Norbert Walter-Borjans ist nicht Mitglied des Deutschen Bundestags. Der SPD-Vorsitzende konnte sich folglich am Mittwoch bei der aktuellen Stunde im Parlament zu den Raketenangriffen auf Israel nicht gegen die zum Teil beißende Kritik wehren, mit der seine Äußerungen zum Nahostkonflikt bedacht wurden.
JUNKTIM Am Montag hatte Walter-Borjans sich laut einem Bericht des Berliner »Tagesspiegel« zwar dafür ausgesprochen, weiter deutsche Rüstungsgüter an Israel zu liefern, jedoch hinzugefügt: »Wir haben dann auch den Anspruch, ein Stück gehört zu werden, wenn es darum geht, deeskalierend zu wirken, sich einer Zwei-Staaten-Lösung zu öffnen, Verhandlungen zu führen.« Es müsse gewährleistet sein, dass deutsche Waffen nur für einen »friedenssichernden Einsatz« genutzt würden, wurde Walter-Borjans zitiert.
Im Plenum nannte der FDP-Abgeordnete Alexander Graf Lambsdorff diese Forderung des SPD-Chefs nach einem »Junktim« »anmaßend, deplatziert und geschichtsvergessen«. Während Willy Brandt 1970 »im Gedenken an den Horror des Warschauer Ghettos« auf die Knie gefallen sei, falle dessen Nachfolger im Amt des SPD-Vorsitzenden »Israel in den Rücken«, ätzte Lambsdorff.
Auch der AfD-Politiker Armin-Paulus Hampel sowie der CDU-Verteidigungsexperte Jürgen Hardt nahmen sich Walter-Borjans zur Brust. »Israel braucht keine Belehrung, schon gar nicht aus Deutschland«, rief Hardt. Was der SPD-Vorsitzende gesagt habe, sei ein Tiefpunkt gewesen. Man könne da nur hoffen, dass der Name Walter-Borjans in Israel nicht bekannt sei.
GESTE Fürsprecher hatte Walter-Borjans in der Debatte nicht. Selbst Dietmar Nietan, Schatzmeister und Mitglied der engeren SPD-Führung, ließ durch die Blume Kritik an seinem Vorsitzenden deutlich werden. »Für mich gilt die Beschlusslage der Partei und nicht die Äußerung Einzelner«, so Nietan mit Verweis auf den Beschluss des SPD-Vorstands zur Lage in Nahost.
Sogleich lenkte Nietan die Pfeile zurück auf die FDP. Deren Vorsitzender Christian Lindner habe es gar nicht für nötig befunden, zur aktuellen Stunde des Bundestages zu erscheinen und so seine Solidarität mit Israel zu bekunden.
Ins Plenum gekommen war allerdings Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) – eine symbolische Geste, für die sich sowohl Nietan als auch sein FDP-Kollege Lambsdorff ausdrücklich bedankten. Zuvor hatte Außenminister Heiko Maas (SPD) für die Bundesregierung die Aussprache eröffnet und ein härteres Durchgreifen gegen den Antisemitismus gefordert.
Man müsse »antisemitischen Hasspredigern, Hetzern und Gewalttätern hier in unseren eigenen Städten mit der ganzen Härte des deutschen Rechtsstaates entgegentreten – und zwar egal, ob sie schon immer hier leben oder erst in den letzten Jahren hierhergekommen sind«. Es dürfe auf deutschen Straßen »keinen Zentimeter Platz geben für Antisemitismus, niemals und nie wieder«.
»Auf das Allerschärfste« verurteilte Maas auch den »Raketenterror« der Hamas gegen Israel. Der jüdische Staat habe das Recht und die Pflicht, sich dagegen zu verteidigen. Gleichzeitig forderte der Außenminister eine sofortige Waffenruhe und direkte Gespräche zwischen Israelis und Palästinensern über eine dauerhafte Beendigung des Konflikts.
SELBSTVERTEIDIGUNG Es wurde allerdings nicht genau klar, wie das gelingen soll. Fast gebetsmühlenhaft wiederholten viele Abgeordnete ihr Bekenntnis zu Israel, zu dessen Existenzrecht und seinem Recht auf Selbstverteidigung. Die meisten verbanden das Ganze aber mit Kritik an der israelischen Siedlungspolitik und an Premier Benjamin Netanjahu.
Außer gut gemeinten Appellen zu direkten Verhandlungen war wenig Konkretes zu hören. Eher schon wurden neben Wahlkampftönen auch Nuancen in der Sichtweise auf den Nahostkonflikt sichtbar, die quer zu den traditionellen Parteilinien verliefen.
AfD-Mann Hampel sagte, man müsse den »Geldfluss, mit dem deutsche Steuerzahler die Terroristen in Palästina finanzieren«, endlich stoppen. Gleichzeitig müsse man den Palästinensern aber helfen und eine »Internationalisierung des Konfliktes« verhindern. Eine Friedenskonferenz für den Nahen und Mittleren Osten sei jetzt notwendig, meinte Hampel.
Sein Parteifreund Anton Friesen zeigte mit dem Finger auf die muslimische Gemeinschaft und erklärte, in Anspielung auf Anti-Israel-Demonstrationen in deutschen Städten und das geflügelte Wort des ehemaligen Verteidigungsministers Peter Struck: »Israel wird am Brandenburger Tor verteidigt.«
Der CSU-Abgeordnete Christian Schmidt forderte, die EU müsse »initiativ werden« im Nahen Osten, um Friedenslösungen auszuloten hin zu einer »quasi-synergetischen Entwicklung im Nahen Osten, in Palästina«. Dazu gehöre auch, dass man mit den Palästinensern rede. Die Abraham-Abkommen seien ohne deren Einbindung ausgehandelt worden, was ein Fehler gewesen sei.
KRITIK Sein Fraktionskollege Johann Wadephul verurteilte dagegen scharf den Terror der Hamas und sagte, Israel habe »das Recht und die Pflicht«, seine Bevölkerung dagegen zu verteidigen. Aus seiner geschichtlichen Verantwortung heraus müsse Deutschland zu einer Rüstungskooperation mit Israel bereit sein und Verantwortung übernehmen.
Soweit wollte der ehemalige Linken-Chef Gregor Gysi nicht gehen, wiewohl auch er deutlich machte, dass es »keine Rechtfertigung« für die Angriffe auf Israel geben könne. Die Hamas schieße wild auf Zivilisten. Er nannte die Lage der Palästinenser »völlig perspektivlos« und übte auch scharfe Kritik an Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu. Der habe den Konflikt mit den Enteignungen im Jerusalemer Stadtteil Sheikh Jarrah erst provoziert, behauptete Gysi. »Er muss es gewusst haben und hat es trotzdem gemacht.«
Die Hamas sei deshalb unter den Palästinensern so beliebt, weil sie als »widerständiger« gelte. Deshalb müssten Deutschland und die Europäer endlich die gemäßigtere Fatah von Mahmud Abbas stärken und ihr »ein Erfolgserlebnis verschaffen«, meinte Gysi. Der Konflikt könne nur gelöst werden, wenn die Palästinenser »einen sicheren Staat« bekämen in den Grenzen von 1967.
ANGST Auch zu den jüngsten Vorfällen in Deutschland bezog Gysi Stellung. »Antisemitische Parolen, das Verbrennen der israelischen Fahne, das sind Straftaten, die streng zu verfolgen sind. Man darf die israelische Politik und Regierung kritisieren, Menschen aber niemals wegen ihrer Religion oder Nationalität verfolgen.« Er sei es Leid, das Juden, Muslime, Christen wegen ihres Glaubens abgelehnt würden.
Der Grünen-Parlamentarier Omid Nouripour sagte, es sei auch die Aufgabe Deutschlands, dafür zu sorgen, »dass Juden in ihrer Heimat keine Angst haben müssen.«
ERDOGAN Die Meldungen der letzten Tage aus Nahost seien bestürzend, beide Seiten verdienten »ein Leben in Sicherheit und Geborgenheit«. Die Schuld für den Ausbruch des Konflikts gab auch Nouripour sowohl Palästinensern als auch Israelis, und forderte die sofortige Einberufung des Nahost-Quartetts.
Der Unionsabgeordnete Hardt warf die Frage auf, wie es denn eigentlich sein könne, dass die Hamas über so viel Sprengstoff und Waffenteile verfüge. Kritik übte er am türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan, der sich einem Telefonat mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin über die »jüdische Mentalität« beschwert habe. So etwas kenne man »normalerweise nur aus Goebbels-Reden!«
Es sei beschämend, dass in Deutschland viele türkischstämmige Menschen solchen Antisemitismus aus türkischen Medien konsumierten. Vielleicht, so Hardt, müsse man dafür sorgen, dass die »in ihrer eigenen Sprache auch die Wahrheit über Israel und Palästina erfahren und nicht nur das, was der türkische Präsident sagt«.