Interview

»Integration gibt es nicht umsonst«

Düzen Tekkal über Antisemitismus und Gemeinsamkeiten von Juden und Jesiden

von Philipp Peyman Engel  05.02.2018 18:58 Uhr

Düzen Tekkal Foto: Markus Tedescino

Düzen Tekkal über Antisemitismus und Gemeinsamkeiten von Juden und Jesiden

von Philipp Peyman Engel  05.02.2018 18:58 Uhr

Frau Tekkal, was bedeutet für Sie gelungene Integration?
Für mich bedeutet Integration, keine Angst zu haben voreinander, und für mich ist Integration nie losgelöst von Emanzipation zu verstehen. Emanzipation im Persönlichen, aber auch gesellschaftlich. Gelungene Integration heißt »Ich bringe mich ein«, aber auch: »Ich bringe etwas mit.« Die gemeinsamen Grundlagen dafür sind das Grundgesetz und unsere demokratischen Werte. Hierüber darf nicht verhandelt werden.

Sie sind in Hannover als Tochter einer jesidischen Einwandererfamilie geboren worden. Was macht für Sie persönlich Integration aus?
Ganz klar: Familie und Freiheit in Einklang zu bringen. Integration ist nicht immer einfach, sondern bedeutet auch Umgang mit Spannungen. Aus eigener teilweise leidvoller Erfahrung weiß ich, dass es Integration nicht umsonst gibt, sondern wehtun kann, dass man selber einen Preis dafür zahlen muss.

Wie hat sich das bei Ihnen geäußert?
Es gab eine Zeit in meinem Leben, da stand meine Freiheit gegen die Familie, da drohte ich meine Familie zu verlieren, weil meine Freiheit als selbstbestimmte Frau meiner Familie nicht passte. Meine Freiheit aufzugeben war für mich aber keine Option. Ich habe daraus den Schluss gezogen, dass man manchmal einsame und unbequeme Entscheidungen treffen muss, um sich zu emanzipieren. Mein Beispiel steht stellvertretend für viele junge jesidische und muslimische Frauen da draußen, die für ihre Freiheit einen langen steinigen Weg gegangen sind und immer noch gehen. Meine Geschichte zeigt aber auch, dass es gelingen kann, die Spannung zwischen Freiheit und Familie aufzulösen.

Die »Bild«-Zeitung meldete, dass Sie bei den GroKo-Verhandlungen als nächste Integrationsbeauftragte gehandelt werden. Was sind Ihrer Meinung nach die größten Probleme in der Integrationspolitik?
Wir brauchen ein grundsätzliches Umdenken: weg von der Fixierung auf Religion, hin zur Vermittlung unserer Freiheit. Wir müssen – auch in der Flüchtlingspolitik – mutiger für unsere Werte einstehen und sie vorleben. Uns muss klar sein, dass Räume, die wir als Demokraten nicht besetzen, zum Beispiel von religiösen Extremisten wie Islamisten oder Rechtspopulisten besetzt werden. Die Frage, die hier im Raum steht, ist, wie es passieren konnte, dass hier geborenen jungen Menschen keine Demokraten geworden sind. Das hat mit dem Integrationsunwillen auf der einen Seite zu tun und mit der mangelnden Aufforderung unsererseits. Da haben uns die Hassprediger leider das Wasser abgegriffen.

Eine viel diskutierte Frage in der Integrationspolitik ist der Umstand, dass muslimische Eltern ihren Töchtern teilweise die Teilnahme am Schwimmunterreicht verbieten. Wie denken Sie darüber?
Wir sollten die Eltern, die jungen Mädchen, die aus anderen Kulturkreisen kommen und deshalb nicht am Schwimmunterricht teilnehmen dürfen, wie es tagtäglich an deutschen Schulen passiert, kein Verständnis entgegenbringen, sondern für die Freiheit dieser Mädchen kämpfen. Als junges Mädchen war das auch für mich keine Selbstverständlichkeit, eine Woche mit meinen Mitschülern ins Schullandheim zu fahren. Meine Eltern trieb die Sorge um, das Kind würde »beschmutzt« zurückkommen und seine »Ehre« verlieren. Das erzähle ich so offen, weil ich sehe, dass diese Probleme sich nicht verändern, sondern weiter zunehmen. Ich war dankbar für meine Lehrerin, die sich für mich eingesetzt und meinen Eltern versichert hat, dass sie auf mich aufpassen würde. Integration ist kein »Blabla«, sondern es kann teilweise hart sein, diese einzufordern.

Sie haben einen sehr engen und guten Kontakt zur jüdischen Gemeinschaft. Was verbindet Sie mit ihr?
Zunächst: Juden und Jesiden verbindet etwas, ohne Worte. Für mich ist der enge Austausch mit der jüdischen Gemeinschaft Verpflichtung und Ansporn. Uns verbindet das traurige Schicksal, dass unsere Gemeinschaften von Verfolgung betroffen waren und dies zum Teil noch bis heute sind. Die Hilfe der jüdischen Gemeinschaft hat uns als Jesiden und mir geholfen, unserer Stimme in der Welt Gehör zu verschaffen.

Was sind Ihrer Ansicht nach die drängendsten Sorgen von deutschen Juden?
Wenn arabisch- und türkischstämmige Migranten oder Rechtsextremisten ihren Hass auf Juden auf die Straße und in die Schulen tragen, wenn Fahnen mit einem Davidstern auf unseren Straßen verbrannt werden, dann ist nicht nur jüdisches Leben bedroht, sondern auch unsere Demokratie. So wichtig unsere Erinnerungskultur ist, wir dürfen die Gegenwart nicht aus den Augen verlieren und müssen die Lebenswirklichkeit von Juden wieder stärker berücksichtigen.

Die SPD-Politikerin Sawsan Chebli setzt Judenhass häufig mit allgemeinem Rassismus gleich. Teilen Sie diese Ansicht?
Nein. Wir dürfen das eine nicht gegen das andere ausspielen, sondern müssen Antisemitismus zurückdrängen, ohne den Rassismus außer Acht zu lassen. Gerade aber vor dem Hintergrund unserer Geschichte dürfen wir das Spezifische des Antisemitismus nicht vergessen. Juden werden nicht nur angefeindet, weil sie als fremd angesehen werden, sondern weil sie in verschwörungsideologischer Absicht für das Übel in der Welt gesehen werden. Diese Verschwörungstheorien, wie sie beispielsweise in den antisemitischen Protokollen der Weisen von Zion ihren Ursprung haben, sind in Nahost sehr stark verbreitet und spiegeln sich auch in nicht wenigen migrantischen Familien in Deutschland. Hiergegen braucht es gesonderte Programme und Maßnahmen.

Mit der Integrationsexpertin, Publizistin und Mitglied des Vorstands der Konrad-Adenauer-Stiftung sprach Philipp Peyman Engel.

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