Im Spätsommer vergangenen Jahres stand Aiman Mazyek gegen religiösen Extremismus auf: »Ich bin ein Jude, wenn Synagogen angegriffen werden. Ich bin ein Christ, wenn Christen beispielsweise im Irak verfolgt werden. Und ich bin ein Muslim, wenn Brandsätze auf ihre Gotteshäuser geworfen werden.« Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime sprach so beim Aktionstag muslimischer Religionsgemeinschaften in Deutschland gegen Extremismus und Gewalt.
Zekeriya Altug von der Türkisch-Islamischen Union (DITIB) teilte dort mit, es werde in vielen Moscheen Friedensgebete geben, in die die Imame alle Menschen einschließen würden, »seien es Christen, Jesiden, Juden oder Palästinenser, Muslime oder Buddhisten. Welchen Glaubens auch immer, alle Menschen, die Unrecht, Verfolgung und Hass ausgesetzt sind, werden eingeschlossen«.
unmut Ein solches Zeichen ist wertvoll und wichtig. Doch als Mazyek gemeinsam mit Bundeskanzlerin Merkel und Bundespräsident Gauck am 13. Januar in Berlin vor dem Brandenburger Tor der Opfer des islamistischen Terrors in Paris gedachte, machte sich in der muslimischen Community Unmut breit: Vertreter anderer Organisationen wie des Verbandes Islamischer Kulturzentren (VIKZ), des Islamrats (IR) und auch der DITIB kritisierten den Alleingang von Mazyek, dessen Zentralrat der Muslime zwar einen imposanten Namen, aber nur wenige Mitglieder hat: Angeblich sind etwa 300 Moscheen in ihm vertreten, doch diese Zahl wird bezweifelt. Der DITIB, die eng mit dem türkischen Staat verbunden ist, haben sich 900 Moscheen angeschlossen, dem Islamrat, zu dem auch die antisemitische Islamische Gemeinschaft Millî Görüs (IGMG) gehört, immerhin noch 450 Moscheen.
Gleichwohl ist Mazyek einer der bekanntesten Vertreter des deutschen Islam. Der gebürtige Aachener hat Philosophie, Volkswirtschaft, Politikwissenschaft und Arabistik studiert und ist neben seinem Amt im Zentralrat auch Redakteur des Onlineportals islam.de. Mazyek ist ein Medienprofi, der versucht, das Bild eines offenen, modernen Islam zu vermitteln.
Muslimbruderschaft Zu den Mitgliedern seines Zentralrats gehört auch die Islamische Gemeinschaft Deutschlands (IGD), ein Ableger der Muslimbruderschaft. Die IGD wird in Bayern, Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Hessen und Nordrhein-Westfalen von den Verfassungsschutzbehörden beobachtet. Auch die Zentralratsmitglieder Islamisches Zentrum Hamburg und das Islamische Zentrum Aachen stehen den Muslimbrüdern nahe. Sie werden ebenfalls staatlich beäugt.
Doch offener Antisemitismus traditioneller Prägung findet sich bei keiner dieser Gruppen mehr. Lieber wird der »Zionismus« angegriffen, Israel einseitig kritisiert, oder Bilder aus dem Gazakonflikt sollen ein klares Bild vermitteln, wer Täter und wer Opfer ist: Israel als Aggressor, die Palästinenser als seine Zielscheibe.
Auch die DITIB, die unter der Kontrolle und Aufsicht des staatlichen Präsidiums für Religiöse Angelegenheiten der Türkei steht, äußert sich zunehmend kritisch über Israel und folgt damit der Politik des türkischen Präsidenten Erdogan. So wurde etwa einer Verurteilung des Anschlags auf die Wuppertaler Synagoge im Spätsommer eine Stellungnahme zu Gaza vorangestellt.
geld Der Terror des Islamischen Staats wird von den muslimischen Organisationen in Deutschland abgelehnt, allerdings teilweise nicht zuletzt deswegen, weil die junge salafistische Strömung des IS als Konkurrent im Ringen um die Jugend wahrgenommen wird. Vor allem gilt sie als Gefahr für die weitere Integration muslimischer Verbände in das soziale Gefüge.
Die Verbände, in denen die verschiedenen Gruppen organisiert sind, stehen im Dialog mit der deutschen Politik – unabhängig davon, wie die einzelnen Gruppen oder Moscheegemeinden dazu stehen. Die Verbände, etwa der Zentralrat der Muslime, pochen dort darauf, dass Islamophobie auf einer Stufe mit Antisemitismus stehe und genauso bekämpft und geächtet werden müsse.
Ein wichtiges Motiv für diese strategische Ausrichtung dürfte sein, dass es um die Verteilung von Geldern, um islamischen Religionsunterricht und um die Ausbildung von Lehrern und Professoren geht. Noch wichtiger ist das Ziel der Gründung einer großen islamischen Wohlfahrtsorganisation, einer Art muslimischer »Caritas«, die von der Bundesregierung allerdings derzeit noch skeptisch beurteilt wird.