Podcast

Ist Deutschlands Israel-Solidarität aufgebraucht?

Chefredakteur der »Welt«-Gruppe, Ulf Poschardt Foto: picture alliance / Geisler-Fotopress

»Das Jahr 2023 fühlt sich für uns Journalisten so an, als wären es drei gewesen«, so Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt zu Beginn der neuesten Podcast-Folge der Reihe »Das denkt Deutschland – Über Meinung und Medien«. Gemeinsam mit Thorsten Thierhoff, Geschäftsführer des Meinungsforschungsunternehmen Forsa, geht er diesmal der Frage auf den Grund, wie es um die Solidarität der Deutschen mit Israel bestellt ist.
»Thorsten, ihr habt noch einmal richtig losgelegt und Zahlen erarbeitet«, steigt Poschardt in das Thema ein. Denn unmittelbar nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel hatte Forsa für die Tageszeitung »Die Welt« die Einstellungen der Deutschen zum jüdischen Staat einmal näher unter die Lupe genommen. Zwei Monate später, unter dem Eindruck der seither laufenden militärischen Entwicklungen vor Ort, wurden die Fragen erneut gestellt. Auf diese Weise wollte man sich ein Bild darüber verschaffen, ob es Veränderungen gab und wie sich diese erklären lassen.
»Mitte Oktober konnten wir feststellen, dass der Nahostkonflikt wie ein Phoenix aus der Asche emporgestiegen ist«, bringt es Thierhoff auf den Punkt. »Fast 70 Prozent der Deutschen sagten uns, dass dieses eines der wichtigsten Themen überhaupt für sie sei.«

Acht Wochen danach hat sich das Bild ein wenig revidiert. Die Aufmerksamkeit ist ein wenig schwächer geworden. »Mit einer gewissen Erleichterung kann ich aber sagen, dass sich nicht sonderlich viel verschoben hat. Das positive Bild, die klare Solidarität in der Bevölkerung und die Haltung gegenüber dem Selbstverteidigungsrecht Israels – all das hat sich weitestgehend bestätigt.« »Die Tendenz ist trotzdem abnehmend«, gibt Poschardt zu bedenken. Immerhin hätten aber auf die Frage »Hielten Sie es für richtig, dass sich die Bundesregierung klar auf Seiten Israels gestellt hat?« 66 Prozent mit »Ja« und nur 16 Prozent mit »Nein« geantwortet. Die Übrigen würden sich nicht dazu äußern, was Poschardt zu Folge womöglich Ausdruck einer grundehrlichen Haltung sei. »Schließlich ist der Nahostkonflikt sehr kompliziert.« Das würde nicht jeder durchblicken.

Für Poschardt ist es ferner wichtig, in diesem Kontext auch die spezifische Wahrnehmung der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland zur Kenntnis zu nehmen, die gerade mit einer Welle des Antisemitismus konfrontiert wird, deren Ausmaße alle schockiert. »Da läuft es einem kalt den Rücken runter«, kommentiert Thierhoff ebenfalls das, was an judenfeindlichen Parolen derzeit auf deutschen Straßen zu hören ist.

Spannend ist für beide auch die Tatsache, dass die Zahl derjenigen, die überzeugt sei, Deutschland habe gegenüber Israel eine besondere Verpflichtung, in den vergangenen zwei Monaten um sieben Prozentpunkt gesunken ist, und zwar von 44 auf 37 Prozent. »Die Mehrheit sagt also ausdrücklich Nein.« Für Poschardt stellt sich daher die Frage, wie diese Werte wohl in einigen Wochen aussehen könnten, insbesondere für den Fall, dass Israel »im Sinne eines ›Nie wieder!‹« militärisch auch gegen die Hisbollah vorgehen würde. Thierhoff sieht diese Daten etwas gelassener und erklärt sie mit dem anfänglichen Schock über das Geschehene, der dann der Beobachtung gewichen sei, dass die Weltgemeinschaft in Erscheinung getreten ist, um den Konflikt irgendwie zu managen.

Stoff zur Diskussionen liefern ebenfalls die Zahlen darüber, wie sich die Meinungen zu Israel in den vergangenen zwei Monaten verändert haben. Glaubten im Oktober noch 53 Prozent, dass Israel seine Interessen ohne Rücksicht auf andere Völker verfolgen würde, so sind es jetzt schon 59 Prozent. Am dramatischsten aber war die Zunahme der Zahl derer, die erklärten, Israel hätte im Nahen Osten kein Existenzrecht. Diese stieg um ein Drittel von sechs auf nunmehr neun Prozent.

Poschardt sieht darin einen Propagandaerfolg der Hamas und die Gefahr, dass ihre Rechnung aufgehen könnte. Zudem spiegelt sich in den Daten die Wirkung der aktivistischen, postkolonialen Ideologie wider. Diese habe sich aus der Nische verabschiedet und werde nun zunehmend auch vom gesellschaftlichen Mainstream für bare Münze genommen. Dabei seien die Zahlen aus Deutschland noch pures Gold. »In den USA sieht das viel schlimmer aus. Vor allem bei der jüngeren Generation.« Diese stehe Israel erschreckend feindlich gegenüber. Thierhoff wiederum teilt diese Einschätzungen nur bedingt. Er verweist auf die Genese solcher Einstellungen, die auch maßgeblich durch Wahrnehmungen des Konflikts geprägt sind, wie sie durch die Bundesregierung zum Ausdruck kommen.

Was den Podcast auszeichnet, ist die Art und Weise, wie Poschardt und Thierhoff über den Tellerrand blicken und die Umfrageergebnisse mit anderen Beobachtungen, die sie machen, verweben – beispielsweise die begeisterte Rezeption postkolonialer Ideologeme, allen voran die Relativierung der Schoah, durch Rechtsextreme wie Martin Sellner, Anführer der Identitären Bewegung. »Da braut sich was zusammen, da kann man von einer neuen Querfront sprechen«, so Poschardt. »Jede Gesellschaft muss ihre Ränder im Blick behalten und aufpassen, dass diese nicht außer Kontrolle geraten«, rät ebenfalls Thierhoff. Ganz der Meinungsforscher, der er ist, verweist er in diesem Zusammenhang auch auf die neuen Rekordwerte bei den Umfragen zur AfD. Und einig sind sich beide in ihrer Prognose für das kommende Jahr: Es wird nicht einfacher. Aber zum besseren Verständnis der Entwicklungen und ihrer Rezeption hierzulande kann ein Podcast wie »Das denkt Deutschland – Über Meinung und Medien« durchaus einiges beitragen.

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