Herr Rose, 20 Jahre nach dem Beschluss der Bundesregierung, ein Denkmal für die Opfer des nationalsozialistischen Völkermordes an den Sinti und Roma zu errichten, ist dieses Mahnmal am Mittwoch eingeweiht worden. Was bedeutet das für Sie?
Dadurch bekennt sich Deutschland auch zum Holocaust an 500.000 Sinti und Roma. Daraus resultiert die Verantwortung, den Antisemitismus zu ächten, aber auch den Antiziganismus. Darüber hinaus hege ich die Hoffnung, dass die historische Wissenschaft sich mit diesem Holocaust stärker beschäftigt und ihn nicht nur als eine Fußnote des Holocaust an den sechs Millionen Juden betrachtet. Der Holocaust an den Juden und der an den Sinti und Roma ist deswegen einmalig, weil er industriell, bürokratisch und auf der Grundlage der bloßen biologischen Existenz durchgeführt worden ist. Die Schoa wurde 1949 anerkannt, denn das war für die Bundesrepublik politisch notwendig. Unsere Anerkennung hat 40 Jahre länger gedauert.
War auch Ihre Familie vom Genozid direkt betroffen?
Von meiner Familie sind insgesamt 13 Personen in verschiedenen Konzentrationslagern ermordet worden, darunter meine Großeltern. Mein Großvater ist in Auschwitz ermordet worden und meine Großmutter in Ravensbrück.
Ursprünglich hatten Sie ein gemeinsames Mahnmal gefordert, was Ignatz Bubis, damals Präsident des Zentralrats der Juden, jedoch ablehnte. Haben Sie das als »Opferkonkurrenz« von jüdischer Seite erlebt?
Diese Konkurrenz hat es in Bezug auf die Einmaligkeit der Schoa schon gegeben. Die Einmaligkeit wird im Fall unserer Minderheit dadurch relativiert, dass wir das gleiche Schicksal hatten. Denn nicht die Zahl der Opfer ist das Entscheidende, sondern das Motiv: Sie wurden ermordet, nur weil sie Angehörige dieser Minderheit waren.
Laut einer Umfrage lehnen drei von vier Antisemiten auch Sinti und Roma ab. Sehen Sie beide Minderheiten sozusagen in einem Boot?
Sinti, Roma und Juden bilden eine europäische Schicksalsgemeinschaft. Uns verbindet das Bewusstsein für den Holocaust. Ich habe eine gute Zusammenarbeit mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland. Ignatz Bubis hat sich für unser Denkmal eingesetzt. Auch mit Dieter Graumann bin ich befreundet.
Das Denkmal hat mit Dani Karavan ein jüdischer Israeli gestaltet. Wie kam es, dass Sie gerade ihn beauftragt haben?
Ich schätze Dani Karavan. Erstens, weil er künstlerisch weltweit anerkannt ist. Zweitens: Vor seinem Hintergrund als Mensch, dessen Angehörige auch im Nationalsozialismus betroffen waren, brachte er die entsprechende Sensibilität mit, die notwendig ist, um so ein Denkmal zu schaffen. Sein Entwurf, der den Menschen die Möglichkeit gibt, in sich zu kehren und über den Holocaust nachzudenken, hat mich überzeugt.
Sie waren in diesem Jahr zum zweiten Mal in Israel. Was haben diese Reisen für Sie bedeutet?
Ich würde gern die Beziehungen mit Israel verstärken, zum Beispiel, dadurch, dass wir unsere Ausstellung über die Verfolgung unserer Minderheit auch in Jerusalem oder Tel Aviv zeigen und gemeinsame Diskussionen über Rassismus und Diskriminierung organisieren. Bei solchen Veranstaltungen kann man auch bewusst machen, wie bedeutsam die Existenz des Staates Israel auch für Sinti und Roma ist. Wenn es den Staat Israel nicht mehr gäbe, würde der Antisemitismus viel schlimmer werden, aber ebenso der Antiziganismus. Israel ist ein wichtiges Sprachrohr, auch für unsere Minderheit.
Mit dem Vorsitzenden des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma sprach Igal Avidan.