von Prüderie. Die Forderung nach Zensur hingegen ist die vollkommen falsche Konsequenz, im Gegenteil: Gebt die Brüste frei!
Es gibt gute Gründe, auch den widerwärtigsten Hass auf Facebook zu erlauben: Jenseits des sozialen Netzwerks gibt es das große weite Internet, in dem exakt derselbe Schmutz ungehindert von US-Servern aus weiterverbreitet werden kann und wird. Was dort aber in viel geringerem Maße möglich ist, ist soziale Kontrolle durch die Massen, die bei Facebook aktiv sind. Der österreichische Porsche-Azubi, der auf seiner Facebook-Seite der Feuerwehr beim Löschen eines Flüchtlingsheims Flammenwerfer statt Wasserschläuche in die Hand gewünscht hatte, war keinen ganzen Tag später arbeitslos – eben weil er bei Facebook im Gegensatz zum Rest des Netzes erheblich weniger anonym war.
Natürlich wird das Netzwerk dazu missbraucht, Menschen zu radikalisieren – doch ist es eben mindestens so nützlich dabei, genau diese Radikalisierung zu verhindern. Dafür ist es freilich nötig, mit jenen zu diskutieren, die abzugleiten drohen, statt sie zu blockieren. Zensur im öffentlichen Teil Facebooks führt lediglich dazu, dass die entsprechenden Inhalte in privaten Gruppen diskutiert werden – und damit der öffentlichen Diskussion entzogen sind. Die »Filterblase« der Hetzer wird nach außen abgedichtet, sodass sie von Widerspruch unbehelligt bleiben.
Als sich der Komiker Dieter Hallervorden im vorvergangenen Sommer auf seiner Facebook Wall zu einem vollkommen idiotischen Statement zum Krieg »Protective Edge« in Gaza hinreißen ließ, lief seine Seite heiß – Tausende zustimmende Posts wurden von Hunderten kritisch konterkariert. Hier bot sich die einmalige Gelegenheit, Menschen mit Fakten zu konfrontieren, die sonst niemals erreichbar gewesen wären. Denn gerade bei Seiten Prominenter gilt: Auf jeden aktiven Teilnehmer an einer Diskussion kommen Dutzende passiver Leser, die sich ihre Meinung erst bilden wollen. Wenn man dann in privaten Nachrichten erfährt, dass diese User aufgrund der ihnen dort erstmalig zur Kenntnis gebrachten Fakten ihre Meinung um 180 Grad änderten, weiß man, dass die Diskussion nicht vergeblich ist.
Jeder, der dieser Tage halbwegs öffentlich aktiv auf Facebook ist, hat die Wahl: Blockiere ich jene meiner virtuellen Freunde, die auf die Flüchtlingskrise mit Angst und Missgunst reagieren, oder stelle ich mich ihnen mit Fakten entgegen? Natürlich ist nicht jeder einer vernunftbasierten Argumentation zugänglich, vielleicht nur eine Minderheit. Doch das kann kein Grund sein, die Diskussion insgesamt zu meiden. Und für jene, bei denen Hopfen und Malz verloren ist, gilt: Wer Schwachsinn behauptet, verdient es nicht, sich durch Zensur als Märtyrer fühlen zu dürfen, der vermeintliche »unangenehme Wahrheiten« ausspricht.
In der Diskussion über einen offensichtlichen Nazi wurde dieser entlastet mit der Anmerkung: »Er hat aber nie den Holocaust geleugnet oder befürwortet.« Exemplarisch zeigt dies, dass die Kriminalisierung bestimmter Meinungen deren Inhaber primär vor sich selbst schützt. Der Nazi befürwortete selbstverständlich den Holocaust, war aber nicht blöd genug, das öffentlich zu äußern und so gegen geltendes Recht zu verstoßen. Wenn er aber seinen Blödsinn nicht verbreitet, kann man ihm nicht inhaltlich entgegentreten.
Wenn Facebook hierzulande die Holocaustleugnung zensiert, weil das geltendem Recht entspricht, muss es nach derselben Logik in der Türkei jeden Post zum Völkermord an den Armeniern auf die Goldwaage legen, den zu deklamieren ja gerne mal als Beleidigung des Türkentums justiziabel wird. In China locken gute Geschäfte, wenn man nur sicherstellt, dass das Tian’anmen-Massaker aus den News Streams verschwindet. Und seitdem der Iran Obamas neues Lieblingsland ist, bestehen auch hier ganz neue Möglichkeiten – sofern man den Mullahs ein wenig entgegenkommt und unliebsame Fakten zum »Kleinen Satan«, dessen »zionistisches Regime« bekanntlich von der Landkarte getilgt gehört, vorsorglich aussortiert. Ein Albtraum!
Die sozialen Netzwerke dürfen über den allerkleinsten gemeinsamen Nenner der Zensur nicht hinausgehen – in einem Wort: Kinderpornografie. Sonst werden sie zu Werkzeugen der Unfreiheit und der Unterdrückung. Bis dahin wird auch weiterhin kein Amerikaner zwischen den Enthauptungs-, Ertränkungs- und Verbrennungsvideos des Islamischen Staats und Liveaufnahmen von Mordanschlägen auf Nachrichtenreporterinnen mit so etwas zutiefst Verstörendem behelligt wie einer nackten Frauenbrust.
David Harnasch ist Chefredakteur des Vierteljahresmagazins »liberal« der FDP-nahen Friedrich Naumann Stiftung. Er lebt in Berlin und Freiburg. In der Vergangenheit arbeitete er in der IT-Branche.