Die britische Labour-Partei hat am Samstag einen neuen Vorsitzenden gewählt – Jeremy Corbyn. Seine Kandidatur löste unter britischen Juden einiges Unbehagen aus: Tritt er doch als Israelkritiker in die Fußstapfen seiner Vorgänger im linken politischen Lager der Insel, etwa des im vergangenen Jahr verstorbenen Altsozialisten Tony Benn – dieser wechselte von einer pro-israelischen Haltung nach Staatsgründung zu einer vehementen Ablehnung von Israels Regierung.
Der ehemalige Londoner Bürgermeister Ken Livingstone, ebenfalls Labour-Mitglied, wollte noch nicht einmal die Grenzen von 1967 anerkennen. Auch er hatte, genau wie Corbyn, seltsame Bekanntschaften – etwa Scheich Yusuf al-Qaradawi, einen radikalen Islamgelehrten, der für die Vernichtung aller Zionisten, das Auspeitschen von Schwulen und Genitalbeschneidung bei Frauen plädiert.
kontakte Corbyn selbst unterhält Kontakte zu Leuten, die vollkommen unakzeptable Ansichten bezüglich Juden und anderen vertreten. Seine Kontakte pflegt er, so hört man, im Namen der »Friedensförderung«. Doch wer einerseits mit Hamas, Hisbollah und Holocaustleugnern spricht und andererseits am liebsten mit Israels Ultralinken und Refuseniks, hat offensichtlich eine sehr einseitige Perspektive. Einen dermaßen akzentuierten Austausch mit Initiativen der gemäßigten und mühsamen Friedensarbeit beider Seiten pflegt er nicht. Warum auch? Für ihn und Gleichdenkende hat der Konflikt im Nahen Osten vor allem einen Übeltäter: Israel.
Jeremy Corbyn, so heißt es, sei kein Antisemit. Das mag stimmen. Dennoch – Großbritanniens Juden sind besorgt. Denn seit 2014 sind antisemitische Straftaten im Vereinigten Königreich sprunghaft angestiegen: laut einer aktuellen Studie sogar um 138 Prozent – nicht zuletzt nach dem letzten Gaza-Krieg. Israel sieht sich unterdessen mit der Hisbollah im Norden, IS im Osten und Hamas und anderen Islamisten in Gaza und im Sinai konfrontiert, die nicht nur Juden, sondern alle Andersdenkenden eliminieren wollen.
Corbyn verschließt vor beidem die Augen. Es mangelt ihm völlig an Realitätssinn und Kompetenz. Schade. Eigentlich besteht durchaus Mangel an erfahrenen politischen Neudenkern. Der Nahe Osten ist für die politische Kompetenz ein rauer Testboden – die heimische Gesellschaft nicht minder. Jeremy Corbyn hat beide Karten eigentlich schon fast verspielt.
Der Autor ist freier Journalist in London.