Nahost

Israels Dilemma

Die Hamas bombardiert aus von Gaza-Stadt aus Israel (Symbolbild, November 2018) Foto: dpa

Die Kleine ist vielleicht gerade einmal zwei Jahre alt und sitzt mit ihrem etwas älteren Bruder Harel in einem dunklen Loch im Süden Israels. Draußen heulen die Sirenen, »Zeva Adom«, Alarmstufe rot. Die Mutter fragt die Kinder, ob sie wüssten, warum sie im Bunker sind und nicht im Sandkasten draußen im Garten. Die Antwort kommt prompt: »Die Bomben«. Die kleine Schwester tröstet den verängstigten Bruder: »Harel, du musst keine Angst haben. Ich bin bei dir.«

Ein herzerweichendes Video aus einem Land, das sich seit 70 Jahren mehr oder weniger im Krieg befindet und immer wieder feststellt, wie verschwindend gering die Zahl der Verbündeten ist. Neun Mal wurde Israel allein im November von der UN als einziges Land verurteilt, der Rest der Welt hatte offenbar nichts verbrochen. »Free Palestine« und die damit verbundene Forderung nach dem Ende des Staates Israel hat weltweit mehr Anhänger als alle Lobbyisten Israels zusammen.

RAKETEN Man möge sich kurz vorstellen, wie gelassen Deutschland auf 500 Raketen aus Österreich reagieren würde, wenn sie in den Außenbezirken von München einschlügen und der Angreifer sich brüstete, er könne auch jederzeit die Innenstadt treffen, die Frauenkirche, die Theresienwiese beim Oktoberfest. Schon eine einzige Rakete auf einem Rübenacker bei Freising würde ausreichen, den Notstand über das ganze Land zu verhängen.

Zur Schlagzeile wurde der neue Krieg erst, als sich Israel zur Wehr setzte.

Lange galten die »selbstgebastelten« Raketen der Hamas als kriegerisches Kleinspielzeug. Aber die Hamas hat aufgerüstet und das, was sie der Zivilbevölkerung an Hilfe gestohlen hat, in ihre Waffenkammern gesteckt. Ihre Raketen sind treffsicherer, reichen weiter und sind von enormer Wucht. Die Hamas feuerte auf die israelische Zivilbevölkerung, was die Rampen hergaben. Selbst der hocheffiziente Raketenschirm konnte längst nicht alle abfangen. Eine Rakete traf ein Wohnhaus in Aschkelon und tötete, tragische Ironie, den 48-jährigen Mahmud Abu Asabeh, einen palästinensischen Leiharbeiter. Er wurde still und leise in seinem Dorf, nördlich von Hebron, beerdigt.

Er hat es nicht einmal auf die Liste der Märtyrer geschafft, die von der Hamas sonst immer gerne an die Medien durchgereicht wird für die zynische Opferarithmetik, die nur das Ziel hat, Israels Schuldenkonto zu vergrößern. Ginge es tatsächlich darum, palästinensische Menschenleben zu retten, so müsste es einen Aufschrei geben gegen die Barbarei der Hamas, die selbst Kinder in den aussichtslosen und Monate andauernden Sturm auf den Grenzzaun nach Israel hetzt. Denn natürlich weiß jeder, dass kein Land der Welt tatenlos zusehen kann, wenn der Nachbar es überrennen will.

Noch als die ersten Bewohner aus den Bunkern in ihre zerbombten Häuser zurückkehrten und Verletzte bargen, war es hierzulande unerträglich still. Zur Schlagzeile wurde der neue Krieg erst, als Israel sich gegen das Bombardement zur Wehr setzte. Vom »Spiegel« (»Israel bombardiert Fernsehsender der Hamas«) bis zur »Jungen Welt« (»Israel greift Gaza an«) war wieder einmal nicht der Aggressor Auslöser für eine Berichterstattung, sondern der, der sich wehrt. Aber selbst wenn die Waffen wieder schweigen, wird das dem Konto der Hamas gutgeschrieben: »Palästinenser verkünden Feuerpause«, der Aggressor war so freundlich und bekommt breiten Beifall für seine Besonnenheit, vom »Focus« bis zur »taz«.

KAPITULATION Die betroffenen Israelis sehen das anders. Viele teilen die Ansicht Avigdor Liebermans, der die »Kapitulation vor dem Terror« anprangerte und deshalb als Verteidigungsminister den Bettel hinwarf. Nicht nur er fürchtet, dass die Hamas auch diese Feuerpause nutzen wird, um ihre Waffenlager, in denen schon jetzt noch über 20.000 Raketen lagern, weiter aufzufüllen.

Der jüngste Waffenstillstand wurde wie stets in den Gassen von Gaza als Sieg über Israel gefeiert. Aber es ist der Sieg einer neuen Koalition zwischen Ägypten und Katar.

Ein neuer Gaza-Krieg würde das gute Verhältnis Israels zu Saudi-Arabien belasten.

Der Golfstaat pumpt mit Billigung Israels Milliarden in den Gazastreifen. Das trägt zur Befriedung bei und hilft, den Druck auf die Hamas zu erhöhen. Denn selbst ihr wird mit jedem neuen Waffengang klarer, dass militärisch alle Karten ausgereizt sind. Und auch der israelische Premier Netanjahu weiß, wie recht Generalstabschef Gadi Eizenkot hat, der eindringlich vor einem neuen blutigen Krieg warnt, der die Sicherheit Israels nicht verbessern kann. Die Einseitigkeit der internationalen Wahrnehmung des Nahostkonflikts in Politik und Medien stärkt die populistische Rechte in Israel und erhöht die Gefahr neuer Waffengänge, die man anschließend wieder anprangern kann.

Ein neuer Gaza-Krieg aber würde nicht nur nichts nutzen. Er würde überdies die zarten Bande kappen, die von Saudi-Arabien über Oman bis nach Abu Dhabi geknüpft sind. Die Vision einer neuen Nachbarschaft in Nahost rückt näher. Dafür aber muss Gaza befriedet und nicht zerstört werden. Auch deshalb hat Israel unmittelbar nach dem Waffenstillstand Gaza wieder mit Treibstoff und humanitären Gütern versorgt. Wenn sie groß sind, werden die beiden Geschwister im Bunker im Süden Israels vielleicht verstehen, warum es manchmal nötig ist, die Hand zu füttern, die einen töten will.

Der Autor ist Journalist und Buchautor (»Israel ist an allem schuld«, 2015, mit Esther Schapira).

Davos

Herzog fordert weltweite Anstrengungen gegen Terror

Israels Präsident hofft auf Chancen durch die Veränderungen etwa in Syrien. Gleichzeitig warnt er in Davos vor dem Iran

 22.01.2025

Berlin

Merkel diskutiert mit Schülern über NS-Täter

Verbrechen und Verantwortung: Ex-Kanzlerin Merkel schaut gemeinsam mit Schülern eine Doku über junge Männer, die zu NS-Tätern wurden. Die Jugendlichen im Saal nimmt sie in die Pflicht

 22.01.2025

Meinung

Trump und Israel: Eine unbequeme Wahrheit

Der designierte 47. US-Präsident hat noch vor Amtsantritt mit seiner Nahostpolitik der maximalen Abschreckung und Härte mehr in Israel und Gaza erreicht als die Biden-Administration und die Europäer in den vergangenen 13 Monaten

von Philipp Peyman Engel  21.01.2025 Aktualisiert

Debatte

Scholz äußert sich zu Musks umstrittener Geste

Elon Musks Hitlergruß-ähnliche Geste bei einer Rede zu Trumps Amtseinführung sorgt für Irritationen. Auch beim Weltwirtschaftsforum in Davos ist sie Thema. Der Kanzler reagiert

 21.01.2025

Meinung

Wenn Freunde peinlich werden

Das Auswärtige Amt hat einem deutsch-israelischen Stand bei der Frankfurter Buchmesse eine Absage erteilt. Ein Armutszeugnis für Außenministerin Baerbock, findet unsere Redakteurin Ayala Goldmann

von Ayala Goldmann  21.01.2025 Aktualisiert

27. Januar

»Als ob es gestern wäre«: 80 Jahre nach Auschwitz

Das Grauen des Holocaust wirklich zu verstehen, fällt heute schwer. Aber wegsehen ist keine Option, findet nicht nur die Überlebende Margot Friedländer

 21.01.2025

Washington D.C./Berlin

Trump stoppt UNRWA-Finanzierung

Die USA waren der größte Beitragszahler der UNO-Unterorganisation. Dies gilt vorerst nicht mehr

von Imanuel Marcus  21.01.2025

Kommentar

Trump 2.0 wird den Nahen Osten erneut verändern

Carsten Ovens erläutert Chancen und Risiken der künftigen US-Außenpolitik

von Carsten Ovens  21.01.2025

USA

TV-Mann, Milliardär, Radikale: So soll Trumps Team aussehen

Bei der Wahl der Kandidaten für gewichtige Posten spielten für den neuen US-Präsidenten Trump Fernsehtauglichkeit, stramme Gefolgschaft und Geld eine Rolle. Wer hat in Washington bald das Sagen?

von Christiane Jacke  21.01.2025